Hamburg. Alternative Stadtbahn? Experten-Gremium sieht Versäumnisse und zweifelt die Umweltbilanz der U5 an. Doch es gibt auch Positives.

Klima, Klagen, Kosten: Es gibt wenige Verkehrs- oder Bauprojekte, die so umstritten und dennoch buchstäblich so wegweisend sind wie die geplante U-Bahnlinie U5 in Hamburg. Was wie ein Gemeinplatz klingt, ist knapp zusammengefasst das Urteil von Expertinnen und Experten, die es genau wissen müssen. Der prominent besetzte Klimabeirat des Hamburger Senats hat sich intensiv mit der U5 befasst und dabei Schwachstellen und Versäumnisse in der Planung offengelegt.

Gleichzeitig jedoch hat das 14-köpfige Gremium um Prof. Daniela Jacob (Climate Service Center Germany), Prof. Werner Beba (HAW), Prof. Anita Engels (Klima Exzellenzcluster CLICCS) und Prof. Claudia Kemfert (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) in einer neuen Analyse gezeigt, die dem Abendblatt vorliegt: Wenn die U5 auf der ganzen 25 Kilometer langen Linie kommt, kann sie schon im Bau klimaschonendere Technologien befördern. Die Klima-Gurus greifen mit Blick auf die U5 zum ganz großen verbalen Besteck: „Der Bau der Gesamtstrecke der U5 gehört zu den größten kommunalen Infrastrukturvorhaben Europas“, heißt es in der „Stellungnahme zu einer klimaverträglichen Ausgestaltung des Baus der U5“.

U5 in Hamburg: Wie viel Klimaschutz bringt die U-Bahn?

Und wer U-Bahnen baut, bewegt gigantische Mengen an Erde (zwölf Millionen Tonnen) und braucht nicht minder gigantische Mengen an Stahl und Beton. All das führt zu einem Ausstoß an Treibhausgasen (vor allem CO2), der durch den Betrieb der U5 als klimafreundlicher Fortbewegung für Hunderttausende jeden Tag wieder ausgeglichen werden muss. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, dass der Staat qua Grundgesetz seine Bürger vor den „Gefahren des Klimawandels“ schützen und Klimaneutralität herstellen muss, stellt sich für jedes Projekt die Gretchenfrage: Wie viel Klimaschutz muss ich garantieren, wenn ich erst einmal einen Klimaschaden anrichte?

In der Anhörung im Verkehrsausschuss sagte Mobilitätswendesenator Anjes Tjarks (Grüne) am Donnerstag mit Blick auf die anstehenden Projekte bei S- und U-Bahn: „Wir werden nur besser, wenn wir das jetzt mal zwei Jahrzehnte aushalten.“ Tjarks spielte auf die gewaltigen Baustellen an. Und er gab zu: „Man muss durch das Tal der Tränen gehen."

Wie aus mehreren Präsentationen hervorgeht, rechnet die Hamburger Hochbahn in etwa so: 270.000 Fahrgäste an jedem Tag, Betrieb komplett mit grünem Strom – und schon in der Bauphase wird mit neuen Technologien „grün“ hergestellter Stahl und Beton verwendet. Zusätzlich sorge die Anbindung neuer bislang „schnellbahnfreier“ Stadtteile für zahlenmäßig bedeutende Umsteiger vom Auto (oder Diesel-Bus) auf die Bahn. Bis etwa zum Jahr 2040 soll die gesamte Strecke fertig sein.

U5: Die Strecke beträgt rund 25 Kilometer

Die Kritiker und Kläger sagen dagegen: Der CO2-Ausstoß wird schon durch den Bau so groß sein, dass Hamburg seine Klimaziele bis zum Jahr 2030 verfehlen wird. Das formuliert der Klimabeirat ähnlich. Tjarks sprach dem Gremium im Verkehrsausschuss die U5-spezifische Kompetenz ab. Die Ausschussvorsitzende Heike Sudmann (Linke), die die U5 unter anderem wegen der Klimabilanz kritisch sieht, fragte Tjarks: „Wofür haben wir denn den Klimabeirat?“

Eine aufwendige private Studie berechnete einen Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase, der in Hunderten Jahren nicht ausgeglichen werden könne. Das wird in einem neuen Gutachten der Universität Innsbruck für die Hochbahn angezweifelt. Dort heißt es über die Schadstoff-Szenarien der als „Die drei Rentner“ bekannt gewordenen Umweltverträglichkeitsexperten: Das seien „gute, allgemeine Ansätze, aber vielfach deutlich überhöht und nicht realistisch“.

Von den neun Klageverfahren gegen die U5 wurden drei außergerichtlich beigelegt. Über die Bedingungen ist nichts bekannt. Bei den verbleibenden sechs ist die Hochbahn optimistisch, sie ebenfalls befrieden zu können.

Trickserei beim Berechnen der CO2-Bilanz?

Der Klimabeirat rügt die Planer: Die Hochbahn habe schon beim ersten Abschnitt gar keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgelegt. „In den Planungsunterlagen zur U5-Ost sind keine Aussagen zum Energieeinsatz und zu den CO2-Emissionen während der Bauphase enthalten.“ Und noch gravierender: „Der Beitrag der U5-Ost zu der notwendigen Reduzierung der CO2-Emissionen im Sektor Verkehr fällt somit vergleichsweise gering aus.“ Für die Gesamtstrecke müssten Hochbahn und Senat noch nacharbeiten, um den Klimanutzen zu belegen.

Durch die Blume wirft der Klimabeirat den U-Bahnern sogar Trickserei vor. Es gebe „Lücken in den Planunterlagen“ schon der U5-Ost. Die Tunnelbohrer hätten mit CO2-freundlichem Beton gerechnet und somit ihrer Klimabilanz einen „Bonus“ verschafft. Dabei erscheine „die pauschal angesetzte Gutschrift als zu großzügig“.

U5 versus Stadtbahn: Nie eine Alternative geprüft?

Positiv für die Klimaräte: „Würde das Projekt mit den in der Bilanzierung von August 2022 vorgesehenen CO2-ärmeren Baumaterialien und -verfahren umgesetzt, könnte der Bau der U5 durch die Nachfrage erheblicher Mengen an CO2-armem Zement und Stahl den notwendigen Dekarbonisierungsprozess der Zement- und Stahlindustrie fördern.“ Die U5 könne „Maßstäbe für eine klimaverträglichere Materialbeschaffung setzen“.

Was die Kritiker anmerken, greift der Klimabeirat auf: Es wurde nie eine „Konzeptalternative“ geprüft, in diesem Falle zum Beispiel eine Stadtbahn. Sie ist politisch nicht gewollt, aus Klimaschutzgründen hätte man sich diesem Tabu aber wieder nähern müssen, sagen die Expertinnen und Experten. Die Hochbahn rechnet jedoch vor, dass bei einem Fünfminutentakt die U5 dreimal mehr Passagiere befördert als eine Stadtbahn. Senator Tjarks sagte. „Auch die Stadtbahn hat eine Bauzeit." Meint: Dass dieses Konzept zum Erreichen der Klimaziele 2030 beitragen könne, stellt er infrage.

1,7 Milliarden Euro Kosten für die U5-Ost

Der Klimabeirat mahnt zudem an, die Kosten im Blick zu haben, weil vermutlich schon die 1,7 Milliarden Euro für den ersten Teil zwischen Bramfeld und City Nord nicht zu halten sein werden. Und wenn die Kosten-Nutzen-Relation nicht mehr stimmt, hat Hamburg ein Riesenproblem, Geld vom Bund für die U5 zu erhalten.

Der Klimabeirat sieht die U5 als Gesamtwerk skeptisch: „Mit einer Bauzeit von ca. 20 Jahren stellt sich zudem die Frage, ob die U5 die angemessene Antwort auf die Dringlichkeit für mehr Klimaschutz und eine schnell wirksame Verkehrswende darstellt. Bundesweit, aber auch in Hamburg verfehlt der Sektor Verkehr deutlich die notwendigen Einsparziele.“