In unserer Serie treffen wir Menschen aus Stormarn auf ihrer Lieblingsbank. Heute ist es Magdalena von Ahn, die am 15. April 1910 geboren wurde.
Ahrensburg. "Ich bin ziemlich bekannt in Ahrensburg", sagt Magdalena von Ahn und schaut dabei freundlich durch ihre Brille. Sie erinnert sich noch genau an die blauen Kittel mit dem schwarz-weißen Kragen, die sie als Verkäuferin im ehemaligen Schuhhaus Schulz am Rathausplatz getragen hat. Bis 1985 hat sie da so manchem Ahrensburger neues Schuhwerk verpasst. Als sie aufhörte, war sie bereits 75. Heute feiert Magdalena von Ahn ihren 100. Geburtstag.
Wer ihr gegenübersitzt, mag das Wort "alt" nicht so recht in den Mund nehmen. "Ich habe wohl die Gene meiner Großmutter", sagt die Frau, die am 15. April 1910 in Bielefeld geboren wurde und - bis auf ein paar Kleinigkeiten - weitestgehend gesund ist. Nur die Augen machen nach 100 Jahren nicht mehr so mit. Augen, die vieles gesehen haben.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war sie vier Jahre alt. "Das war eine schlimme Zeit. Wir hatten nichts zu essen." Mit einer großen Blechkanne stand Magdalena, die schon immer etwas kleiner als ihre Altergenossen war, an der Gulaschkanone an. Neben ihr eine Cousine. Dass sie aus einer Familie kamen, durften die Suppenverteiler aber nicht mitbekommen. Sonst hätten die Mädchen womöglich noch weniger Essen bekommen.
Eingeschult wurde sie erst mit sieben. Sie war nach Auffassung des Direktors einfach noch zu klein. Dafür übersprang sie später ein Schuljahr und kam von der sechsten direkt in die achte Klasse. "Wegen guter Noten." Und sportlich war sie. "Ich konnte laufen. Ich bin mit vielen größeren Menschen um die Wette gelaufen und wie ein Affe die Stangen hochgeklettert", erinnert sich das Geburtstagskind an den Sportunterricht.
Auch heute noch ist die Ahrensburgerin, die jeden Morgen erst mal das Radio einschaltet ("Ich muss wissen, was in der Welt passiert"), gut informiert übers Sportgeschehen. Sie weiß, dass "die Riesch" Gold geholt hat bei der Olympiade in Kanada und dass der Hamburger SV im Halbfinale der Europa-League steht. "Ich schwärme für den HSV", sagt sie. Aber auch die Kicker vom FC St. Pauli - der Verein wurde in ihrem Geburtsjahr gegründet - "haben sich gemausert. Früher waren das ja Schwächlinge."
Was sie sonst in den Nachrichten hört und im Fernsehen sieht, betrübt sie dagegen. "Es ist ja nicht mehr schön auf der Welt", sagt die 100-Jährige. All die Krimis seien nichts für sie. "Das muss man der Jugend doch nicht vormachen." Und sie ist strikt dagegen, dass deutsche Soldaten ins Ausland müssen. "Es ist ein Jammer, dass dort wieder drei sterben mussten." Es hat Gewicht, diese Worte von einer Frau zu hören, die zwei Weltkriege miterlebt und überlebt hat.
Und was hält sie von der aktuellen Politik? Die Kanzlerin ähnelt ihrer Meinung nach immer mehr Helmut Kohl. "Und der Westerwelle ist noch zu unerfahren und hat keine Ahnung vom regieren." Ihr Lieblingskanzler war sowieso "der Schmidt, der noch heute stur ist und raucht".
Die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs verbrachte Magdalena von Ahn mit ihrem Mann, einem Dekorateur bei der Firma Persil, und ihren beiden Töchtern in Luftschutzkellern. Eine schlimme Zeit sei das gewesen, aber glücklicherweise ging es bald wieder aufwärts. Die frühere Schuhverkäuferin erinnert sich noch gut an den Tag im Jahr 1952, an dem ein neues Möbelstück das Wohnzimmer zierte: Zur Krönung der britischen Königin Elisabeth II. schaffte sich die Familie von Ahn ihr erstes Fernsehgerät an. Der Kauf sorgte damals für einige Neider - aber auch für viele Besucher in der Ahnschen Stube.
Als die Beatles 1962 berühmt wurden, war Magdalena von Ahn 52 Jahre alt. Sie sagt: "Die Musik war für uns alle neu. Aber man musste ja mit der Zeit gehen."
1964 zog die Familie nach Ahrensburg - weil ihr Mann so gerne in den Norden wollte. Eine ihrer Töchter, heute 70 Jahre alt, wohnte bereits in der Schlossstadt. Nach dem Tod ihres Mannes und nachdem sie Mitte der 80er-Jahre aufgehört hatte zu arbeiten, ging die Jubilarin auf Gruppenreisen, um die Welt zu erkunden. Vier Wochen fuhr sie durch Skandinavien, bis zum Nordkap. Und nach Italien. Drei Monate blieb sie auf Teneriffa.
Heute lebt Magdalena von Ahn allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Mit ihrem Rollator geht sie noch regelmäßig in die Innenstadt zum Einkaufen. "Der Motor sind meine Beine", sagt sie stolz. Mit den Einkäufen die Treppe zu ihrer Wohnung in der ersten Etage zu schaffen, sei aber schon manchmal etwas anstrengend. "Es sind erst sieben Stufen, dann noch mal 21." Manchmal helfen die Nachbarn. Aber das Zusammenleben habe sich trotzdem um 180 Grad gedreht: "Früher haben die Menschen viel mehr zusammengehalten." Und wie hat sich ihre Heimatstadt entwickelt? "Die Große Straße wird schön, aber die elendige Figur auf dem Rondeel sollte weg. Schön ist was anderes", meint Magdalena von Ahn. Vom künftigen Bürgermeister Michael Sarach, der im Wahlkampf sogar schon an ihrer Haustür geklingelt hat, erwartet sie aber einiges: "Der ist nicht nur nett, sondern hat auch viel Wissen." Heute wird aber zunächst einmal Bürgervorsteher Werner Bandick in den hellen Wintergarten ihrer Tochter kommen, um zum Geburtstag zu gratulieren. Die Prozedur kennt sie schon vom 95. Geburtstag. Ihr größter Wunsch? "Meine Töchter sollen gesund bleiben." Und eine Inflation brauche sie auch nicht mehr. Denn auch die hat sie schon zwei Mal mitmachen müssen. "Ich habe überhaupt alles mitgemacht - und es war immer erträglich", sagt Magdalena von Ahn, die heute ihren 100. Geburtstag feiert.