Hamburg. Sportgericht sperrt Vuskovic wegen Dopings, macht aber Fehler. Verteidigung geht in Berufung, auch Nada prüft Einspruch. Die Chancen.
- DFB-Sportgericht sperrt Mario Vuskovic für zwei Jahre. Begründung des Urteils wirft Fragen auf
- DFB-Richter machte Fehler, weshalb Vuskovic weiterhin auf Freispruch hoffen kann
- Vuskovic-Anwälte und der HSV gehen in Berufung. Wie es jetzt weiterhin
Die HSV-Profis und Tim Walter hatten am Donnerstagmittag zum Ende der Einheit gerade einen Mannschaftskreis gebildet, um sich auf das Auswärtsspiel am Freitag bei Fortuna Düsseldorf (18.30 Uhr/Sky) einzuschwören, als sich Philipp Langer den Trainer zur Seite nahm. Der Pressesprecher des HSV übermittelte Walter die Nachricht, die wenige Minuten zuvor bereits ein lautes Echo in den Fankreisen hervorgerufen hatte.
Langer informierte den bis dahin ahnungslosen Coach, dass das DFB-Sportgericht den am 16. September 2022 positiv auf Epo getesteten Mario Vuskovic soeben für zwei Jahre gesperrt hat.
Ein Schock für den Club, den Spieler und den Trainer. Entsprechend bedient verließ Walter das Trainingsgelände.
Mario Vuskovic: Neues Verfahren in zwei Monaten
Entgegen vorheriger Absprachen mit dem Sportgericht erfuhren Vuskovics Anwälte und der HSV erst kurz vor der offiziellen Pressemitteilung des DFB von dem Urteil, das die Verteidigung nicht akzeptieren will. „Nach einem Austausch mit Marios Anwälten haben wir sofort Einigkeit darüber erzielt, gegen das Urteil Berufung einzulegen“, kündigte Sportvorstand Jonas Boldt an.
Nun wird es noch einmal bis zu zwei Monate dauern, bis das DFB-Bundesgericht als nächsthöhere Instanz eine Verhandlung auf dem DFB-Campus in Frankfurt ansetzt.
Mario Vuskovic: Auch Nada prüft Berufung
Möglicherweise landet der Dopingfall auch direkt vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS). Wie das Abendblatt erfuhr, prüft auch die Nationale Antidoping-Agentur (Nada), die ebenfalls ein Berufungsrecht hat und direkt vor den CAS ziehen könnte, ob sie das Urteil anfechten wird.
Der Grund: Neben einem Freispruch sehen die Antidoping-Richtlinien des DFB eine vierjährige Sperre vor, die lediglich auf zwei Jahre reduziert werden könne, wenn der Athlet nicht wissentlich gedopt habe.
In der Begründung von DFB-Richter Stephan Oberholz heißt es dagegen, man sei bewusst von der Regel abgewichen, weil Vuskovic ein Ersttäter sei, nur eine geringe Epo-Menge vorliege und das Gericht wegen des einmalig nachgewiesenen Vergehens nicht von „strukturiertem Doping“ ausgehe. „Die Auswirkungen einer langen Sperre würden einen 21 Jahre alten, noch im Entwicklungsprozess befindlichen Berufsfußballspieler und Mannschaftssportler zudem intensiver als einen Einzelsportler treffen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht.“
Mario Vuskovic: DFB-Urteil mit Angriffsfläche
Das Problem an der Oberholz-Begründung: Im Regelwerk findet sich keines dieser Argumente wieder, wodurch das Urteil von beiden Parteien juristisch anfechtbar ist. Die eher emotional als faktenbasiert begründete Dauer der Sperre ist nicht der einzige Wortlaut, der schwammig erscheint.
Nach Abendblatt-Informationen sieht die Verteidigung viele Angriffspunkte in der Urteilsbegründung. Vuskovics Anwälte arbeiten bereits an einem neuen Schriftsatz, bei dem das Hauptaugenmerk auf der weiterhin ausgebliebenen Drittanalyse des Resturins liegen dürfte.
Zur Erinnerung: Nach dem zweiten Prozesstag Anfang Februar hatte Richter Oberholz die sogenannte C-Probe zur Urteilsfindung angeordnet, da der unter den Wissenschaftlern beider Seiten ausgebrochene Streit die Sach- und Fachkunde des Gerichts übersteige.
Doch der beauftragte Epo-Forscher Jean-Francois Naud verweigerte die zunächst von ihm zugesagte Dopinganalyse, weil ihm die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) mit dem Verlust seiner Labor-Akkreditierung drohte. Darüber hinaus baute die Wada Druck auf die Nada aus, die als Eigentümerin von Vuskovics Urin vor Gericht einer C-Probe zugestimmt hatte. Seitdem will die Nada die restlichen 43 Milliliter jedoch nicht mehr herausgeben. Am dritten Verhandlungstag vor zwei Wochen berichtete Richter Oberholz offen von seinem Dilemma, letztlich seien ihm aber die Hände gebunden.
Vuskovic-Urteil: Die Fehler des DFB
Nur mit Worten kann er sich aus seiner verzwickten Lage jedoch nicht befreien, denn sein Beweisbeschluss einer C-Probe ist noch immer rechtskräftig. Ohne die Umsetzung hätte es also gar kein Urteil geben dürfen, zumindest keine Verurteilung.
„Wenn die Probe nicht doch noch freigegeben wird, sollte es auf einen Freispruch hinauslaufen“, hatte Rechtsanwalt Horst Kletke im Abendblatt prognostiziert. Oberholz sagt nun, da Wada-Forscher Naud zumindest ein Gutachten erstellt habe, sei eine erneute Dopinganalyse „aus unserer Sicht nicht mehr erforderlich“. Eine Sinneswandlung um 180 Grad.
Auf seinen juristisch angreifbaren Fehler eines nicht umgesetzten Beweisbeschlusses geht Oberholz in seiner Begründung dagegen nicht ein. Dafür aber stellt der Vorsitzende des Sportgerichts die Kompetenz von allen vier internationalen Gutachtern der Verteidigung infrage, die das Ergebnis der A- und B-Probe als „falsch-positiv“ bezeichneten.
„Nach Ansicht des Sportgerichts verfügen die Fachberater der Verteidigung (...) nicht über dieselbe hohe Bewertungskompetenz wie der Laborleiter in Kreischa (Sven Voss), die EPO-Expertin aus Oslo (Yvette Dehnes) und der gerichtlich bestellte Sachverständige in Kanada (Naud)“, teilte der DFB mit. Weil alle drei Personen einer gemeinsamen Epo-Forschungsgruppe der Wada angehören, hatte die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gestellt, den Oberholz ablehnte.
Vuskovic-Urteil: DFB spricht Gutachtern Kompetenz ab
Der Richter, der sich vor wenigen Wochen nicht in der Lage sah, ein Urteil ohne eine C-Probe zu fällen, meint inzwischen, alle Zweifel ausräumen zu können. „Die Verteidigung habe den Nachweis eines falschen Dopingbefundes nicht erbringen können. Die erhobenen Einwendungen gegen das Analyseverfahren und vor allem gegen dessen Positivergebnis seien letztlich nicht erheblich, um ernsthafte Zweifel an den positiven Epobefunden begründen zu können“, heißt es in der Urteilsbegründung des DFB. „Die vorgebrachten wissenschaftlichen Erwägungen und Kritikpunkte seien überwiegend eher abstrakter und spekulativer Natur gewesen.“
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Damit folgt der DFB der Einschätzung der Wada, deren führende acht Epo-Forscher sich Ende Februar bei einem Workshop in Köln zusammengesetzt hatten und das positive Dopingergebnis einstimmig bestätigten. Doch gerade in dem von der Wada angewandten Sar-Page-Verfahren liegt der Hauptkritikpunkt der Verteidigung, die einen Präzedenzfall schaffen und das gesamte Anti-Dopingsystem auf den Kopf stellen will.
Da es für die Epo-Analyse keine Grenzwerte gibt, werden Bilder verglichen. Dabei geht es um Proteine, Überladungen, Schatten und Fotobearbeitungen. Einer von Vuskovics Gutachtern, Lorenz Hofbauer, sagte vor Gericht aus, dass bei Dopingsündern der Anteil von legalem körpereigenen Epo gen null gehe. Bei Vuskovics Probe ist dieser Anteil dagegen sehr hoch. Doch der DFB folgte dieser Argumentation nicht.
Vuskovic: DFB verschweigt wichtiges Detail
Oberholz brachte in der Urteilsbegründung als Indiz für Vuskovics Schuld zudem an, dass die Verteidigung bei der Öffnung der B-Probe einen eigens ausgewählten Experten hinzugezogen hatte. Jene Anwesenheit des Gutachters Douwe de Boer ist zwar korrekt. Was diese aber mit der Schuld oder der Unschuld von Vuskovic zu tun haben soll, erläuterte er nicht.
Nach Abendblatt-Informationen wird die Verteidigung für das anschließende Berufungsverfahren den beim Prozess zuletzt nicht mehr in Erscheinung getretenen de Boer als Experten hinzuziehen. Der Niederländer soll inzwischen davon überzeugt sein, dass Vuskovics Epo-Test negativ sei.
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Mario Vuskovic hofft weiter auf Freispruch
Der HSV-Profi beteuert seit Beginn des Falls vehement seine Unschuld, weshalb er auch ein Vergleichsangebot des DFB-Kontrollausschusses von einer unter einjährigen Sperre abgelehnt hatte. Eine Entscheidung, die Vuskovic weiterhin nicht bereuen soll, auch wenn er nun deutlich länger gesperrt wurde und Stand jetzt erst am 14. November 2024 wieder spielberechtigt wäre. Denn er setzt weiterhin alles auf die Karte Freispruch, auch wenn dieser erst vor dem CAS erfolgen könnte.
Wie sehr den Kroaten das Dopingdrama mental belastet, war an allen drei Verhandlungstagen zu sehen, als Vuskovic fast schon hilfesuchend zu seiner Mutter blickte und sogar weinte. In den zurückliegenden Tagen hatte er sich beinahe täglich bei seinen Anwälten erkundigt, ob sie vom DFB bereits über das Urteil informiert wurden. Zumindest darüber hat er nun Klarheit.