Hamburg. Abwehrproblem beim HSV: Kosten zu viele individuelle Fehler den Aufstieg? Die Erklärungen führen vom Personal über Walter bis zu Boldt.
Wer sich am Wochenende in den sozialen Netzwerken einen Eindruck über die Stimmung unter den HSV-Fans verschafft hat, der konnte den Eindruck gewinnen, dass die Saison bereits beendet ist. Und zwar für den HSV mit dem fünften verpassten Aufstieg in Serie.
Neben der in Hamburg nach drei sieglosen Spielen fast schon turnusmäßigen Trainerdiskussion über Tim Walter und der Debatte über Nachfolger wie Felix Magath wurde auch über die Leistungen einzelner Profis diskutiert. Neu im Vergleich zu vorherigen Ergebniskrisen war diesmal lediglich, dass die sonst gern als Sündenbock dargestellten Medien nicht in die Verantwortung gezogen wurden.
HSV-Fehler gefährden den Aufstieg
Zurück in der Realität lässt sich die Suche nach einem Verantwortlichen nicht wie bei Twitter auf 280 Zeichen begrenzen. Tatsächlich werden die Auftritte des HSV mit wenigen Ausnahmen seit der WM-Pause nicht mehr den eigenen Ansprüchen gerecht. Erklärungsansätze hierfür gibt es viele.
Man könnte es sich einfach machen und die aktuelle Formdelle auf das obligatorische Frühjahrstief des HSV schieben. So gibt es eine Statistik, die belegt, dass die Hamburger in den fünf Zweitligajahren einen deutlich besseren Punkteschnitt bis zum jeweils 23. Spieltag im Vergleich zum Rest der Saison hatten.
Lediglich in der vergangenen Saison lagen beide Werte (1,78 Punkte zu 1,72 Punkte) dicht beieinander. In dieser Spielzeit fällt der Unterschied aufgrund der aktuellen Sieglosserie besonders gravierend aus (2,08 Punkte zu 0,66 Punkte). Allerdings ist davon auszugehen, dass der HSV bis Ende Mai auch wieder ein Spiel gewinnt.
HSV-Qualitätsproblem seit Vuskovic-Ausfall
Das in Hamburg berüchtigte Frühjahrstief kann also nicht als alleinige Ausrede für die magere Kost in manchen Phasen des Spiels herhalten. Um die Suche nach Erklärungen zu vertiefen, hilft eine Analyse, warum es dem HSV momentan schwerfällt, Spiele zu gewinnen und konstant aufzutreten. Auffällig ist dabei die Anzahl der Gegentore und wie diese zustande kommen.
Bis zum 16. Spieltag kassierte die Mannschaft im Schnitt nur 1,06 Treffer pro Spiel. Seitdem stieg dieser Wert auf 1,5 an. Der 16. Spieltag dient als fundierter Vergleichsindikator, weil seitdem Mario Vuskovic wegen mutmaßlichem Doping (Epo) gesperrt ist. Mit dem Kroaten fehlt Walter sein bis dahin zweikampfstärkster Verteidiger.
Wenn wie in Düsseldorf (2:2) auch noch Kapitän Sebastian Schonlau (Gelbsperre) ausfällt, dann hat der HSV ein qualitatives Problem, welches sich bei den Gegentoren zeigte. Zunächst stand Javi Montero bei einer Ecke falsch und sprang unter dem Ball durch, dann erwachte Miro Muheim zu spät aus seinem Sekundenschlaf, weshalb er im Laufduell mit Torschütze Felix Klaus den Kürzeren zog. „Ich kann keinen Bascho (Schonlau) oder Vuskovic aus dem Hut zaubern. Ich muss mit denen spielen, die ich habe“, legte Trainer Tim Walter in aller Deutlichkeit den Finger in die Qualitätswunde.
HSV: Montero-Transfer rückt Boldt in Mittelpunkt
Allein die Personalie Montero zeigt, dass die aktuelle Phase nicht nur am Coach festgemacht werden kann. Walter ist es sicherlich nicht anzulasten, dass der als Vuskovic-Ersatz verpflichtete Spanier keine Verstärkung ist.
Denn Monteros Drei-Spiele-Bilanz liest sich ernüchternd: In Heidenheim (3:3) wurde er nach einer desaströsen ersten Hälfte beim Stand von 0:3 ausgewechselt, in Karlsruhe (2:4) und Düsseldorf kassierte er zweimal Gelb-Rot in Folge. Zudem gewinnt er gerade einmal 54 Prozent seiner Zweikämpfe – keine gute Quote für einen Innenverteidiger.
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Monteros Mitspieler rätseln bereits offen über seine Leistungen. „Ich weiß nicht“, sagte Jonas Meffert bei seinem Erklärungsversuch nach längerem Zögern. „Wenn einer von einer anderen Philosophie vorgeprägt ist, dann ist es schwierig, daran etwas zu ändern. Das Alter (24) kommt auch dazu“, ergänzte Walter, dessen „Bauchgefühl“ für Monteros Startelfeinsatz sorgte. „Er hat die Bereitschaft, muss aber selber für die Umsetzung sorgen.“
Eine Problematik, von der Kaderplaner Claus Costa und HSV-Vorstand Jonas Boldt bei Monteros Verpflichtung hätten wissen müssen.
HSV-Aufstieg in Gefahr? Walter wegen Muheim im Fokus
Auch das zweite Sorgenkind in der Defensive, Linksverteidiger Muheim, leistet sich zu viele Aussetzer. Der Schweizer, der gegen Hannover gelbgesperrt fehlt, verschuldete in dieser Saison mehr als eine Handvoll Gegentore – zu viel für eine Stammkraft eines Aufstiegsanwärters. Meffert räumte in Düsseldorf ein, dass dem HSV momentan zu viele individuelle Fehler unterlaufen. „Solche leichten Gegentore dürfen wir nicht bekommen, wir haben der Fortuna die Tore auf dem Silbertablett serviert“, klagte er.
An dieser Stelle rückt neben den Kaderplanern auch Walter in den Fokus. Dem Trainer ist es in fast zwei Muheim-Jahren beim HSV nicht gelungen, dessen Defensivschwächen zu beheben. Möglicherweise ist es sogar die taktisch angeordnete hoch stehende Abwehr, die Muheims Fehlerquote nicht gerade senkt. Auch Walter scheinen die vielen Patzer allmählich zu frustrieren, die Aktion vor dem zweiten Gegentor in Düsseldorf bezeichnete er als „dilettantisch“.
Walter lobt zwar auch die Moral seiner Elf, die erneut einen Rückstand aufgeholt hat. Doch der Trainer weiß, dass er das Abwehrproblem schleunigst in den Griff bekommen muss. Ansonsten könnten sich die momentan noch panisch wirkenden Fan-Prognosen eines negativen Saisonausgangs bewahrheiten.
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