Kiel. Wie Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt die Meeresverschmutzung bekämpfen will. Aber es gibt großen Widerstand.
Für die Grünen in Schleswig-Holstein ist es ein Herzensprojekt, ein Vorhaben, das sie unbedingt durchbringen wollen in dieser Legislaturperiode. Es geht um einen Nationalpark Ostsee.
Zum einen sind sie inhaltlich überzeugt von der Idee. So nennt Umweltminister Tobias Goldschmidt die Ostsee aktuell „ein geschundenes Meer mit Todeszonen, in denen kein Fisch mehr leben kann, weil kein Sauerstoff mehr vorhanden ist.“
Deutschland habe aber eine besondere Verantwortung für die Biodiversität. Das spricht aus Sicht der Grünen thematisch für einen Nationalpark Ostsee.
Nationalpark Ostsee: 300 Betroffene beim Start des Dialogprozesses
Zum anderen braucht die Partei Erfolge, die bei kommenden Wahlen auf sie einzahlen. Zwar hat das schwarz-grüne Regierungsbündnis im Koalitionsvertrag Klimaneutralität bis 2040 als zentrales Ziel ausgegeben, nur wie konkret die Schritte dahin schon bei der nächsten Landtagswahl sein werden, ist unklar. Ein Nationalpark Ostsee aber wäre sehr konkret.
Einen ersten Schritt hat das Land jetzt gemacht. Umweltminister Tobias Goldschmidt hatte die Tage Campingplatzbetreiber zum Austausch eingeladen, Kommunen, Wassersportler, Landwirte, Fischer, Touristiker, Wissenschaftler.
300 von ihnen waren ins Hotel Maritim nach Kiel gekommen. „Wir haben den Prozess beschrieben, den wir als Land gemeinsam mit den Regionen und Nutzerinnen und Nutzern vor Ort gehen wollen“, sagt Goldschmidt. Und dabei hat er sich gleich Streit eingehandelt.
Statt mit leeren Händen zu kommen und eine theoretische Diskussion zu führen, hatte das Ministerium eine Landkarte dabei. Die zeigte die Gebiete, die raus sind aus der aktuellen Planung – und sie zeigte „Potenzialflächen“. Potenzial zur Gesundung der geschundenen Ostsee – und Potenzial für reichlich Konflikte.
Lübecker Bucht ist beim Nationalpark Ostsee erst einmal außen vor
Ausgenommen hat das Umweltministerium erst einmal die gesamte Lübecker Bucht – also den touristischen Hotspot mit dem größten erwartbaren Widerstand. Gestrichen aus den Überlegungen sind auch die Häfen und ihre Zufahrten – also die gesamte Kieler Förde, die Innere Schlei und die Flensburger Innenförde.
Goldschmidt spricht von einem „offenen Prozess. Wenn es gute Argumente gibt aus der Region, warum auch diese Flächen in die Kulisse aufgenommen werden sollten, werden wir uns das genau anschauen.“
Als „Potenzialkulisse“ weisen die Karten des Ministeriums 160.000 Hektar aus. Im Norden des Landes geht es von der Flensburger Förde bis zur Schleimündung; nach einer Unterbrechung betroffen wäre dann die südliche Eckernförder Bucht. Als weitaus größte zusammenhängende Potenzialfläche gilt die östliche Kieler Bucht einmal um Fehmarn herum runter bis etwa Kellenhusen.
Nationalpark Ostsee: Schweinswale und Haubentaucher gesichtet
Allein dieser Streifen umfasst 120.000 Hektar. Ein Teil der jetzt als Potenzialflächen diskutierten Gebiete steht schon unter Schutz: als Naturschutzgebiet oder – weitaus umfangreicher – als „Natura-2000-Gebiet“. In diesen Regionen hat das Ministerium schützenswerte Schweinswale gesichtet, Seegraswiesen, Riffe, Sandbänke, Kliffs, Meeresenten oder Haubentaucher, herausragende Brut- und Rastgebiete sowie „intensive Wechselbeziehungen zwischen Ostsee und angrenzender Landfläche“ ausgemacht.
Die Politiker versprechen den Menschen vor Ort einen „fairen Prozess“, Dialogbereitschaft und einen „ergebnisoffenen Austausch“. Der Zeitplan der grünen Behörde ist aber ambitioniert: Noch in diesem Jahr will sie nach mehreren Workshops zu den Themen Tourismus, Wassersport, Fischerei und Naturschutz den Kommunikationsprozess abschließen, 2024 eine Entscheidung vorbereiten und möglichst 2025 mit der Einrichtung des Nationalparks beginnen.
Was das Nationalparkgesetz vorsieht
Ein Nationalpark ist in mehrere Zonen eingeteilt. Die härtesten Regeln gelten in der sogenannten Kernzone. In der ist ein möglichst ungestörter Ablauf der Naturvorgänge vorgeschrieben. In der Kernzone eines Nationalparks Ostsee wären von Verboten allen voran die Fischer betroffen. Für sie wären alte Fanggründe in den neuen Kernzonen fortan tabu. Aber zu segeln sei „normalerweise“ noch möglich, sagt Goldschmidt. „Aber natürlich steht die Natur auch in diesen Flächen mehr im Mittelpunkt. Kernzone bedeutet, dass aus ihr weder etwas entnommen noch etwas eingeleitet werden kann. So sieht es das Nationalparkgesetz vor.“
Das Bundesnaturschutzgesetz schreibe vor, dass die Hälfte der Fläche eines Nationalparks zur Kernzone gehören sollte. In der sollen dann „Naturvorgänge möglichst ungestört“ ablaufen können. Die Folge: Die Kernzone dürfe noch zu „Umweltbeobachtungen“ und „Naturerleben“ genutzt werden. Die Ausweisung eines Nationalparks bringe immer auch Konflikte mit sich, sagt der Minister. „So wird das hier an der Ostseeküste sicher auch sein.“
Droht jetzt ein komplettes Verbot der kommerziellen Fischerei?
Konflikte gibt es garantiert mit den Fischern. Lorenz Marckwardt einer von ihnen – und das schon seit 70 Jahren. Denn der 79-jährige Vorsitzende des Landesfischereiverbandes ist schon mit neun Jahren mit seinem Großvater von Eckernförde auf die Ostsee zum Fischen gefahren. Die Nationalpark-Pläne machen ihn wütend. „Sie würden ein komplettes Verbot der kommerziellen Fischerei in den Gebieten bedeuten und das Aus für die deutsche Berufsfischerei an der Ostsee“, sagt er. 147 Berufsfischer wären davon betroffen.
Vor 20 Jahren seien vier- bis fünfmal so viele Fischkutter unterwegs gewesen. Beispiel Eckernförde: Gab es dort vor 30 Jahren 35 Kutter, gibt es dort heute nur noch einen Berufsfischer. „Ich weiß gar nicht, was dieser Blödsinn soll“, schimpft der 79-Jährige. „Wir haben bereits genügend Schutzgebiete. Es bedarf keines Nationalparks. Das ist totaler Unfug, zumal es nur die deutsche Ostsee betrifft, und in Dänemark alles weiterläuft wie bisher.“
Auf dem Meeresboden verrottet Munition
Sicher, saubere Luft und sauberes Wasser seien wichtig, sagt Marckwardt. Doch bevor es für die Fischerei neben den schon bestehenden Fangquoten und Schonzeiten für verschiedene Fischarten von bis zu 3,5 Monaten weitere Einschränkungen gäbe, müsste an anderer Stelle etwas passieren: „Die Politik sollte sich erst einmal um die Altlasten konventioneller Munition und chemischer Kampfstoffe in der Ostsee kümmern“, so Marckwardt. Dort lagern und verrotten etwa 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition und 5000 Tonnen chemischer Kampfstoffe aus dem Zweiten Weltkrieg.
16 Nationalparks gibt es schon in Deutschland. Der älteste ist der Bayrische Wald, der jüngste der Hochwald in Rheinland-Pfalz. Insgesamt sind so mehr als 10.000 Quadratkilometer unter Schutz gestellt. Widerstand gegen Nationalpark Nummer 17 erwartet Goldschmidt auch von Landwirten. Denn der Eintrag von Dünger über Flüsse in die Ostsee soll reduziert oder gar verhindert werden. Allerdings seien die Äcker an der Küste gar nicht Teil der Nationalparkpläne, versichert Goldschmidt. „Stand heute sind nur einige, wenige Küstenbereiche Teil der Kulisse. Diese gehören größtenteils bereits zu Naturschutzgebieten. Ich erkenne somit keine Einschränkungen für die Landwirtschaft durch einen Nationalpark.“
Es geht um Bewusstseinsbildung und Motivation
Aber: Die Ostsee sei durch Überdüngung stark beeinträchtigt. „Ein Nationalpark würde dazu führen, dass wir in der Bevölkerung, in Wirtschaft und Landwirtschaft viel stärker für das wertvolle Ökosystem sensibilisieren und begeistern. Es geht um Bewusstsein, um Bildungsarbeit, Motivation, um ein echtes Identifikationsprojekt. Die Schleswig-Holsteiner leben an, mit und von der Ostsee. Das wird auch so bleiben“, sagt Goldschmidt.
Lennart Schmitt leitet die Umweltabteilung im Landesbauernverband. Mit einer detaillierten Bewertung der Pläne will er erst einmal noch warten. „Es gibt bereits genügend Verordnungen zum Schutz der Ostsee. Warum man dann noch das Etikett Nationalpark braucht, ist mir nicht klar.“ Für die Landwirtschaft gäbe es bereits eine Vielzahl an Verordnungen für den Gewässerschutz, wie die Düngeverordnung oder europäische Richtlinien zum Wasserschutz.
Nationalpark Ostsee: Wie werden Landwirte entschädigt?
Neben den Fischern und Landwirten treiben auch Campingplatzbetreiber, Hoteliers, Segler oder Kiter die Sorgen um. Was soll konkret und messbar durch den Nationalpark Ostsee erreicht werden, was trotz bestehender Schutzgebiete bisher nicht möglich ist?, wollte ein Betroffener von Goldschmidt in der Frage- und Antwortrunde wissen. Wie werden Landwirte entschädigt?, fragte der Nächste. Gesprächsbedarf gibt es auch bezüglich der Frage, wie sich das Umweltministerium den Wassersport vorstelle. „Wassersport ist Tourismus, ohne Tourismus keine Wirtschaft an der Küste“, hieß es.
„Schleswig-Holstein bietet optimale Voraussetzungen für einen abwechslungsreichen Urlaub auf dem Wasser: Segeln, Surfen, Kiten, Tauchen, SUP – hier ist alles möglich“, wirbt das Land. Weiter heißt es, „Wassersport gehört zu Schleswig-Holstein wie der Wind zum Surfen.“ Doch mit dem ungestörten Wassersport, so die Befürchtung, könnte es bald vorbei sein.
Schon mehr als 18.000 Unterschriften unter Petition
Die Wassersportler organisieren sich und haben bereits eine Online-Petition unter dem Motto „Ja zum Naturschutz, nein zu Wassersportverboten!“ gestartet. Mehr als 18.000 Menschen haben dort bislang unterschrieben. Die Wassersportgemeinde unterstützt die Idee eines Nationalparks ausdrücklich, aber die für sie relevanten Korridore (Spots) zur Ausübung der Sportarten seien marginal und umfassten meist nur Küstenabschnitte von 300 bis 400 Metern. „Wir fordern, die relevanten Korridore an den Wassersportspots zu erhalten und deren wirtschaftliche Bedeutung anzuerkennen“, heißt es in der Petition.
Besonders betroffen wäre die Wassersportinsel Fehmarn. Dort gibt es bereits vier Naturschutzgebiete, zusätzlich weitere Vogelschutzzonen. Zudem ist Fehmarn von Natura-2000- und FFH-Schutzgebieten umgeben. „Bisher kamen wir auch gut damit klar“, sagt Oliver Behncke, Geschäftsführer beim Tourismus-Service Fehmarn. Aber mit der Einrichtung des Nationalparks könnte sich das ändern.
17 Surfspots, 20 Wassersportschulen
Bislang ist die Ostseeinsel ein Wassersportparadies mit 17 Surfspots, 20 Wassersportschulen, fünf Yachthäfen und 1-a-Windbedingungen. „Wir befürchten für den Wassersport, der einen wesentlichen Anteil am Image Fehmarns ausmacht, erhebliche Einschränkungen, insbesondere im Inselsüden“, sagt Behncke.
Einer, der auf Fehmarn sein berufliches und privates Glück gefunden hat, ist der Hamburger Linus Erdmann. Der 26-Jährige ist mehrfacher Deutscher Kitesurf-Meister. Er möchte vor allem jungen Menschen Wassersport näherbringen, veranstaltet Wettbewerbe und Kinder- und Jugendcamps. Kommt der Nationalpark Ostsee, würde es deutlich schwieriger, seine Kiteschule weiter zu betreiben und Veranstaltungen durchzuführen.
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Wassersportler, sagt Erdmann, würden sich ohnehin überwiegend respektvoll gegenüber der Natur verhalten und die Tier- und Pflanzenwelt nicht stören. „Wenn ein Surfer doch einmal im Schilf landet, ist das nicht mutwillig.“
FDP ist strikt gegen die Pläne
Für die FDP ist die Sache ganz einfach: Der Plan muss verhindert werden. „Es gibt ausreichend Schutzzonen an der Ostsee. Weitere Einschränkungen schaden dem Tourismus, dem Segel- und Surfsport und der Fischerei. Die einzigen Profiteure eines Nationalparks wären die Firmen, die die zahlreichen Verbotsschilder produzieren.“ Das sagte Parteichef Oliver Kumbartzky. „Ein Nationalpark ist ein Einfallstor für europäische Überregulierung, wie wir gerade wieder bei den Krabbenfischern sehen. Dass die CDU die Umsetzung des grünen Parteitagsbeschlusses in Sachen Nationalpark offenbar stillschweigend mitmacht, verwundert uns.“ Der FDP reicht es aus, wenn die aktuellen Schutzgebiete erhalten bleiben und auf einen pfleglichen Umgang mit ihnen geachtet wird.
Während die grüne Landtagsfraktion hinter dem Projekt steht, ist der Koalitionspartner, also die CDU, deutlich skeptischer. Klar sei, dass die Politik für einen besseren Schutz der Ostsee sorgen müsse. Aber an dem Konsultationsprozess müssten die betroffenen Anlieger vernünftig beteiligt werden. „Erst im Anschluss kann eine Entscheidung, ob ein Nationalpark eingerichtet wird, getroffen werden“, sagte die Umweltexpertin der CDU, Cornelia Schmachtenberg.
Nationalpark Wattenmeer verdient Geld, sagt der Minister
Der grüne Tobias Goldschmidt verweist auf den Nationalpark Wattenmeer vor der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Menschen entschieden sich bewusst für diese Region, um ihren Urlaub in unberührter Natur zu verbringen. Sie übernachteten in Hotels, die Nationalpark-Partner seien. Sie besuchten das Multimar Wattforum in Tönning oder die Seehundaufzuchtstation in Friedrichskoog. „Mit Nationalparks kann Geld verdient werden“, sagt Goldschmidt. „Das ist wie ein Gütesiegel.“
Der Minister verweist auf eine Studie für die Jahre 2012/2013. Demnach hätten allein die Nationalpark-Wattenmeer-Touristen pro Jahr dort 167 Millionen Euro umgesetzt. Laut Umweltministerium könnten rechnerisch 4741 Personen von den Ausgaben der Nationalpark-Touristen leben. Wie an der Nordsee, könnten sich auch an der Ostsee Chancen für eine nachhaltige Entwicklung der Region und des Tourismus ergeben, wirbt der Grüne. Auch wenn der Nationalpark Wattenmeer mit 441.500 Hektar Fläche mehr als doppelt so groß ist wie alle Potenzialgebiete an der Ostsee zusammen.
Goldschmidt sagt, er sei „absolut offen“ für Argumente. Aber das Ziel sei schon, die „Ostsee wieder ökologisch auf Kurs zu kriegen. Wenn es gelingt den Naturschutz zum Teamsport zu machen, dann haben wir alle gewonnen.“
Die jetzt vorgestellten Ideen seien mit Blick auf den Naturschutz fundierte Vorschläge. „Es ist eher unwahrscheinlich, dass am Ende die Flächen identisch sein werden. Vielleicht werden neue Flächen drin sein. Vielleicht wird die Kulisse kleiner, vielleicht entscheidet man sich für eins der Gebiete, vielleicht für mehr als eins. Der Ausgang ist offen. Aber als Naturschutzminister habe ich ein hohes Interesse an einem möglichst großen Gebiet“, sagt Goldschmidt.
Bei allen jetzt gestarteten Bürgerdialogen und Workshops – entscheiden über einen möglichen Nationalpark werden die Bürger am Ende nicht. Den Daumen über einen Nationalpark Ostsee heben oder senken am Ende erst das Kabinett und dann der Landtag. „Wir haben eine repräsentative Demokratie“, sagt Goldschmidt.