Hamburg. Sky-Moderator Erkenbrecher kritisiert die Aussagen von HSV-Trainer Tim Walter und benennt die größte Schwachstelle.
Manchmal gibt es diesen einen Moment im Leben, den man nicht vergisst, obwohl die Erinnerungen wenig positiv sind. Bei Sky-Moderator Yannick Erkenbrecher ist es ein Aufeinandertreffen mit Herthas früherem Nationalspieler Arne Friedrich.
Denn was viele nicht wissen: Erkenbrecher hatte Anfang des Jahrtausends eine Profikarriere angestrebt. Einmal spielte er in der Regionalliga-Nord für Paderborn, dreimal kam er in der Oberliga für Reutlingen zum Einsatz. Für die Schwaben absolvierte er auch seine größte Partie, ein Erstrunden-Pokalspiel gegen die ambitionierte Hertha um Fredi Bobic, Niko Kovac und: Arne Friedrich.
1:6 verloren Erkenbrechers Reutlinger, die von seinem Vater Uwe trainiert wurden, gegen den großen Favoriten. Hinterher tauschte der damals 19-jährige Yannick mit Friedrich die Trikots. Doch die Freude darüber war nur von kurzer Dauer. „Der Betreuer von Hertha BSC kam sieben Minuten später in unsere Kabine und sagte, Arne bräuchte das Trikot mit der Rückennummer 21 nicht“, erzählt Erkenbrecher diese bislang noch unbekannte Geschichte im Abendblatt-Podcast HSV – wir müssen reden.
HSV bereitet Sky-Mann Erkenbrecher Sorgen
Dieser Vorfall habe „nicht gerade dafür gesorgt, dass mein Standing in der Kabine gestiegen ist. Vielen Dank, Arne, dafür“, scherzt Erkenbrecher, der mittlerweile auch deshalb darüber lachen kann, weil er kurz darauf die Fußballschuhe an den Nagel hängte und stattdessen erfolgreich den Weg eines Fußballmoderators einschlug. Sein „Traumjob“, wie er heute sagt.
Für Sky ist Erkenbrecher regelmäßig in der Zweiten Liga im Einsatz, wodurch er auch den Weg des HSV verfolgt. Wie so viele Experten war auch Erkenbrecher vor der Saison davon ausgegangen, dass der Club mit dem „größten Etat der Liga“ (22 Millionen Euro) und einer „ausreichenden Spielerqualität“ aufstiegen würden.
Doch nach nur zwei Siegen aus den zurückliegenden acht Spielen hat der TV-Mann seine Prognose korrigiert. „Das ist keine Bilanz eines Aufsteigers oder einer Mannschaft, die funktioniert. Der HSV liefert seit Wochen nicht“, sagt Erkenbrecher. „Die Tendenz für Platz eins oder zwei spricht ganz klar gegen den HSV. “
HSV: Erkenbrecher kritisiert Walter-Aussagen
Auf der Suche nach Erklärungen, warum die Hamburger das erste Saisonziel, den direkten Aufstieg, wahrscheinlich verpassen werden, landet der 40-Jährige schnell bei Tim Walter. „Ich finde seine Außendarstellung nicht glücklich“, sagt Erkenbrecher, der vor allem zwei Aussagen des HSV-Coaches kritisiert. Zum einen das Dauerversprechen, der Club steige „definitiv“ auf.
Und zum anderen die Aussage nach der Niederlage in Kaiserslautern (0:2), als Walter in Bezug auf den zwei Tage später spielenden Stadtrivalen gesagt hatte: „St. Paulis Spiel gucke ich nicht, ich gucke nie Zweite Liga. Unter der Woche werden wir den Gegner analysieren, das reicht. Das ist nicht despektierlich, sondern wir bleiben bei uns.“
Das Zitat stammt aus einem Interview bei Sky, dem Arbeitgeber Erkenbrechers, der mit diesen drei Sätzen nichts anfangen könne. „Anscheinend ist es in vielen Köpfen noch nicht angekommen, dass der HSV ein Zweitligist ist und ein sechstes Jahr Zweite Liga droht.“ Erkenbrechers Konter: „Die Gegner wissen inzwischen, wie man dem HSV wehtun kann, weil die anderen Trainer die Zweite Liga gucken.“
HSV-Abwehr „nicht aufstiegsreif“
Doch auch unabhängig von Walters persönlicher Einschaltquote bei Sky habe der Moderator taktische Defizite erkannt. Das Defensivverhalten der kompletten Mannschaft bezeichnet Erkenbrecher als „Harakiri“. 43 Gegentore nach 31 Spieltagen seien „nicht aufstiegsreif“, die Abwehr daher die größte Schwachstelle.
Zuletzt sorgten immer wieder individuelle Patzer für Rückschläge im Aufstiegskampf. Erkenbrecher sei es aber „zu einfach“, den negativen Trend allein auf einzelne Spieler zu schieben. Er sehe vielmehr Handlungsbedarf bei Walter, der durch taktische Anpassung die Fehleranfälligkeit seiner Profis minimieren könnte.
„Dem HSV fehlt die homogene Struktur. Ich habe nicht das Gefühl, dass elf Mann zusammen angreifen und verteidigen“, kritisiert er. „Durch diverse Umstellungsoptionen haben Trainer so viele Möglichkeiten, auf ein Spiel einzuwirken. Beim HSV ist es aber von der ersten bis zur letzten Minute berechenbar, was man bekommt.“
Erkenbrecher: Wie HSV mehr Erfolg haben könnte
Doch Walter will seinem Weg treu bleiben. Und der lautet nun mal: Spektakel, Ballbesitz und einkalkulierte Fehler.
„Der offensive Spielstil Walters, der sehr auf Entertainment ausgelegt ist, ist nicht alternativlos“, sagt Erkenbrecher, der eine fehlende Balance zwischen Offensive und Defensive erkannt haben will. „Die Frage ist, ob man als HSV von Minute eins an 40 Meter vor dem Tor verteidigen und damit ein Alles-oder-nichts-Gefühl vermitteln muss? Vielleicht würde weniger Spektakel zu weniger Gegentoren, mehr Punkten und damit auch mehr Erfolg führen.“
In Anbetracht des „ekligen“ Restprogramms mit den Duellen bei den Abstiegskandidaten Regensburg (Sonntag) und Sandhausen (28. Mai), die noch einmal alles geben würden, sowie zu Hause gegen Fürth (20. Mai) prognostiziert der Fernsehjournalist keine Zu-Null-Spiele mehr. „Das setzt dich als Mannschaft von vornherein unter Druck, weil man weiß, mindestens zwei Tore schießen zu müssen“, rechnet er vor. „Gegen die Baustelle in der Abwehr kann man fast nicht anstürmen.“
HSV: Welchen Fehler Boldt machte
Die Defensivprobleme führen Erkenbrecher in seiner Analyse zwangsläufig auch zu den Kaderverantwortlichen, Sportvorstand Jonas Boldt und Direktor Profifußball Claus Costa, die auf die Dopingsperre Mario Vuskovics mit dem Transfer von Javi Montero (drei Spiele, zwei Platzverweise) reagiert hatten.
„Der Kader ist zwar gut genug, man hätte aber im Winter einen besseren Innenverteidiger holen müssen. In der Ersten Liga fallen mir sofort vier Spieler ein, bei denen man eine Chance gehabt hätte“, sagt der Journalist und nennt die bei ihren Vereinen kaum berücksichtigten Luca Kilian (23/Köln), Timo Baumgartl (27) und Paul Jaeckel (24/beide Union Berlin), sowie Pascal Stenzel (27/Stuttgart). „Eine kluge Leihe wurde im Winter versäumt.“
HSV: Erkenbrecher über Walter und Boldt
Erkenbrecher gibt dem HSV aktuell zwar maximal die Note drei und bezeichnet den dritten Tabellenplatz als „herbe Enttäuschung“, doch er appelliert auch daran, erst am Ende der Saison abzurechnen. Denn noch sei alles möglich. Doch was passiert, wenn der HSV nicht aufsteigen sollte? „Dann hätten Jonas Boldt und Tim Walter keinen guten Job gemacht“, sagt Erkenbrecher. „Die Bundesliga war ganz klar das Ziel und daran müssen sich beide messen lassen. Platz eins oder zwei waren Pflicht. Punkt.“
Denn in der Relegation, die wahrscheinlich als letzte Aufstiegschance bleiben dürfte, gewinne fast immer der Erstligist.
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Beim Blick in die Glaskugel sieht Erkenbrecher ein Duell mit dem VfB Stuttgart in den K.-o.-Spielen um die Bundesliga auf den HSV zukommen. Eine nur schwer zu lösende Aufgabe, weil „der VfB individuell sehr gut besetzt“ sei.
Bliebe zum Abschluss noch die Frage, was aus dem Trikot von Arne Friedrich geworden ist? Es hängt bei Erkenbrecher im Kleiderschrank – und bleibt damit unvergessen. Für immer.