Ahrensburg. Planung der Deutschen Bahn verstößt laut Ahrensburger Verein Jordsand gegen EU-Recht. Organisation erwägt Klage.

Die Welle der Kritik, der sich die Deutsche Bahn derzeit wegen der Planungen für die neue S4 ausgesetzt sieht, ebbt nicht ab. Erst vor wenigen Tagen hatte der Verkehrsclub Deutschland (VCD) vor einem Chaos auf der Bahnstrecke Hamburg–Lübeck gewarnt, wenn die S-Bahn wie bislang geplant hinter dem Bahnhof Gartenholz von ihren eigenen Schienen auf die beiden bestehenden Fernbahngleise einfädelt.

Nun meldet sich der Ahrensburger Verein Jordsand zu Wort. Die derzeitige Planung der S4 sei rechtswidrig, so das Ergebnis einer Analyse der Naturschützer. Der Verein betreut das Naturschutzgebiet Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal im Süden der Schlossstadt, an dessen westlichem Rand die künftige Trasse für die S-Bahn verlaufen soll.

S4 nach Ahrensburg: Naturschutzverein hält Planungen für rechtswidrig

„Sowohl die Pläne selbst als auch die Untersuchungen, die ihnen vorausgegangen sind, verstoßen in zentralen Punkten gegen europäische Vorgaben zum Gebiets- und Artenschutz“, sagt Rolf de Vries, Jordsand-Fachreferent für das Tunneltal. Deshalb habe der Verein eine offizielle Einwendung im laufenden Verfahren zum Planfeststellungsabschnitt 3 von der Hamburger Landesgrenze bis Ahrensburg-Gartenholz eingereicht.

Das Ahrensburger Tunneltal, dessen Landschaft die Gletscher aus Skandinavien während der letzten Eiszeit vor 11.500 Jahren formten, steht seit 1982 unter Naturschutz. Seit 2007 genießt das rund 320 Hektar große Areal als Flora-Fauna-Habitat (FFH) den höchsten europäischen Schutzstatus.

Für die Schutzgebiete gilt nach EU-Recht ein Verschlechterungsverbot

Für diese durch EU-Recht geschützten Gebiete gelte eigentlich ein Verschlechterungsverbot, welches die Mitgliedsstaaten verpflichte, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Lebensräume zu ergreifen und Störungen jeglicher Art zu vermeiden, so de Vries. Das sei schwer vereinbar mit dem Bau einer S-Bahnstrecke direkt am Rand des Schutzgebiets.

Die Planungen der Deutschen Bahn sehen vor, dass für die S4, die ab Ende 2029 zwischen Hamburg-Altona, dem Hauptbahnhof und Bad Oldesloe verkehren soll, von Hamburg-Hasselbrook bis Ahrensburg zwei zusätzliche Gleise parallel zur Bestandsstrecke verlegt werden, auf der derzeit die Regionalbahnen verkehren. Eines der neuen Gleise soll bis Ahrensburg-Gartenholz weitergeführt werden.

Neue Gleise sollen mehr Verlässlichkeit und engere Taktung ermöglichen

Durch die eigene Infrastruktur soll die S-Bahn verlässlicher und zudem ein engerer Takt möglich werden. In den Hauptverkehrszeiten soll die S4 alle zehn Minuten zwischen Ahrensburg und dem Hamburger Hauptbahnhof fahren. Außerdem wird die Bestandstrasse stärker für den Güterverkehr vom und zum Fehmarnbelttunnel benötigt, wenn dieser Ende des Jahrzehnts fertiggestellt ist. Die Bauarbeiten sollen 2027 beginnen und rund zwei Jahre dauern.

Gebaut wird zwar nicht im Naturschutzgebiet selbst, wie die Bahn betont, aber der Verein Jordsand befürchtet dennoch nachteilige Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt, insbesondere durch Baustraßen und -verkehr, Rodungen und Lärm. Auch werde der Boden durch den Einsatz schwerer Baumaschinen verdichtet, was den Grundwasserhaushalt des moorigen Gebietes beeinflusse.

Jordsand will Gütertrasse über Büchen und S4 nur bis Rahlstedt

„Ausnahmen von dem Verschlechterungsverbot sind nur zulässig, wenn es keine zumutbaren Alternativen gibt. Eine sach- und fachgerechte Prüfung hat es in diesem Fall aber nicht gegeben“, sagt de Vries. Jordsand sieht eine solche Alternative in dem Ausbau der Strecke Lübeck–Büchen–Lüneburg für den Güterverkehr. Die S4 und damit die zusätzlichen Gleise könnten dann in Hamburg-Rahlstedt enden und die Regionalbahn weiterhin auf der Bestandsstrecke fahren.

Derzeit läuft das Planfeststellungsverfahren für den dritten Bauabschnitt der S4 von der Landesgrenze bis Ahrensburg-Gartenholz.
Derzeit läuft das Planfeststellungsverfahren für den dritten Bauabschnitt der S4 von der Landesgrenze bis Ahrensburg-Gartenholz.

Der beabsichtigte, schwerwiegende Eingriff in das FFH-Gebiet sei angesichts dieser möglichen Alternative unzulässig, heißt es in der Stellungnahme des Vereins. Die Bahn hingegen hat bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die ausgewählte Güterverkehrstrasse über Hamburg und Lübeck die direkteste und damit ökonomisch und ökologisch sinnvollste Variante sei, es zudem an möglichen Alternativtrassen ebenfalls Konfliktpunkte mit der Natur oder Wohnbebauung gebe.

Im Tunneltal leben geschützte Tierarten wie Kammmolch und Moorfrosch

Besonders dramatische Auswirkungen befürchtet Jordsand auf die im Tunneltal beheimateten Tiere, darunter Kammmolch, Moorfrosch und Fischotter. Alle drei Arten sind streng geschützt. Die Bahntrasse zerschneide schon jetzt die Lebensräume der Tiere und verhindere deren natürliche Wanderungen. „Kammmolche beispielsweise verfügen über einen starken Wandertrieb, legen Entfernungen von bis zu 500 Meter zurück“, sagt Naturschutzexperte de Vries. Durch die Verdopplung der Trassenbreite und den Bau von Lärmschutzwänden nehme die isolierende Wirkung der Gleise noch zu.

Die in den Planungen vorgesehenen Kleintierdurchlässe hält de Vries nicht nur für unzureichend, sondern sogar für gefährlich. Die Amphibien würden dadurch auf die Gleise geführt, kämen aber nicht wieder von ihnen herunter. In seiner Einwendung verweist der Verein darauf, dass es überhaupt keine Untersuchungen gebe, inwieweit eine erfolgreiche Querung bei einer viergleisigen Strecke möglich sei.

Verein fordert für Amphibien Kleintiertunnel unterhalb der Bahntrasse

„Es gibt eine Studie aus der Schweiz, die zeigt, dass Kammmolche nicht nur durch Überfahren sterben, sondern schon die Druckwelle, welche die Züge erzeugen, tödlich ist“, sagt de Vries. Einzige sinnvolle Lösung seien deshalb Kleintiertunnel unter dem Gleisbett, von denen man aber nicht wisse, ob sie in der bei einer so breiten Trasse erforderlichen Länge von den Amphibien angenommen werden.

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Der Fischotter hingegen sei in der Plausibilitätsprüfung aus dem Jahr 2021 überhaupt nicht berücksichtigt worden. Das stelle ein Ermittlungsdefizit dar, „das zur Rechtswidrigkeit der planerischen Abwägung führt.“ Problematisch für die Säugetiere sei vor allem der erwartete Baulärm. Besonders betroffen sei der Bereich um ein Regenrückhaltebecken am Bahnübergang Brauner Hirsch, in dessen Umfeld „Baustraßen und großflächige Baueinrichtungen“ vorgesehen seien.

Baustraßen verlaufen nahe Brutgebieten geschützter Vogelarten

Während der Arbeiten „würden mitten im Lebensraum des Fischotters Fahrten mit Lkw und Baumaschinen erfolgen und sich dort ständig zahlreiche Menschen aufhalten“, heißt es in der Stellungnahme des Vereins. In dem Gebiet brüten laut Jordsand auch Vogelarten, die unter die europäische Vogelschutzrichtlinie fallen, darunter die Bekassine, Feldlerche und der Kiebitz.

„Bei einer derartigen Lärmbelastung können sich dort keine der geschützten Vogelarten aufhalten und brüten, sodass die Funktion der Brutplätze vollständig entwertet würde“, so das Fazit des Vereins. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Artenschutzfachbeitrag bei einer solchen Sachlage von einer „nur randlichen und temporären“ Beeinträchtigung ausgehen könne, die Planung sei daher „mit europäischem Artenschutzrecht nicht vereinbar.“

Verein Jordsand erwägt Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht

Überhaupt seien viele Voruntersuchungen mehr als fünf Jahre alt und gäben den aktuellen Stand nicht wieder, bemängelt de Vries. Hier fordert der Experte Nachbesserungen. Auch müsse die Bahn garantieren, dass Ausgleichsflächen für Eingriffe in die Natur in direkter Umgebung erfolgten. „Dem Kammmolch nützt es nichts, wenn 50 Kilometer weiter ein Wald aufgeforstet wird“, so de Vries.

Der Ahrensburger sieht nun die Bahn am Zug. Allzu optimistisch ist er allerdings nicht, was mögliche Nachbesserungen betrifft. In der Vergangenheit seien die Forderungen der Naturschützer stets „mit leichtsinnigen Argumenten infrage gestellt“ worden. Deshalb bereitet man sich beim Verein Jordsand bereits auf den Ernstfall vor: den Gang vor das Bundesverwaltungsgericht.

Naturschützer hatten bereits im ersten Bauabschnitt in Hamburg geklagt

Bereits im ersten Planfeststellungsabschnitt auf Hamburger Gebiet hatte der Verein geklagt, war in Leipzig aber gescheitert. Doch davon möchte sich de Vries nicht abschrecken lassen. „Wenn der Planfeststellungsbeschluss vorliegt, werden wir weitersehen“, sagt er. Bei den derzeitigen Planungen dürfe es zum Wohl der Tiere und Pflanzen im Tunneltal aber in keinem Fall bleiben.