Schwimmen: Weltmeisterin Hannah Stockbauer über ihre mentalen Fortschritte, den Druck und die privaten Opfer einer Spitzensportlerin
ABENDBLATT: Frau Stockbauer, Sie machen bei Siemens ab Oktober in Erlangen eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Das Unternehmen hat gerade an einigen Standorten die 40-Stunden-Wochen ohne Lohnausgleich wieder eingeführt. Schreckt Sie das?
HANNAH STOCKBAUER: Erstens bin ich Siemens dankbar für diese Chance, dass ich meine Birne mal wieder auf Vordermann bringen kann, zweitens habe ich in diesem Jahr beim Training noch mal die Umfänge und die Intensität erhöht. Vollkommen freiwillig.
ABENDBLATT: Weil Sie sich mit Gold in Athen belohnen wollen.
STOCKBAUER: Davon träume nicht nur ich, sondern alle meine Konkurrentinnen. Und die haben sich wohl ebenso hart vorbereitet wie ich. Nicht alle Wünsche können am Ende in Erfüllung gehen.
ABENDBLATT: Athen sind Ihre zweiten Spiele nach Sydney 2000. Dort wurden Sie als Mitfavoritin Fünfte über 800 und Sechste über 400 Meter Freistil. Sie sagen, Sie seien jetzt viel erfahrener. Was bedeutet das?
STOCKBAUER: Ich war in Sydney schon ein bisschen erschrocken über meine Ergebnisse. Zwischen Athen und Sydney liegen aber vier Jahre und fünf WM-Titel. Ich habe bewiesen, dass ich auf höchstem Niveau gewinnen kann. Olympische Spiele sind im Prinzip ja nichts anderes als Weltmeisterschaften, nur dass sie alle vier Jahre stattfinden. Allerdings bereitet sich jeder auf Olympia länger und umfangreicher vor als auf Weltmeisterschaften, es ist noch mal ein ganzes Stück schwerer, erfolgreich zu sein.
ABENDBLATT: Aber wie ist es um Ihre Erfahrung bestellt?
STOCKBAUER: Erfahrung heißt, dass ich die Abläufe kenne, meine Konkurrenten einschätzen kann, ich weiß, wie ich mich zu verhalten habe, weil ich das alles bereits erlebt habe. Das Resultat ist: Ich bin selbstbewusster geworden und lasse mich nicht mehr von äußeren Dingen beeinflussen. Ich habe eine gewisse Routine entwickelt.
ABENDBLATT: In den vier Jahren seit Sydney ist aber der Druck auf Sie auch größer geworden. Man erwartet Medaillen von Ihnen. Wie gehen Sie damit um?
STOCKBAUER: Den Druck, den die Öffentlichkeit - auch mit Fragen wie dieser - aufbaut, versuche ich so gut wie möglich zu ignorieren. Ich mache mir schon selbst genug Druck, mit dem ich inzwischen gut umzugehen weiß. Zum Glück ist Franziska van Almsick in Athen wieder dabei. Auf sie wird sich das allgemeine Interesse weit mehr fokussieren als auf mich. Das gibt mir Freiräume. Aber: Vor einem Jahr bei der WM in Barcelona, als Franziska fehlte, und viele Erwartungen auf mich gerichtet waren, habe ich drei Titel geholt. Ich kann also mit Druck umgehen.
ABENDBLATT: Was erwarten Sie in Athen von sich?
STOCKBAUER: Das Allerwichtigste ist: dass ich Bestzeiten schwimmen, dass ich schneller bin als im Vorjahr! Wenn ich das nicht schaffe, hätte ich wohl ein Problem, dann hätte sich die ganze Schinderei nicht gelohnt, dann hätte ich mir ganz umsonst den Hintern aufgerissen.
ABENDBLATT: Wir hätten gern gehört, dass Sie Olympiasiegerin werden wollen.
STOCKBAUER: Ich bin nicht der Typ, der sagt, ich will zwei Goldene. Das steht ja auch nur bedingt in meiner Macht, denn meine Konkurrentinnen wollen genau das verhindern. Wenn ich aber die Leistungen bringe, die ich von mir erwarte, sollte schon eine Medaille drin sein. Ich verspreche, ich werde bis zum letzten Anschlag kämpfen. Die letzte Bahn, die letzten 50 Meter, das wird immer meine Stärke sein.
ABENDBLATT: Franziska van Almsick arbeitet seit zweieinhalb Jahren in Berlin mit einer Psychologin zusammen. Käme das auch für Sie in Frage?
STOCKBAUER: Ich vertraue auf mein intaktes Umfeld, meinen Trainer Roland Böller, meine Eltern. Die haben mir bisher immer zu helfen gewusst.
ABENDBLATT: Als Leistungssportlerin nehmen Sie am Leben Ihrer Altersgenossinnen kaum teil. Wie sehr belastet Sie das?
STOCKBAUER: Es gibt Situationen, wenn die beste Freundin anruft, und sich mal kurz zum Kaffee verabreden will, dass ich Nein sagen muss, weil ich gleich Training habe. Oder dass ich auf eine Party eingeladen werde, ich aber nicht hingehen kann, weil ich am nächsten Morgen früh raus muss. Da wird dir bewusst, dass du kein ganz "normales Leben" führst, dass du Einschränkungen akzeptieren musst, auch wenn es oft Kleinigkeiten sind. Das fällt in dem Moment nicht immer leicht, die Verlockungen sind groß, ich vermisse manchmal schon etwas. ABENDBLATT: Aber Ihre Siege entschädigen Sie?
STOCKBAUER: Wenn ich auf Wettkämpfen bin, die Atmosphäre genießen kann, womöglich auf dem Treppchen stehe und die Hymne höre, ist das mehr als eine Entschädigung. Dafür lohnt es sich, den eigenen Schweinehund zu besiegen, auch wenn der gelegentlich beim Training als übermächtiger Gegner erscheint. In der Vorbereitung bin ich bis zu 16 Kilometer am Tag geschwommen. Das fiel mir nicht immer leicht.
ABENDBLATT: Sie denken also nach Athen nicht ans Aufhören?
STOCKBAUER: Kein Gedanke! Ich bin erst 22 und habe weiter großen Spaß, und ich habe noch viel vor. Ich will nach Athen erstmals vier Wochen Urlaub machen, die vergangenen Jahre waren es nie mehr als zwei. Ob ich es so lange aushalte werde, nicht zu schwimmen, wird man sehen.
ABENDBLATT: Kommt bei Ihnen kein Neid auf, wenn Sie hören, was andere Sportler verdienen, die weit weniger trainieren und weniger Erfolge haben?
STOCKBAUER: Manchmal ärgere ich mich schon. Sport ist mein Leben, ich rauche nicht, ich trinke nicht. Ich will niemandem etwas unterstellen, aber derart konsequent leben nur wenige für ihren Sport. Fakt bleibt: Schwimmen interessiert die Leute eben weniger als zum Beispiel Fußball.
ABENDBLATT: Dafür werden Sie nicht nachts bis an die Haustür verfolgt.
STOCKBAUER: Das würde ich mir auch verbitten.
ABENDBLATT: Sie mussten sich aber bei den deutschen Meisterschaften im Juni in Berlin öffentlich anhören, dass Sie zu dick seien. Und das sagte ausgerechnet Ralf Beckmann, der Cheftrainer des Deutschen Schwimmverbandes. Haben Sie ihm verziehen?
STOCKBAUER: Das empfand ich als sehr unangenehm, das hatte nichts in der Öffentlichkeit zu suchen. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum er so etwas gesagt hat. Schließlich waren das nur zwei, drei Pfund - und das in einer Phase, in der ich noch keine absolute Höchstleistung bringen musste. Der Vorfall ist jedoch längst abgehakt.
ABENDBLATT: Seit Mittwoch sind Sie in Athen. Haben Sie schon einen Eindruck gewinnen können?
STOCKBAUER: Bisher habe ich noch nicht viel mitbekommen. Ich versuche mich auf meine Wettkämpfe zu konzentrieren und hoffe, dass es bald los geht.
ABENDBLATT: Was macht für Sie die Faszination Olympia aus?
STOCKBAUER: Das olympische Dorf! Die besten Sportler der Welt auf einem Fleck, an jeder Ecke steht ein Weltstar. Die Atmosphäre ist einmalig, wunderschön. Wenn ich mit meinen Wettkämpfen durch bin, werde ich das so richtig genießen können.
Interview: Rainer Grünberg