Kiel. Schleswig-Holstein hat gewählt. Vorn liegen wieder einmal die Christdemokraten. Doch es gab auch überraschende Ergebnisse. Die Analyse.

Schleswig-Holstein ist schwarz. Das Land von Heide Simonis und Björn Engholm ist fest in der Hand der CDU. Diesen Trend der Landtagswahl vom Mai vergangenen Jahres hat die Kommunalwahl an diesem Sonntag nochmals verfestigt. Landesweit kommen SPD und Grüne zusammen nur auf etwas mehr Stimmen als die CDU – trotz der Verluste der Union. Das liegt jetzt nicht etwa an CDU-Wahlerfolgen im ländlichen Raum: Nirgends im Hamburger Umland, wo immerhin rund ein Drittel der schleswig-holsteinischen Wähler lebt, war die CDU bei den Kreiswahlen schlechter als 35 Prozent.

Was bei der Analyse der Zahlen am Tag nach der Abstimmung noch auffällt: Die SPD hat bei der Wahl zu den elf Kreistagen und vier großen Stadtparlamenten nichts gerissen. Selbst in ihrer alten Hochburg Kiel, also der prestigeträchtigen Landeshauptstadt, reicht es nur noch für Platz 2 hinter den Grünen.

Kommunalwahl 2023: FDP landet in Schleswig-Holstein bei 6,8 Prozent

Die wiederum haben anders als CDU und SPD – beide haben an Zustimmung verloren – das Ergebnis der Kommunalwahl von 2018 noch verbessert. Und doch haben auch die Grünen ein Ziel klar verpasst: Die Partei hatte ausgegeben, vor der SPD auf Platz 2 landen zu wollen.

Gewonnen haben auch die AfD und vor allem der SSW. Die Partei, die lange auf ihre Vertretung der dänischen Minderheit reduziert wurde, ist in Robert Habecks Heimatstadt Flensburg stärkste politische Kraft. Landesweit kam der SSW auf umgerechnet 4,4 Prozent – obwohl er nur im Norden des Landes antritt.

Was diese Zahlen bedeuten, wie es jetzt in der schwarz-grünen Koalition weitergeht, was die SPD umtreibt, und was das alles mit Hamburg zu tun hat:

Das Hamburger Umland: So wurde gewählt

35,1 – 35,5 - 35,7 - 36,9 – was sich liest wie die Wetteraufzeichnungen von vier heißen Augusttagen, sind die Ergebnisse der CDU bei den Wahlen zu den Kreistagen von (in der Reihenfolge der Zahlen) Stormarn, Herzogtum Lauenburg, Pinneberg und Segeberg. Das heißt, die CDU hat in der Heimat der Menschen mit hoher Hamburg-Affinität deutlich besser abgeschnitten als im Landesdurchschnitt. Denn Schleswig-Holsteinweit kommt die Union im kumulierten Ergebnis auf 33,8 Prozent.

Die SPD lag in den vier Kreisen, die an Hamburg grenzen, jeweils rund 15 Prozentpunkte hinter der CDU und in etwa gleichauf mit den Grünen. Wie schon bei der Landtagswahl vor einem Jahr hatte CDU-Parteichef Daniel Günther auch in diesem Jahr stark auf die Karte „Hamburger Umland“ gesetzt und sich hier für zahlreiche Wahlkampfauftritte verplanen lassen.

Was noch auffällt: Ahrensburg ist jetzt Grün, bei der Wahl zum Stadtrat lag die Öko-Partei vorn. Direkt gewählt im dortigen Wahlkreis 4 wurde aber ein FDP-Mann: Der ehemalige Wirtschafts- und Verkehrsminister Bernd Buchholz setzte sich bei den Gemeindewahlen gegen Grüne, CDU und SPD durch.

In Elmshorn holten sich 19 CDU-Politiker den Wahlkreis direkt – lediglich einer ging an eine SPD-Politikerin. Über die FDP-Liste zieht auch Annina Semmelhaack ins Stadtparlament ein. So viel Aufmerksamkeit wie sie hatte kaum ein anderer Lokalpolitiker in den vergangenen Wochen: Früher Nahkampf, jetzt Wahlkampf schnitt der ehemalige Erotikstar (Annina Ucatis) in Elmshorn besser ab als ihre Partei.

Die CDU

Während die CDU bei der Landtagswahl 2022 mit 43,4 Prozent die absolute Mehrheit der Mandate nur knapp verpasste, reichte es an diesem Sonntag lediglich im Kreis Steinburg für mehr als 40 Prozent. Parteienforscher Wilhelm Knelangen nennt das eine „Normalisierung des CDU-Ergebnisses“.

Die Union kann auch Großstadt: Günthers Partei sicherte sich die Mehrheit in zwei der insgesamt vier kreisfreien Städte. In Neumünster und im prestigeträchtigen Lübeck lag die Union am Ende vor der SPD auf Platz 1.

Genervt hat sie die Niederlage in Günthers Heimat Eckernförde. Hier fiel die CDU hinter die SPD zurück. CDU-Generalsekretär Lukas Kilian schreibt das Eckernförder Ergebnis der lange ungeklärten Zukunft der von der Schließung bedrohten Imland-Klinik zu.

Zufrieden war die Partei dennoch: Man habe das Wahlziel erreicht und sei mit Abstand stärkste Kraft geworden, betonte Landesgeschäftsführer Tim Albrecht. Und das „in einem politisch schwierigen Umfeld.“ Dass es landesweit nicht ein paar Prozentpunkte mehr geworden sind, schreibt die CDU dem starken Abschneiden von zwei anderen Parteien zu. Daniel Günther sieht die Gründe für den Wahlerfolg der Rechtsaußen von der AfD und auch des SSW in den Sorgen der Menschen um bezahlbares Heizen und teure Mieten.

Die Grünen

„Die politischen Positionen der Grünen werden im Wesentlichen nur von den eigenen Anhängern, aber nicht von der Mehrheit der Wahlberechtigten für richtig befunden. … Ein Verbot des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen findet nur eine Mehrheit der Grünen-Anhänger richtig, während die Mehrheit aller Bürger und auch der SPD-Anhänger gegen ein solches Verbot ist.“ So hatte der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, zuletzt die politische Stimmung analysiert. Nur: Während die Bremer die Grünen bei der Bürgerschaftswahl an diesem Sonntag nach der Trauzeugen-Affäre von Robert Habecks Staatssekretär Patrick­ Grauchen und vor allem nach der Debatte zum Aus für Öl- und Gasheizungen abstraften, legten die Grünen in Habecks Heimat nochmals zu.

„Wir standen als Grüne im Wahlkampf im Wind, insofern freut uns das gute Ergebnis umso mehr“, kommentierte Fraktionschef Lasse­ Petersdotter gestern. Seine Erklärung: Die Grünen im Land wie im Bund stellten sich der Verantwortung, auch wenn es schwer werde. „Das erkennen die Menschen an.“

Die Heizdebatte, sagt Petersdotter, habe der Partei nicht so sehr geschadet, wie einige erwartet hätten. „Selbst im Wahlkreis von Robert Habeck haben wir nochmals um 4,8 Prozentpunkte zugelegt“, freut sich der Fraktionschef.

Von großer Symbolkraft ist der Sieg der Grünen in Kiel. Die Landeshauptstadt wählt traditionell Rot. Hier ist auch mit Ulf Kämpfer einer der Hoffnungsträger der SPD Bürgermeister. „Das Kieler Ergebnis muss einen überraschen“, sagt Petersdotter nüchtern. Das Kieler Ergebnis sei „Wahnsinn“ , freut sich der Landesvorsitzende der Partei, Gazi Freitag.

Am Kieler Wahlergebnis lässt sich ablesen, was die Heizungsdebatte auslöst: Gerade in den Stadtteilen, in denen vornehmlich Menschen zur Miete wohnen und sich nicht um das Aus ihrer Öl- oder Gasheizung sorgen müssen, hat die Debatte die Grünen keine Prozente gekostet.

Dennoch warnt Petersdotter vor Hochmut: „Wir können die 16, 17, 18 Prozent auch schnell wieder verlieren“, sagt er. Seine These: Es gebe nicht mehr die klassische Stammwählerschaft. „Unser Erfolg der letzten Jahre basiert darauf, dass sich die Menschen sehr genau anschauen, was die Parteien anbieten. Das macht es für uns unberechenbarer, aber für die Demokratie ist es gut.“

Die SPD

Das Wahlergebnis von Sonntag zeigt: Der SSW mit seiner starken sozialpolitischen Ausrichtung erscheint vielen Wählern, für die das Thema entscheidend ist, als Alternative zur SPD. Wer Klimaschutzpolitik als dringlichste Aufgabe ansieht, tendiert eher zu den Grünen. Die Folge: Die Verluste der SPD setzen sich fort, selbst in den Großstädten bricht „ein weiterer Baustein roter Grundsubstanz weg“, sagt Parteienforscher Knelangen. „Die Krise der SPD im Land geht weiter.“ Die SPD werde zwischen den Positionierungen „zerrieben“.

Sie leidet unter dem Wegbrechen sozialdemokratischer Bindungen. Nach dramatischen Verlusten bei der Landtagswahl vor einem Jahr hat sich die Partei jetzt gefangen, sie bleibt aber dennoch klar hinter dem Kommunalwahlergebnis von 2018 zurück. Im Fokus steht Parteichefin Serpil Midyatli.

Die interne Kritik fiel vernichtend aus. Es sei ein „schwaches Ergebnis“ nach dem „Desaster der Landtagswahl, bei der wir hinter den Grünen auf Platz drei absackten“, eine „große Enttäuschung“. Das twitterte Midyatlis Vorgänger Ralf Stegner, der jetzt für die Pinneberger SPD im Bundestag sitzt. Stegner weiter: Zumindest der „Anti-Grünen-Trend“ der letzten Tage habe noch Schlimmeres verhindert.

Der langjährige SPD-Chef im Norden verweist auf den SSW, der mit sozialen Themen und Zuspitzungen gepunktet habe, „die uns gut anstünden“. Stegners Kritik gipfelte so: „Die gegenwärtige Lage ist schon ziemlich bedrohlich. Wir sind auf einem schwachen Niveau angekommen. In Norddeutschland gibt es überall sonst gute Beispiele für eine erfolgreiche SPD“, analysiert Stegner.

Thomas Losse-Müller ist seit einem Jahr SPD-Fraktionschef und anerkannter Oppositionsführer. Er regt sich, ohne den Namen zu nennen, massiv über seinen Vorvorgänger auf: Die Probleme der SPD Schleswig-Holstein seien nicht allein in den vergangenen fünf Jahren entstanden. „Das Thema Klimaschutz wurde zu lange ignoriert und liegen gelassen“, sagt Losse-Müller. Für ihn gibt es keine Alternative zur personellen Aufstellung der Partei. „Ich werbe um Vertrauen in die Führung der SPD. Unser Kurs, uns neu aufzustellen, braucht Zeit.“ Er lasse sich gern am Ergebnis der nächsten Landtagswahl messen. „Wir müssen die Widerstände aushalten und weiterarbeiten.“ Losse-Müller sieht in den Kommunalwahlergebnissen positive Entwicklungen: So habe die SPD jetzt wieder „Boden unter den Füßen: Wir haben 19 Prozent erzielt und sind zweitstärkste Partei geworden. Das war wichtig.“

Die Nord-SPD habe erarbeitet, wie Klimaschutz gerecht gehe. „Aber viele Menschen sehen das noch nicht. Die Bundespolitik dominiert, und viele Menschen mit Sorgen wählen SSW oder auch AfD“, sagt der Fraktionschef. Seine Kritik: Die Bundespartei sei vollkommen unvorbereitet in die Heizungsdebatte gegangen. Die SPD in Schleswig-Holstein sei auf dem richtigen Weg, aber sie müsse an Profil gewinnen – auch gegenüber der Bundespolitik.

Das sieht auch der Parteienforscher so. Aus Sicht von Wilhelm Knelangen ist das größte Problem der SPD die SPD. Während Sozialdemokraten im Norden eine „anständige Oppositionsarbeit“ hinlegten, schade ihr eine schwache Bundespartei. „Die Bundes-SPD überlässt die Debatte, wie wir künftig heizen, den Grünen. Das ist schädlich“, sagt Knelangen. Es fehle ein „sozialdemokratischer Cheferklärer. Das wäre eigentlich die Aufgabe des Bundeskanzlers.“

Bei der Nord-SPD hat Knelangen kein inhaltliches, wohl aber ein personelles Problem ausgemacht. Die Personalsituation an der Spitze sei ungeklärt. „Die schleswig-holsteinische SPD braucht eine Identifikationsfigur. Für die Wählerschaft ist nicht klar, wer die Partei eigentlich führt“, sagt Knelangen.

Die Zusammenarbeit in der Regierung

In den Tagen vor der Wahl hatte es in der zuvor so geräuschlos funktionierenden schwarz-grünen Koalition ordentlich geruckelt. Die CDU attackierte Umweltminister Tobias Goldschmidt öffentlich, als der über den Bundesrat noch schneller als Robert Habeck Öl- und Gasheizungen verbieten wollte. Jetzt wollen beide Parteien zu ihrer öffentlich gezeigten Harmonie zurückkehren. „Die Zusammenarbeit mit den Grünen in der Landesregierung wird genauso konstruktiv und vertrauensvoll weitergehen, wie sie vorher war“, sagt CDU-Generalsekretär Lukas Kilian.

Und Lasse Petersdotter ergänzt: Die Grünen werden die Zusammenarbeit in der Koalition nach dem Wahlerfolg von Sonntag nicht ändern: Wir machen solide Politik, bleiben entspannt.“ Laut grünem Fraktionschef versteckten CDU und Grüne ihre die unterschiedlichen Positionen nicht. „Wir kommunizieren sie auch nach draußen. Wir stehen zu unseren Konflikten, arbeiten aber extrem vertrauensvoll zusammen“, so Petersdotter.

Kommunalwahl 2023: Das sind die Parallelen zu Hamburg

Was die CDU in Schleswig-Holstein, ist die SPD in Hamburg. Beide Regierungschefs, also neben Daniel Günther auch Peter Tschentscher, sind bei ihren Landtagswahlen bestätigt worden, beide regieren ihre Bundesländer eher ruhig oder unaufgeregt. Im Interview mit dem Abendblatt hatte es der Schleswig-Holsteiner so formuliert: In seiner Partei gebe es viele Leute, die sich freuten, wenn man dem politischen Gegner „eins auf den Deckel“ gebe. „Nur halte ich das langfristig für keine lohnenswerte Strategie, weil das viele Menschen abschreckt. Man hält so den eigenen Laden zwar beieinander, schärft vielleicht das eigene Profil, bietet aber keine Lösungsmöglichkeiten an und verprellt genügend Menschen außerhalb der eigenen Partei“, so Günther. Deswegen halte er an der gegenteiligen Strategie fest. „Aber das ist manchmal anstrengender, weil man auch intern mehr Diskussionsbedarf hat und viel mehr erklären muss.“

Einen ähnlichen Politikstil der eher ruhigen Art lebt auch der Hamburger Bürgermeister. Der SPD-Politiker kann austeilen, bevorzugt aber, dies abseits der Öffentlichkeit zu tun.

Günther und Tschentscher verstehen sich sehr gut, duzen sich, pflegen den unmittelbaren Kontakt. Ihr Kurs zahlt sich aus Sicht von Parteienforscher Knelangen von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel aus. Entscheidend für einen Wahlerfolg sei, wie zufrieden die Menschen mit der Arbeit des Politikers seien, und von welchem Politiker sie glaubten, dass er oder sie eine gute Antwort für die Zukunft des Bundeslandes gäben.

Wichtig sei das Gefühl, in guten Händen zu sein. Tschentscher verkürzte das im Wahlkampf auf den Slogan „Die ganze Stadt im Blick“, während Günther „KurSHalten“ als Ziel ausgab. Die jüngste NDR-Umfrage von Mitte April bestätigt den Kurs Günthers: Mit seiner Arbeit als Ministerpräsident sind die Menschen in Schleswig-Holstein ziemlich zufrieden. 69 Prozent sagten, Günther mache seinen Job gut.