In unserer Serie treffen wir Menschen aus Stormarn auf ihrer Lieblingsbank. Heute ist es die mehrfach ausgezeichnete Autorin aus Barsbüttel.
Barsbüttel. "Ich wohne richtig gerne hier. Hier habe ich alle Vorteile der nahen Großstadt vor der Tür, bin aber auch in fünf Minuten in den Feldern." Das sind einige der Gründe, warum die erfolgreiche Kinderbuchautorin Kirsten Boie seit 30 Jahren in Barsbüttel lebt. Die Idee zu ihrem neuen Buch "Seeräuber-Moses" kam ihr spontan im Auto. "Wenn ich mal nicht weiterkomme, mache ich einen Spaziergang durch die Feldmark, da fällt mir schon was ein", sagt sie. Dort gibt es eine Bank, auf der sie gerne sitzt und nachdenkt. Noch etwas mag sie an ihrem Wohnort: "Wir haben eine sehr angenehme Nachbarschaft hier. Das ist etwas sehr Kostbares."
Seit 24 Jahren schreibt die 59-Jährige überaus erfolgreich Kinderbücher. ,,Ich habe immer Bücher schreiben wollen, aber dann mit 15 erfahren, dass man davon nicht leben kann." Boie studierte Deutsch und Englisch, promovierte in Literaturwissenschaften, heiratete und wurde Lehrerin in ihrer Geburtsstadt Hamburg. Erst an einem Gymnasium, dann an der Gesamtschule in Mümmelmannsberg. 1983, bei der Adoption ihres ersten Kindes, machte das Jugendamt zur Bedingung, dass sie ihre Arbeit aufgibt. Ein Leben ohne Beruf konnte sich die junge Mutter nicht vorstellen. Sie suchte nach Alternativen und fand Inspiration im Vater einer Freundin, der Heftromane schrieb. ,,Das machst du mit leichter Hand", dachte sie. Doch dazu kam es nicht. Denn plötzlich fielen ihr die ersten Sätze für "Paule ist ein Glücksgriff" ein. "Das ging ruckzuck. Ich habe drei Kapitel geschrieben und an fünf Verlage geschickt." Der Oetinger Verlag war Feuer und Flamme, denn Boie hatte mit ihrem Buch über ein adoptiertes Kind ungewollt eine Marktlücke entdeckt. Nach einem Markt für ihre Bücher sucht sie bis heute nicht; sie schreibt wozu sie Lust hat. Erst wenn das Werk fertig ist, bekommt ihr Verlag es zu Gesicht. "Mit ist schon klar, dass das für die nicht immer einfach ist mit mir, aber so ist es nun mal." Sie verfasst Literatur für alle Altersgruppen, vom Vorschulkind über Leseanfänger bis zum Teenager. Ihre Bücher bilden den Alltag der Heranwachsenden ohne pädagogischen Zeigefinger ab. Da sind Erwachsene nicht fehlerlos, Eltern nicht immer verständnisvoll und Kinder untereinander auch mal rabiat. Die Geschichten schlagen Brücken zwischen Generationen, sozialen Schichten oder In- und Ausländern. Mit Sprachwitz, Situationskomik und feiner Ironie lässt sie die Figuren agieren - sehr zum Vergnügen der Leser.
Ihre jungen Fans, die ihr pro Woche einen "ganzen Batzen" Briefe und ein Dutzend E-Mails schreiben, wollen viele wissen: Woher die Ideen für ihre mehr als 60 Bücher kommen, wo sie schreibt, wie ein Buch entsteht. So entstand auf ihrer Internetseite eine Art Foto-Roman über ihre Arbeit. Früher hat sie ihre Bücher alle mit der Hand am Küchentisch geschrieben. "Darum fällt mir an einem Tisch, der eigentlich zum Essen da ist, einfach immer noch am meisten ein." Viele ihrer jungen Leser regen neue Geschichten an. Wenn es geht, greift sie diese auf. "Geheimnis im Möwenweg" ist in Vorbereitung, "King Kong das Glücksschwein", hat sie gerade fertig geschrieben. Den jungen Meerschweinchenfan, der sich einen Band über "King Kong das Raumfahrtschwein" wünschte, musste sie enttäuschen. "Ich schreibe lieber über Dinge, mit denen ich mich auskenne."
Ihre Werke wurden in 16 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Gerade werden zwei ihrer Bücher verfilmt. "Prinz und Bottelknabe" als sechsteiliger Realfilm für das ZDF und "Der kleine Ritter Trenk" als Animationsserie. Ihr neues Werk heißt "Seeräuber-Moses" und handelt von einem Findelkind, das bei Seeräubern aufwächst. "Piratengeschichten haben mich mein Leben lang begleitet", sagt die Autorin. "Wer in den 50er Jahren in Hamburg aufwuchs, hat ganz viel Maritimes gelernt." Außerdem sei es höchste Zeit gewesen für ein Piratenbuch aus dem hohen Norden. "Schließlich gab es unsere Piraten schon im 14. Jahrhundert und die in der Karibik erst Jahrhunderte später."
Leseförderung ist ein wichtiges Thema für die Lehrerin: "Für heutige Kinder ist es viel schwieriger zu merken, dass Lesen Spaß macht. Lesen ist furchtbar anstrengend. Und bis man so weit ist, dass man es richtig gut kann, haben andere Medien das Buch längst überholt," sagt sie. Durch die erste Pisa-Studie sei ans Licht gekommen, was Lehrer lange wussten: Dass die deutschen Schüler schlecht sind in der Lesekompetenz. Das war 2001 - mitten im Harry Potter-Hype, der zeigte, dass man die Kinder eben doch für Büchern begeistern kann. "Das Vorlesen ist besonders wichtig, um den Spaß am Buch zu entdecken", sagt Kirsten Boie. Deshalb unterstützt sie auch das Projekt "Buchstart". Nach dem Vorbild von "bookstart" aus Großbritannien, das es seit 1992 gibt, versorgt das Programm jedes Kind in Hamburg bis zum Alter von vier Jahren mit kostenlosen Büchern und Leseempfehlungen. "Hamburg ist nach Sachsen das zweite Bundesland, in dem das Projekt etabliert wurde, gerade hat Hannover angefragt", sagt Boie. In Hamburg läuft Buchstart seit 2007.
Zur Schule habe sie generell ein positives Verhältnis. "Realistisch positiv", sagt sie. Im Oktober wird wieder eine Schule nach ihr benannt, die Grundschule Wallhöfen in Niedersachsen. Es ist schon die dritte Schule, die sich mit dieser Bitte an sie gewandt hat. Das ist für sie noch etwas ungewohnt, aber sehr berührend.
In den vergangenen Jahren war sie viel im Auftrag des Goethe-Institutes unterwegs, im europäischen und nichteuropäische Ausland. Auf die nächste Reise freut sie sich besonders: Wenn sie 60 wird, dann will sie mit dem Goethe-Institut auf Lesereise nach China.