Frankfurt. Im Dopingprozess Mario Vuskovic wird ein Urteil erwartet, das erhebliche Auswirkungen hat – auch für den HSV.
An diesem Freitag werden die Augen im Saal „Golden Goal“ auf dem DFB-Campus in Frankfurt auf Stephan Oberholz gerichtet sein. Um 13 Uhr wird der Vorsitzende des Sportgerichts die dritte Verhandlung im Doping-Prozess um Mario Vuskovic eröffnen.
Der am 16. September 2022 positiv auf Erythropoetin (Epo) getestete HSV-Profi wird Oberholz‘ Worte mit Argusaugen verfolgen. An seiner Seite werden Dolmetscher Aleksandar Miladinovic sowie seine drei Hauptanwälte Joachim Rain, Rainer Cherkeh und HSV-Justiziar Philipp Winter sitzen.
Von der ersten Zuschauerreihe aus werden sich Vuskovics Mutter und sein Berater Damir Smoljan das Geschehen mitansehen. Dahinter werden sich rund 40 Medienvertreter einfinden, ehe HSV-Sportvorstand Jonas Boldt in der letzten Reihe folgt.
Mario Vuskovic: Welches Urteil fällt Oberholz?
Der Fall Vuskovic hat längst weltweite Aufmerksamkeit generiert. Nachdem der Prozessausgang mit der positiven A- und B-Probe bereits eindeutig schien, hat sich inzwischen ein echter Krimi um die Fortsetzung der Karriere eines 21-Jährigen entwickelt. Das Abendblatt hat mehrere Doping- und Rechtsexperten befragt, die sich allesamt uneins sind, welches Urteil Oberholz sprechen wird.
Möglich wären ein Freispruch sowie eine Sperre von vier oder zwei Jahren (bei nicht wissentlichem Doping). Da Vuskovic weiterhin seine Unschuld beteuert, ein strafmilderndes Urteil durch die Benennung der Epo-Hintermänner also ausfällt, lassen die DFB-Regularien keine Alternative zu den drei Szenarien zu.
Denkbar wäre lediglich eine weitere Vertagung. Doch die Ansetzung einer vierten Verhandlung wird weder vom DFB noch von der Verteidigung oder der prozessbegleitenden Welt-Antidoping-Agentur (Wada) und Nationalen Antidoping-Agentur (Nada) angestrebt.
Vuskovic: Welche Konsequenzen ein Urteil hätte
Klar ist, dass bei einem Urteil die unterlegene Partei in Berufung gehen wird. Während Vuskovic bei einer Verurteilung erst die Instanzen DFB-Bundesgericht und -Schiedsgericht durchlaufen müsste, ehe der Fall vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) landen könnte, zögen Wada oder Nada bei einem Freispruchs direkt vor den CAS – und zwar nicht gegen Vuskovic, sondern den DFB.
Ist Oberholz‘ Entscheidung also obsolet? Mitnichten, denn sie hat erhebliche Auswirkungen. Bei einer Verurteilung würde sich zunächst wenig ändern: Vuskovic bliebe mindestens für mehrere Monate bis zu einem neuen Urteil durch das DFB-Bundesgericht gesperrt. Sollte das Urteil vor allen Instanzen Bestand haben, käme dies einem Karriereende für Vuskovic und einem finanziellen Totalschaden für den HSV gleich.
Spräche Oberholz den Abwehrspieler dagegen frei, wäre dessen vorläufige Sperre mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Vuskovic, der sich aktuell privat in seiner kroatischen Heimatstadt Split fit hält, dürfte plötzlich wieder am Mannschaftstraining teilnehmen und den HSV zum Aufstieg verteidigen.
Parallel würde der Fall zwar wegen der in Berufung gehenden Wada vor dem CAS weiterverhandelt. Doch Vuskovic wäre erst einmal wieder spielberechtigt – und hätte auf einmal wieder einen Marktwert. Ein für den HSV nicht ganz unwesentlicher Aspekt.
Für den HSV geht es um viele Millionen
Zur Erinnerung: Im vergangenen Sommer soll der HSV eine lose Zehn-Millionen Euro-Anfrage der beiden Premier-League-Clubs Wolverhampton Wanderers und FC Brentford für Vuskovic abgelehnt haben. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Hamburger, die das Abwehrjuwel zunächst für 1,2 Millionen Euro von Hajduk Split ausliehen und vor einem Jahr die Kaufoption von drei Millionen Euro zogen, bereits 4,2 Millionen Euro zuzüglich Gehalt in den kroatischen U-21-Nationalspieler investiert.
Es sollte ein Investment in die Zukunft sein. Denn Vuskovic sollte den HSV nicht nur zum Aufstieg führen, er sollte zudem vor Ablauf seines bis 2025 datierten Vertrags gewinnbringend verkauft werden. Und zwar für mehr als zehn Millionen Euro. Doch von einer solchen Summe kann der HSV mittlerweile nur träumen. Es sei denn, Oberholz entscheidet sich am Freitag für einen Freispruch.
Fall Vuskovic: Oberholz’ schwierige Aufgabe
Auf welcher Basis der DFB-Richter allerdings zu einem Urteil kommen will, das seinen Ansprüchen gerecht wird, ist selbst für viele vom Abendblatt befragte Rechtsexperten fraglich. „Es bleiben ungeklärte Fragen und aufklärungsbedürftige Umstände. Wenn schon Wissenschaftler unter sich uneins über die Bewertung von Bildern sind, übersteigt das die Sach- und Fachkunde des Gerichts“, hatte Oberholz nach dem zweiten Prozesstag gesagt und damit die Anordnung einer C-Probe durch den kanadischen Wada-Forscher Jean-Francois Naud begründet.
Doch weil dies den Regeln der Wada widerspricht, lehnte die mächtige Organisation eine erneute Analyse der Dopingprobe vom 16. September ab. Und das, obwohl Naud dem DFB diese in einem Vorgespräch zugesichert hatte. Immerhin erstellte Naud das ebenfalls vom DFB angeforderte Gutachten, in dem der Kanadier das positive Epo-Ergebnis des für die A- und B-Probe verantwortlichen Labors in Kreischa bestätigte.
Mit der Hilfe von vier eigens engagierten Gutachtern widerspricht die Verteidigung Naud in allen Punkten und zweifelt seine Unabhängigkeit an, da er einer Epo-Arbeitsgruppe mit Kreischas Laborchef Sven Voss angehört.
Vuskovic: Wada verfolgt politische Interessen
Ohnehin verfolgt die Wada im Fall Vuskovic längst auch politische Interessen. Da eine C-Probe einen Präzedenzfall auslösen würde, soll diese mit aller Macht verhindert werden. Um das eigene System zu schützen, verteidigt die Wada auch die bei der Analyse von Vuskovics Dopingprobe angewendete Sar-Page-Methode.
Ein Verhalten, das längst für Diskussionen unter den Wissenschaftlern sorgt. Die Fachberater der Verteidiger fordern die Anwendung der sogenannten Massenspektrometrie. Die Wada hält dagegen und sagt, nur mit der Sar-Page-Methode lasse sich der Unterschied zwischen legalem körpereigenen und körperfremden Epo erkennen.
Welche Seite recht hat, soll nun der fachfremde Oberholz entscheiden. Eine für ihn in dieser Komplexität noch nie dagewesene Aufgabe, die er sich allerdings selbst erschwert hat, indem er nicht für die Umsetzung der von ihm angeordneten C-Probe sorgte – beispielsweise durch einen neutralen Epo-Forscher.
Mario Vuskovic: HSV-Profi in Beweispflicht
Auch die am ersten Prozesstag von der Verteidigung aufgelisteten Indizien für Verfahrensfehler muss Oberholz in seiner Urteilsfindung berücksichtigen. Zur Erinnerung: Dopingkontrolleur Markus Jungbluth hatte Vuskovic nicht über seine Rechte aufgeklärt und den Urin drei Tage in seinem unverschlossenen privaten Kühlschrank gelagert. Zudem wurde die Kühlkette beim Probenversand nach Kreischa für 24 Stunden unterbrochen.
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Die von der Verteidigung aufgelisteten Ergebnisse eines von Vuskovic bestandenen Lügendetektortests sowie eines Hautscreenings, das zwei Monate nach dem Dopingtest durchgeführt wurde und fehlende Einstiche durch Epo-Spritzen dokumentieren soll, sind derweil nicht Bestandteil der Urteilsfindung, da beide Beweise juristisch keinen Bestand haben.
Für Mario Vuskovic kommt erschwerend hinzu, dass er im Sportrecht in der Beweispflicht ist. Dies stellt den größten Unterschied zum Strafrecht dar. In der Theorie könnte das Sportgericht den HSV-Profi verurteilen, während die parallel laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft mangels Beweislast eingestellt werden. Doch zunächst einmal hat Oberholz das Wort.