Kiel. A 20, Nationalpark Ostsee, Öl- und Gasheizungen – zwischen CDU und Grünen in Schleswig-Holstein zeigen sich Differenzen. Eine Analyse.

Der Wahlerfolg war überwältigend. Die CDU landete bei mehr als 40, die Grünen landeten bei rund 20 Prozent. Knapp ein Jahr regiert Schwarz-Grün jetzt in Schleswig-Holstein mit nach außen gelebter Harmonie. Doch unmittelbar vor den Kommunalwahlen an diesem Sonntag zeigen sich erste Differenzen zwischen den beiden Parteien.

Im Vergleich zur „Bundes-Ampel“ mit ständigen Auseinandersetzungen vor allem zwischen FDP und Grünen wirken die Konflikte im Norden bescheiden, leise, lösbar. Aber vernehmbar sind die Dissonanzen schon. Wie auf Bundesebene geht es auch in Kiel um die Frage: Wie weit darf oder muss der Klimaschutz ins Leben der Menschen eingreifen? Es geht um das Aus für ältere Ölheizungen, den Schutz der Ostsee und den Autobahnbau.

Koalitionsstreit in Kiel: A 20, Nationalpark, Heizungen – worum es geht

Die Kommunalwahl ist der erste echte Stimmungstest für Schwarz-Grün, auch wenn „nur“ die Gemeinde- und Stadträte sowie Kreistage bestimmt werden. Wie groß werden die Verluste sein gegenüber der Landtagswahl vor einem Jahr? Kann die CDU ihr Ergebnis in etwa halten oder büßt sie an der Seite der Grünen Stimmen ein? Wie deutlich werden die Grünen nach der Trauzeugen-Affäre von Robert Habecks Staatssekretär Patrick Graichen und dem angekündigten Aus für Ölheizungen abgestraft? Kann die SPD nach ihrem Wahldebakel wieder etwas zulegen? Was machen FDP und SSW?

Bei den Kommunalwahlen 2018 lag die CDU mit 35,1 Prozent klar vor SPD (23,3 Prozent) und Grünen (16,5). Bei der Landtagswahl vor einem Jahr hatte die CDU die absolute Mehrheit nur um einen Sitz verfehlt. Mit 43,4 Prozent der Stimmen konnte sich Daniel Günther den Koalitionspartner aussuchen: Obwohl es auch mit der FDP gereicht hätte, entschied sich der CDU-Chef für die Grünen. Jetzt wurde deutlich, was der Kieler Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen so beschreibt: „Hier sind zwei Parteien eine Koalition eingegangen, die ziemlich unterschiedlich und in vielen Fragen unterschiedlicher Ansicht sind.“

Christdemokraten fühlten sich ausgetrickst – was die Grünen im Bundesrat vorhatten

Nicht wenige in der CDU fühlten sich in dieser Woche von den Grünen ausgetrickst. Was war passiert? Für die Bundesratssitzung am Freitag, 12. Mai, hatten die Grünen einen Antrag zum ohnehin schon umstrittenen Verbot für Öl- und Gasheizungen eingebracht. Ziel war, den Bundesländern die Möglichkeit zu geben, Öl- und Gasheizungen noch früher außer Betrieb setzen zu können. Ginge es nach den Grünen im Norden, würden schon 2040 alle alten Heizungen stillgelegt sein – und damit noch fünf Jahre früher als vom grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geplant.

CDU und Grüne hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt, Schleswig-Holstein bis 2040 zum ersten klimaneutralen Industrieland zu machen. Daraus leiteten die Grünen jetzt das Recht ab, Heizungen mit fossilen Energieträgern dann auch abzuschalten. Die Bundesratsinitiative des grünen Umweltministers Tobias Goldschmidt stieß in der CDU sauer auf. Der Kompromiss: Schleswig-Holstein muss sich im Bundesrat beim eigenen Antrag enthalten.

Zoff um Gasheizungen, Günther: Heizen muss bezahlbar bleiben

CDU-Fraktionschef Tobias Koch und der Generalsekretär der Partei, Lukas Kilian, erteilten dem Koalitionspartner eine öffentliche Abfuhr. Koch: Solange nicht klar sei, ob und welche bezahlbaren Alternativen es 2040 zu Öl- und Gasheizungen gebe, werde auch nichts verboten. Kilian hatte Goldschmidts Initiative zuvor als „überraschend“ und nicht der „Haltung der CDU entsprechend“ attackiert. Ministerpräsident Günther formulierte es auf Facebook so: „Heizen muss bezahlbar bleiben.“

Der Streit war wie eine Steilvorlage für Thomas Losse-Müller. Der SPD-Fraktionschef kommentierte den Heizungszoff der Regierungspartner hämisch: „Wenn es konkret wird, platzt die schwarz-grüne Wohlfühlblase.“ Und SSW-Expertin Sibylla Nitsch forderte Geschlossenheit von der Landesregierung: „Das Hackehüh der letzten Tage bringt uns nicht voran.“ Der schwarz-grüne Zoff dürfte auch Parteienforscher Knelangen bestätigen. Der hatte dem Abendblatt schon vor einigen Wochen gesagt: „CDU und Grüne sind keine natürlichen Partner.“

Auch die Causa Habeck wird zur Belastungsprobe für die Koalition

Der Streit über Öl- und Gasheizungen ist nicht der einzige Punkt, an dem sich die Koalitionspartner von CDU und Grünen dieser Tage reiben. Ex-Wirtschaftsminister Dietrich Austermann von der CDU warf den Grünen in den „Kieler Nachrichten“ vor, den Autobahnbau zu hintertreiben. „Jetzt rächt es sich, dass man im Land keine Koalition mit der FDP eingegangen ist“, zitiert die Zeitung den Ehrenvorsitzenden der Steinburger CDU.

Mit öffentlicher Kritik an Günther und am Kurs der eigenen Partei steht der 81-jährige Austermann in der CDU ziemlich allein, die Kritik an grüner Verkehrspolitik hingegen teilen viele. Im Mittelpunkt steht ein Mann aus Flensburg: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Erst weigerte sich die Bundesregierung, den Weiterbau der A 20 als vorrangig anzuerkennen, dann stoppte Habeck auch noch den geplanten sechsspurigen Ausbau der Stau-Autobahn A 23 von Eidelstedt bis Tornesch.

Der dritte Streitpunkt: Wie weit darf der Schutz der Ostsee gehen?

Noch in einem dritten Punkt rieben sich Grüne und CDU diese Woche öffentlich – bei der Frage, wie das „geschundene Meer Ostsee“ (Umweltminister Goldschmidt) geschützt werden kann. Während die Grünen die Idee eines Nationalparks mit weitreichenden Verboten für Wassersportler oder Berufsfischer vorantreiben, mahnt die CDU: Sie werde bei dem Vorhaben nur mitmachen, wenn die Betroffenen an der Küste auch Ja dazu sagten: „Wir wollen den ökologischen Zustand der Ostsee verbessern“, sagte CDU-Umweltexpertin Cornelia Schmachtenberg. Aber das gehe nur „mit den Menschen und nicht gegen sie“.

Das Umweltministerium hat einen Konsultationsprozess gestartet, um das Nationalpark-Projekt voranzutreiben. In Arbeitskreisen sollen sich die Menschen vor Ort einbringen. Der Ausgang des Verfahrens sei offen, verspricht Goldschmidt. Aber er sagt auch: „Die ökologischen Probleme sind von Menschen gemacht, und sie müssen von Menschen gelöst werden.“

Schwarz-grün unterm Brennglas: Widerstand kommt von vielen Seiten

Einig sind sich übrigens alle Parteien im Landtag, dass die Ostsee geschützt werden muss, sodass sie sich wieder erholen kann. Nur: Wie weit dürfen die Folgen für die Fischer, Touristen, Kommunen oder Wassersportler gehen? An der Küste sind die Widerstände gegen die Nationalpark-Idee jedenfalls immens.

Zur Sicherheit hat Goldschmidt bei der Planung die Lübecker Bucht gleich außen vor gelassen. Er wusste: In Timmendorf oder Scharbeutz würde ihre Nationalpark-Idee auf jeden Fall scheitern. Und so weist die „Potenzialkulisse“ des Ministeriums 160.000 Hektar aus. Im Norden geht es von der Flensburger Förde bis zur Schleimündung; nach einer Unterbrechung betroffen wäre dann die südliche Eckernförder Bucht. Die größte zusammenhängende Potenzialfläche geht von der östlichen Kieler Bucht einmal um Fehmarn herum runter bis etwa Kellenhusen.

Diese Skizzierung zeigt die ganze Dimension des grünen Plans. Selbst wenn für Kompromisse mit den Menschen an der Küste ganze Abschnitte wieder aus der Planung gestrichen würden – es bliebe immer noch ein ziemlich großer Nationalpark Ostsee übrig.