Reiten: Bettina Hoy gewinnt zwei Mal olympisches Gold - im Einzel und mit der deutschen Military-Equipe
Athen. Als das Drama ein goldenes Happy-End gefunden hatte, weinte Doppel-Olympiasiegerin Bettina Hoy hemmungslos. Was für ein Tag: Erst gejubelt, dann gelitten und dann bei der Siegerehrung von den deutschen Fans gefeiert - nach einem Wechselbad der Gefühle wurden die deutschen Vielseitigkeitsreiter in Athen doch noch mit einem unglaublichen Triumph belohnt.
Allen voran die erste deutsche Doppel-Olympiasiegerin in der Vielseitigkeit. Bettina Hoy musste am Mittwoch jedoch mehrfach zittern, bis der dritte Mannschafts-Triumph nach 1936 und 1988 und ihr Einzelsieg perfekt waren.
Ein angeblicher Regelverstoß mit fataler Wirkung - die in England lebende Amazone hatte beim Teamritt die Startlinie zwei Mal überquert - wurde von der "Ground-Jury" zwischenzeitlich mit 14 Strafpunkten geahndet. Für eine gute Stunde waren die fassungslosen Deutschen damit das Gold wieder los und hatten nur Blech in Händen, weil sie bis zu einer für sie positiven Entscheidung des Schiedsgerichtes des Weltverbandes FEI sogar auf Rang vier zurück gefallen waren.
Enorme Nervenstärke bewies Hoy dann am Abend im Einzel, als sie sich nach dem ganzen Hickhack um das Mannschafts-Gold nur einen Abwurf und zwei Fehlerpunkte für Zeitüberschreitung leistete und davon profitierte, dass der in Führung liegende Franzose Nicolas Touzaint als Schlussreiter mehrfach patzte. "Papi, ich hab' Gold", rief Bettina Hoy ins ZDF-Mikrofon, nachdem sie an der Schulter ihres Mannes Andrew hemmungslos geweint hatte. "So was kann man sich in den wildesten Träumen nicht vorstellen", sagte sie zu den Vorkommnissen. "Das ist einfach unglaublich."
Als die Deutschen im Stadion bei der Siegerehrung aus den Händen der britischen Prinzessin Anne ihre Goldmedaillen erhielten, kündigte sich aber bereits der nächste Akt in dem olympischen Reiterkampf an. Die Teamleitung der Franzosen gab bekannt, den Sieg der deutschen Equipe und den Einzelerfolg von Hoy heute vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) anfechten zu wollen.
Unglaubliche Jubelszenen hatten sich schon vor dem zweiten Gold-Coup der 41-jährigen Hoy abgespielt, als die Mannschaft mit Hinrich Romeike (Nübbel) mit Marius, Frank Ostholt (Warendorf) mit Air Jordan, Andreas Dibowski (Döhle) mit Little Lemon und Ingrid Klimke (Münster) mit Sleep Late und Hoy doch wieder zum großen Gewinner geworden war. "Entscheidend war, dass die Zeitmessung nicht anging, als Bettina über die Startlinie geritten ist. Deshalb ist sie ein zweites Mal angeritten", sagte Jens Adolphsen, Vorsitzender des Vielseitigkeits-Ausschusses der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Hoy hatte bei ihrem Mannschafts-Ritt die Lichtschranke des Parcours passiert, danach aber noch eine Volte geschlagen. Erst beim zweiten Anlauf startete die Zeitnahme. Verbandspräsident Jürgen Thumann sprach sofort von einer "falschen Entscheidung" der Jury. Auch der ehemalige Springreiter-Europameister Paul Schockemöhle war zunächst entrüstet: "Man kann nicht eine falsche Richterentscheidung zu Lasten des Sportlers auslegen. Das ist eine Frechheit", sagte er. Auch er war hinterher erleichtert: "Das ging auch gar nicht anders, als diese Entscheidung zurückzunehmen."
Als vorletzte Starterin in der Team-Entscheidung war Hoy mit dem Wissen in den Parcours gegangen, dass sie mit einem fehlerlosen Ritt Gold holen würde. 20 Jahre nach dem Gewinn der Mannschafts- Bronzemedaille in Los Angeles blieb sie "cool" und leistete sich keinen Abwurf: "Je größer der Druck ist, desto besser reite ich. Ich habe mich vor vier Jahren unheimlich für meinen Mann gefreut, als er Gold mit dem Team holte. Dass ich das jetzt selbst erlebe, ist unglaublich", sagte die Frau von Sydney-Olympiasieger Andrew Hoy (Australien). "Das ist irre, das ist der totale Wahnsinn", meinte ein überwältigter Bundestrainer Hans Melzer.
Einen Schock löste der Tod des Pferdes Over and over aus, der die olympische Zukunft der ganzen Disziplin bedrohen könnte. Das im Gelände schwer gestürzte Pferd des Belgiers Joris Vanspringel musste eingeschläfert werden, weil die Schädigung durch den Bruch des Oberschenkelknochens am linken Hinterbein zu groß war.
Wegen schwerer Stürze mit Todesfolge stand die früher Military genannte Pferdesport- Disziplin auf der Streichliste der IOC-Programmkommission. Für die nächsten Spiele 2008 in Peking steht die Vielseitigkeit bereits auf dem Programm.