Frankfurt am Main. Am dritten Tag des Dopingprozesses wird der HSV-Profi von Gefühlen übermannt. Seine Verteidigung hofft auf die Staatsanwaltschaft.

Auf einmal wurde es still im Gerichtssaal des DFB-Sportgerichts. Am Tag der dritten Verhandlung im Dopingprozess um Mario Vuskovic hatten der DFB-Kontrollausschuss und die Verteidigung soeben ihre Plädoyers vorgetragen, da ergriff der HSV-Profi seine Chance auf eine Aussage.

„Ich bin unschuldig, habe im Sport niemals betrogen und werde das auch niemals tun“, sagte der 21 Jahre alte Kroate mit zittriger Stimme. „Das, was ich und meine Familie die vergangenen Monate durchmachen mussten, würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen.“

Weiter kam der positiv auf Epo getestete Abwehrspieler nicht mit seinen Ausführungen, denn danach überkamen ihn die Emotionen. Tränen kullerten über sein inzwischen hochrotes Gesicht.

HSV-Profi Mario Vuskovic beteuert im Dopingprozess seine Unschuld

Vuskovic war nun nicht mehr in der Lage, selber zu sprechen. Er reichte seinem Dolmetscher Aleksandar Miladinovic sein vorgefertigtes Statement. „Jeden Tag hoffe ich, dass dieser Albtraum zu Ende geht. Vor allem befürchte ich, dass es morgen einen anderen Athleten treffen kann. Ich wünsche mir, dass niemand das durchmachen muss, was ich gerade erlebe“, las dieser im Namen Vuskovics vor. „Mein ganzes Leben lang war ich immer ehrlich, ich würde nie jemanden betrügen.“

Im Anschluss hätte sich das Sportgericht eigentlich beraten sollen, um zu einem Urteil zu kommen. Doch der von der Dramaturgie spürbar erfasste DFB-Richter Oberholz stellte umgehend klar, dass dies an diesem Freitag nicht möglich sei. Stattdessen werde ein Urteil in „spätestens zwei Wochen“ schriftlich erfolgen. „Das Gericht ist der Besonderheit des Verfahrens schuldig, sich intensiv und gründlich mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme des Verfahrens auseinanderzusetzen, bevor ein Urteil gefällt wird“, begründete Oberholz seine Entscheidung.

HSV-Sportvorstand Jonas Boldt tröstet Mario Vuskovics Mutter Sanja nach der Verhandlung.
HSV-Sportvorstand Jonas Boldt tröstet Mario Vuskovics Mutter Sanja nach der Verhandlung. © WITTERS | Jörg Halisch

Zuvor hatten der DFB-Kontrollausschuss um den Vorsitzenden Anton Nachreiner und die Verteidigung mehr als eineinhalb Stunden über einen Vergleich beraten. Dabei bot Nachreiner Vuskovics Anwälten ein strafmilderndes Urteil an, obwohl die DFB-Regularien nach aktuellem Sachstand nur einen Freispruch oder eine vierjährige Sperre zulassen. Doch Vuskovics Anwälte lehnten eine konsensuale Lösung ab, sie setzen weiterhin voll auf die Karte Freispruch.

„Es gibt keinen Nachweis für eine Epo-Überführung“, sagte Anwalt Joachim Rain in seinem Plädoyer, das nicht viel unterschiedlicher als Nachreiners hätte ausfallen können. „Hilfsweise beantragen wir, von dem Resturin eine erneute Dopinganalyse von einem nicht-Wada-akkreditierten Labor durchzuführen“, führte Rain fort, der zudem massive Kritik an der Welt-Anti­doping Agentur (Wada) übte, die eine von Oberholz angeordnete C-Probe verweigert hatte, da dies den Regularien widerspricht. „Als nicht Verfahrenspartei hat die Wada Einfluss auf das Sportgericht genommen und die Regeln vorgeschrieben. Darüber bin ich entsetzt“, sagte Rain.

Vuskovics Verteidigung hofft auf die Staatsanwaltschaft

Zumindest in diesem Punkt war er sich mit Nachreiner einig. „Das darf man sich nicht gefallen lassen“, sagte dieser über das Verhalten von Jean-Francois Naud, der eine C-Probe zunächst zugesagt, sie später aber auf Druck der Wada ausgeschlagen hatte. Dennoch halte Nachreiner, der mehrfach zugab, die Materie nicht zu verstehen, „den Dopingvorwurf völlig problemlos für nachgewiesen“.

Doch ganz so einfach ist der Fall eben nicht. Gleich zu Beginn der dritten Verhandlung war Oberholz in Erklärungsnot, weil sein Beweisbeschluss vom Februar durch die ausgebliebene C-Probe unvollständig ist. Als Eigentümerin von Vuskovics Resturin habe die Nationale Antidoping-Agentur (Nada) dem Sportgericht mitgeteilt, „die Zustimmung der Wada“ für eine weitere Analyse „zu benötigen“. Daraufhin fragte der DFB bei der Wada an und kassierte eine Abfuhr, da eine erneute Analyse nicht erforderlich sei. Oberholz seien also die Hände gebunden gewesen.

Die Verteidigung, die darin eine Beweisvereitelung sieht, zog dagegen Paragraf 13 der Antidoping-Richtlinien des DFB aus dem Hut. Dort heißt es zum Thema „Analyse der Proben“: „Eine Probe kann – ausschließlich auf Anweisung des DFB, der Nada oder der Wada – (…) jederzeit erneut analysiert werden.“ Etwas weiter oben im Text steht allerdings, dass die Proben zur Analyse „ausschließlich an Wada-akkreditierte Labore“ gesandt werden dürfen. Ein Umstand, der Oberholz’ Dilemma erklärt. Doch für Anwalt Rain gibt es auch dafür eine Lösung. „Wenn die Wada den Resturin nicht herausgibt, werden wir diesen über die Staatsanwaltschaft beschlagnahmen lassen.“

Vuskovics Verteidigung hält Naud für befangen

Oberholz wolle nun prüfen, inwiefern die durch die Wada verweigerte C-Probe Einfluss auf sein Urteil haben könne. Als vermeintlich unabhängige Analyse liegt dem Richter nur Nauds Gutachten vor, das von der Verteidigung in allen Punkten auseinandergenommen wurde.

Vuskovics Anwälte werfen dem Kanadier mangelhafte und unvollständige Antworten vor. Sie beharren zudem darauf, dass es bei der positiven A- und B-Probe zu einer „massiven Überladung der Bahn“ gekommen sei. So sei durch eine überhöhte Urinmenge zu viel Protein auf den Teststreifen gekommen, wodurch sich dieser ausgedehnt und folgerichtig eine irreführende Schattierung gezeigt habe, die in der Interpretation der Epo-Analyse als Indikator für ein positives Ergebnis gilt.

Mit den Vorwürfen konfrontiert, schickte der DFB Naud bereits im Vorfeld einen neuen Fragenkatalog, der 18 Fachfragen beinhaltete. Obwohl das Sportgericht „vollumfängliche Antworten“ forderte, soll der Wada-Forscher auch diesmal unvollständig geantwortet haben. Wie wahrscheinlich es sei, dass Vuskovic tatsächlich mit Epo betrogen habe, könne Naud nicht in Prozenten angeben – für eine Sperre im Sportrecht notwendig ist ein Ergebnis nahe 100 Prozent.

Die Verteidigung hält derweil weiter am Vorwurf der Befangenheit Nauds fest. So reichen laut den Grundsätzen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „derzeitige oder geplante enge wissenschaftliche Kooperationen“ aus, um von einer Befangenheit zu sprechen. Zur Erinnerung: Naud sitzt mit dem für die A- und B-Probe verantwortlichen Laborchef Kreischas, Sven Voss, dessen Arbeit er kontrollieren sollte, in einer gemeinsamen Epo-Arbeitsgruppe der Wada.

HSV fordert Freispruch für Vuskovic

Im Übrigen reicht ein Blick ins Urteilsarchiv des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS), um Zweifel an der von der Wada zur Dopinganalyse angewandten Sar-Page-Methode zu hegen, die auch bei Vuskovic zum Einsatz kam. So heißt es in einem Radsporturteil aus dem Jahr 2001: Eine Epo-Probe könne nicht auf Basis einer „subjektiven Einschätzung oder Erfahrung des Laborpersonals“ für positiv oder negativ erklärt werden. Statt Interpretationen von Bildern habe ein Labor belastbare Kriterien anzuwenden, „damit auch dritte Parteien objektiv die gezogenen Schlüsse nachvollziehen können“.

Mit anderen Worten: Für den CAS habe ein bloßes geschultes Auge aus juristischer Sicht keinen Bestand zur Epo-Überführung. Demnach dürfte Vuskovic anhand der aktuellen Datenlage spätestens vor dem CAS freigesprochen werden.

Das forderte auch der HSV: „Aus unserer Sicht kann es nach wie vor nur einen Freispruch geben, weil der erforderliche Beweis für einen Dopingverstoß von Mario Vušković nicht erbracht worden ist“, heißt es in einem gemeinsamen Statement mit der Verteidigung des Profis.

Man habe Verständnis dafür, dass sich das DFB-Sportgericht in diesem komplexen Verfahren die Zeit nehme, um die gesamte Beweislage noch einmal umfassend zu würdigen. „Dass der DFB-Kontrollausschuss die von der WADA herrührenden Vorschriften im vorliegenden Fall nicht für angemessen hält, zeigt aus unserer Sicht, dass auch dort Unbehagen hinsichtlich einer Verurteilung des Spielers auf Basis der geltenden Statuten besteht.“

Fortsetzung folgt.