Schwimmen: Michael Phelps will als Erster acht Medaillen gewinnen
Athen. Als er am frühen Abend nach dem Training aus dem Becken im Aquatic Centre stieg, ging sein erster Griff zum Handtuch. Fast parallel dazu fummelte er mit der linken Hand seinen iPod aus dem Rucksack. Mehr als tausend Songs habe er inzwischen aus dem Internet überspielt, "das Ding ist einfach genial. Du musst nicht dauernd diese Massen von CDs mit dir rumschleppen."
Michael Phelps, das hört man ihm an, ist stolz auf seine neue Errungenschaft. Und er hätte gern ausführlich über seine musikalischen Vorlieben erzählt, wenn da nicht wieder diese Fragen nach seiner Form ("Sehr gut!"), dem Wassergefühl (Sehr griffig!") und seiner Mission ("Sehr aufregend!") gekommen wären.
Michael Phelps ist 19 Jahre alt, und der US-Amerikaner bemüht sich, das Bild des normalen Teenagers aufrechtzuerhalten. Seine Schüchternheit wirkt nicht ge-spielt, das überbordende Interesse an seiner Person scheint ihn immer noch zu überraschen. Seine Antworten klingen bescheiden. Sie sind ehrlich. Nein, acht Goldmedaillen in Athen zu gewinnen, daran denke er momentan nicht. "Jedes Rennen ist einzigartig", sagt er, "ich mache eins nach dem anderen."
Olympia sucht den Superstar. Er scheint schon vor der heutigen Eröffnungsfeier gefunden. Einer wider Willen. Michael Phelps soll bei diesen Spielen acht Mal Gold aus dem Schwimmbecken fi-schen und damit die Marke seines Landsmannes Mark Spitz (54), dem mit dem Schnauzbart, übertreffen. Der schlug 1972 in München sieben Mal als Erster an. Phelps' Ausrüster Speedo hat ihm eine Million Dollar ausgelobt, sollte er Spitz' Marke einstellen. Ein gelungener Marketing-Gag.
Phelps hat das Geld nicht dringend nötig. Seine Sponsorenein-nahmen werden auf jährlich fünf Millionen Dollar geschätzt. Selbst der Gewinn von acht Medaillen wäre eine Notiz wert. Das schaffte nur der sowjetische Kunstturner Alexander Ditijatin bei den Boykottspielen 1980 in Moskau. Er holte drei Mal Gold, vier Mal Silber und ein Mal Bronze. Sechs der Medaillen gewann er an einem Tag.
Und nun Michael Phelps. Vier Mal Weltmeister, zwölf Weltrekorde. 2003 gewann er 51 Rennen, stellte in 43 Tagen sieben Weltrekorde auf. Bis zu 17 Starts, 3300 Meter, liegen bis zum 21. August vor ihm im Wasser. Seine Siege über 200 und 400 Meter Lagen, am Sonnabend wohl sein erster Triumph, und 200 Meter Schmetterling haben die Experten abgebucht. Danach wirds schwerer: Über 100 Meter Schmetterling hält sein Landsmann Ian Crocker den Weltrekord. Den muss er schlagen, will er in die US-Lagenstaffel.
Phelps war zuletzt rund vier Zehntel langsamer. Über 200 Meter Freistil trifft er auf die Australier Ian Thorpe, Grant Hackett und den Niederländer Pieter van den Hoogenband. Wenn er nur einen dieser drei hinter sich lasse, sagt der Hamburger Stützpunkt-trainer Dirk Lange, "hat er einen guten Job gemacht". Und ob sich die US-Freistilstaffeln gegen die Australier durchsetzen können, bleibt abzuwarten. "Wenn es für ihn sehr gut läuft", sagt Lange, "gewinnt er sieben Medaillen, davon vier oder fünf goldene."
Michael Phelps aus Baltimore, 1,95 Meter groß, 88 Kilo schwer, langer Oberkörper, kurze Beine, der als Kind am Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom ADS litt und dagegen Ritalin schluckte, gilt als einer der begabtesten Schwimmer aller Zeiten. Sein Trainer Bob Bowman schätzt seine Gelenkigkeit, seinen Trainingsfleiß und die Belastbarkeit.
2003 zog er Weihnachten vormittags und abends seine Bahnen. "Das Projekt Athen duldete keine Kompromisse", sagte Phelps in Athen. Und wenn es nicht einen Michael Schumacher gebe, würde Phelps' ausladende Kinnpartie diesen Worten möglicherweise einen anderen Sinn geben. Doping? Wachstumshormone? Michael Phelps wendet sich wortlos ab und steckt sich seine Knopfkopfhörer in die Ohren. Musik, bitte!