Hamburg. Experte fordert Freispruch im Dopingprozess und sieht gute Chancen für C-Probe nach Beschlagnahmung des restlichen Urins.

  • DFB schlägt Mario Vuskovic eine Sperre von unter einem Jahr vor. HSV-Profi lehnt ab
  • Sportrechtler Kletke fordert Freispruch, weil Wada richterlich angeordnete C-Probe verhindert
  • Gel gebrochen: Weiterer Gutachter dokumentiert neue Zweifel am positiven Epo-Test

Ein im Zoo eingesperrter Löwe baut seinen Stress und seine Frustration ab, indem er in seinem Käfig die immer gleiche Strecke auf- und abläuft. Das sogenannte Weben entwickelt sich, wenn die in ihrer Bewegung eingeschränkten Raubkatzen nicht mehr auf Beutejagd gehen können, obwohl dies ihrem Naturell entspricht. Es ist ein Verhaltensmuster, das am vergangenen Freitag auch bei Mario Vuskovic zu beobachten war.

Der positiv auf Epo getestete HSV-Profi konnte seine Anspannung nicht mehr zurückhalten, als seine Anwälte bei der dritten Verhandlung im Dopingprozess rund 90 Minuten mit Anton Nachreiner, dem Vorsitzenden des DFB-Kontrollausschusses, über einen Vergleich verhandelten. Vuskovic lief auf dem Gang vor dem Saal des DFB-Sportgerichts hin und her. Mal kniete er, dann verfiel der vorläufig gesperrte Abwehrspieler zurück in das Verhaltensmuster eines eingesperrten Löwen.

Mario Vuskovic: Warum er DFB-Sperre ablehnte

Das lange Warten muss Mario Vuskovic länger vorgekommen sein als die Dauer eines Fußballspiels. Nach eineinhalb Stunden präsentierten ihm seine Anwälte schließlich Nachreiners überraschendes Angebot. Erstmals in der Geschichte des Sportgerichts wich der Kontrollausschuss, der im Sportrecht die Anklage der Staatsanwaltschaft übernimmt, vom DFB-Regelwerk ab, das neben einem für Nachreiner nicht vorstellbaren Freispruch nur die Möglichkeit einer Sperre von vier oder zwei Jahren (bei nicht wissentlichem Doping) vorsieht.

Nach Abendblatt-Informationen soll Nachreiner Vuskovic sogar eine erheblich mildere Strafe von unter einem Jahr angeboten haben. Doch der Kroate lehnte ab. Weil er seine Unschuld beteuert und so schnell wie möglich wieder seiner Leidenschaft, dem Fußballspielen, nachgehen will. Für Vuskovic steht fest: Er wird niemals zugeben, gedopt zu haben, auch nicht für eine geringe Sperre.

Mario Vuskovic: Experte Kletke fordert Freispruch

Ohnehin könnte eine milde Strafe die Erfolgsaussichten der Welt-Antidoping-Agentur Wada in einem dann mit großer Sicherheit folgenden Berufungsverfahren sogar erhöhen, weil die Antidoping-Richtlinien des DFB keinen Spielraum vorsehen. „Dieses extrem apodiktische Strafmaß kann man kritisieren, die Bedenken sind berechtigt“, sagt Rechtsanwalt Horst Kletke dem Abendblatt. „Es kommt allerdings keiner – auch nicht der Kontrollausschuss – am Regelwerk vorbei. Die Richter können sich nicht darüber hinwegsetzen.“

Da eine konsensuale Lösung scheiterte, will DFB-Richter Stephan Oberholz in den kommenden zwei Wochen ein schriftliches Urteil nachreichen.

Für Rechtsanwalt Kletke, der schon bei etlichen Prozessen vor dem Sportgericht anwesend war, kann es nur eine Entscheidung geben. „Ich würde es für konsequent betrachten, Mario Vuskovic auf Basis der aktuell erheblichen Zweifel am positiven Ergebnis der A- und B-Probe sowie der verweigerten erneuten Dopinganalyse freizusprechen.“

Warum Vuskovic auf Freispruch hoffen darf

Der Sportrechtler stützt seine Prognose auf Oberholz’ unvollständigen Beweisbeschluss vom zweiten Prozesstag, als der Richter eine sogenannte C-Probe angeordnet hatte. Der Kanadier Jean-Francois Naud sollte Vuskovics Urin vom 16. September erneut untersuchen, weil die vier Gutachter der Verteidigung den Epo-Test in umfangreichen Schriftsätzen als „falsch-positiv“ bezeichneten.

Doch Naud, der dem DFB eine erneute Dopinganalyse zunächst zugesagt hatte, verweigerte den Auftrag plötzlich, weil ihm die Wada mit dem Verlust seiner Laborakkreditierung drohte. Da die Wada, deren Reglement keine C-Probe vorsieht, der Nada zudem die Herausgabe des momentan in Kreischa eingefrorenen Urins untersagte, um einen Präzedenzfall zu verhindern und ihr System zu schützen, wurde Oberholz’ nach wie vor gültiger Beweisbeschluss nicht umgesetzt.

„Wenn die Probe nicht doch noch freigegeben wird, sollte es auf einen Freispruch hinauslaufen“, sagt Kletke. „Der Spieler hat alles getan, um für Transparenz zu sorgen. Er trägt nicht die Schuld, dass die Probe nicht freigegeben wird.“

Mario Vuskovic: Weitere Zweifel an Epo-Test

Zur Erinnerung: Neben einer C-Probe stimmte Vuskovic einem vom DFB verweigerten DNA-Test zu und bestand einen Lügendetektortest. Dieser ist in Deutschland zwar nicht anerkannt, doch welche Möglichkeiten bleiben einem Menschen, um etwas zu beweisen, das er nach eigener Aussage nicht getan hat?

Obwohl der Kroate in der Beweispflicht ist, gilt für Kletke der Grundsatz „In dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten. Und die Zweifel an Vuskovics Schuld sind erheblich. Neben dem bekannten Vorwurf einer Proteinüberladung des Teststreifens, die zu einem falsch-positiven Ergebnis geführt haben soll, stellte der von der Verteidigung bei der B-Probe beauftragte niederländische Gutachter Douwe de Boer einen Bruch des Gels fest, auf dem der Urin aufgetragen wurde.

Zudem sagte Vuskovics vom Gericht befragter Gutachter Lorenz Hofbauer aus, dass bei Epo-Betrügern der Anteil von legalem körpereigenen Epo gen null gehe. Bei Vuskovics Probe ist dieser Anteil dagegen sehr hoch.

Mario Vuskovic: C-Probe dank Staatsanwaltschaft?

Für Klarheit könnte wohl nur eine C-Probe von einem nicht-Wada-akkreditierten Labor sorgen. Richter Oberholz ließ deshalb offen, ob er, statt ein Urteil zu verkünden, die Beweisaufnahme noch einmal öffnet. Für diesen Fall brachte die Verteidigung eine Beschlagnahmung der von der Wada nicht freigegeben Urinprobe durch die Staatsanwaltschaft ins Spiel. Voraussetzung wäre ein Antrag bei der strafrechtlich parallel ermittelnden Behörde.

„Ich kann mir vorstellen, dass ein solcher Antrag erfolgreich wäre, da es berechtigte Zweifel am positiven Dopingbefund zu geben scheint“, erklärt Rechtsanwalt Kletke, der zudem die Frage nach einem Missbrauch des Eigentumsrechts aufwirft. „Die Frage wäre doch, ob der Spieler möglicherweise nicht eigene Rechte an seinen Proben zum Zwecke der Herausgabe hat?“ Zu prüfen wäre eine Antwort erst nach einem Antrag der Verteidigung.

Weiter verteidigen wird sich auch HSV-Profi Vuskovic, der am Freitag von seinen Gefühlen übermannt worden war und weinte. Ans Aufgeben denkt der 21-Jährige deshalb aber nicht, wie sein Anwalt Joachim Rain unterstrich: „Mario Vuskovic kämpft wie ein Löwe um seine Unschuld.“