In unserer Serie treffen wir Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute ist es das Ehepaar Sorgatz, bei dem es erst auf den zweiten Blick gefunkt hat.
Bad Oldesloe. "Es gibt doch dieses Lied: 'Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert'. Bei uns waren es weit mehr als tausend Berührungen, bis etwas passiert ist", sagt Anja Sorgatz und lacht. Auch ihr Mann Christian kann sich das Grinsen nicht verkneifen. "Als wir uns das erste Mal begegnet sind, habe ich ihn angeschrien", sagt sie. "Er war damals, das muss 1995 gewesen sein, mit meiner Freundin zusammen und hat sie sitzen lassen. Ich war bei ihr und habe sie getröstet." Dann habe er auf einmal vor der Tür gestanden. Klitschnass vom Regen. "Ich habe Christian angeschrien, dass er gehen soll und sich nie wieder blicken lassen soll." Dass die beiden sechs Jahre später heiraten, zwei Kinder bekommen und später gemeinsam eine Jugendherberge in Bad Oldesloe leiten - das hätten sich Anja und Christian Sorgatz in dieser Nacht wohl nicht vorstellen können. Zunächst sei auch alles ganz anders gekommen.
Beide machten ihre Lehre in einem Hotel im Schwarzwald. Er zum Koch, sie zur Hotelfachfrau. "Wir sind uns ständig begegnet und wurden im Laufe der Zeit dicke Freunde", sagt Anja Sorgatz. "Wir haben oft zusammen gesessen und uns bis tief in die Nacht unterhalten." Rund zwei Jahre später verliebten sie sich. 2001 läuteten die Hochzeitsglocken und Luca wurde geboren. Zwei Jahre später kam Nele zur Welt. Doch viel Zeit konnte das Paar, das in Anja Sorgatz' Heimatstadt Schweinfurt lebte, nicht miteinander verbringen. "Wir haben in unterschiedlichen Hotels gearbeitet. Und zudem in einem Job, der nicht viel Freizeit zulässt." So sei die Idee entstanden, gemeinsam eine Jugendherberge zu leiten. "Wir habe eine Bewerbung nach Bad Oldesloe geschickt, wo Jugendherbergseltern gesucht wurden. Nach wenigen Tage stand fest, dass wir sechs Wochen später in die Jugendherberge einziehen konnten", sagt Anja Sorgatz. Es sei alles sehr schnell gegangen. "Am 30. Juni 2007, einem Sonnabend, kamen wir in Bad Oldesloe an." Am Montag sei die Arbeit losgegangen. "Mitten in der Saison", sagt Christian Sorgatz. Doch die neuen Jugendherbergseltern lebten sich schnell ein.
Die Jugendherberge hat 106 Betten. Sportvereine, Schulklassen und Menschen auf der Durchreise machen dort Halt. Anja Sorgatz kümmert sich um die Buchungen und erledigt die Büroarbeit. Ihr Ehemann bestimmt, was abends auf die Teller kommt: "Spaghetti Bolognese ist der absolute Renner." Nur einmal musste er den Speiseplan ändern. "In dem ersten Jahr als Herbergsmutter bekam ich einen Anruf aus Schweden. Ein Mann reservierte auf englisch eine Übernachtung für 80 Personen, die mit ihren 'Bikes' unterwegs seien", sagt Anja Sorgatz. "Ich dachte natürlich an Fahrräder und nicht an Motorräder." Als sie wenig später im Internet nach dem Fahrradclub suchte, fand sie jedoch eine Website, auf der ein stark tätowierter Mann in Lederklamotten neben einem Motorrad zu sehen war. "Eigentlich sollte es Gemüse und Minischnitzel geben. Aber ich änderte den Speiseplan in Schweinehaxe und Klöße um", sagt Christian Sorgatz. "Das war das einzige Mal, dass es Schweinehaxe gab." 80 Motorräder parkten damals vor der Tür. "Die sahen alle ein wenig Furcht einflößend aus. Doch als sie die Lederkluft abgelegt hatten, sahen sie wie ganz normale Menschen aus." Anja Sorgatz lacht. "Ja, wir erleben hier schon viele verrückte Dinge." Sie habe zum Beispiel mal nachts einen 13-jährigen Jungen gesucht, der angeblich schlafwandelte. "Am Ende stellte sich heraus, dass er sich ins Mädchenzimmer geschlichen hatte."
Die Arbeit in der Jugendherberge ist für Anja und Christian Sorgatz ein 24-Stunden-Job. "Wir leben unseren Beruf", sagt sie. "Es gibt keinen Feierabend. Selbst spätabends klopft es an der Tür, weil jemand eine Frage oder Bitte hat."
Neben den Einkäufen und den Reservierungen zählen auch Pflaster auf Schürfwunden kleben und Tränen trocknen zu den Aufgaben des Paares, das einen Hausmeister, eine Reinigungskraft, drei Küchenhilfen und zwei Zivis in der Jugendherberge beschäftigt.
Besonders gern kümmert sich Anja Sorgatz um das Organisieren der Ausflüge. "Ich habe eine kreative Ader", sagt sie. In den Ferien gebe es etwa eine "Spinnen-Woche", die von Schulklassen gebucht werden kann. Die Kinder lernen etwa einen Spinnenexperten und seine Tiere kennen und gehen auf Spinnensuche in Bad Oldesloe. "Es ist schön zu sehen, wenn die Kinder von einem Ausflug zurück kommen und ihre Augen leuchten", sagt Anja Sorgatz. Dann setzt sie sich mit ihrem Mann auf eine Bank im Innenhof der Jugendherberge und sie genießen gemeinsam den Abend. Und berühren sich wohl zum hunderttausendsten Mal.