SPD, Grüne und SSW billigten den Koalitionsvertrag ohne Gegenstimmen. Am Abend soll der Vertrag offiziell unterzeichnet werden.
Kiel. Für die „Dänen-Ampel“ kommt es jetzt zum Schwur: Die Wahl des Sozialdemokraten Albig zum Ministerpräsidenten steht an. Das Bündnis aus SPD, Grünen und SSW hat nur eine Einstimmen-Mehrheit. Böse Erinnerungen kommen auf.
Hochspannung an der Förde: SPD, Grüne und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) wollen an diesem Dienstag den SPD-Politiker Torsten Albig zum Ministerpräsidenten wählen. Das Dreierbündnis hat im Landtag nur eine Stimme mehr als CDU, FDP und Piratenpartei. Einen Gegenkandidaten wird Albig (49) nicht haben. Ob er auch Stimmen von Piraten bekommen wird, ist offen.
Am Montagabend steht ein Gespräch mit den Parlamentsneulingen auf dem Programm – kurz nach der offiziellen Unterzeichnung des Koalitionsvertrages. Im Landtag hat die Küsten-Koalition aus SPD (22), Grünen (10) und SSW (3) zusammen 35 Mandate. Da es insgesamt 69 Sitze gibt, braucht Albig mindestens 35 Stimmen. Wenn er sie bekommt, wird der dänisch orientierte SSW erstmals an einer Landesregierung beteiligt sein.
+++ SPD, Grüne und SSW billigen Koalitionsvertrag +++
2005 hatten die drei Parteien schon einmal eine Einstimmen-Mehrheit. Damals wollte der SSW aber noch nicht mitregieren, sondern eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren. Dies scheiterte, weil der SPD-Amtsinhaberin Heide Simonis in vier demütigenden Wahlgängen eine Stimme aus dem eigenen Lager fehlte. Albig und der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner gehen fest davon aus, dass die Wahl diesmal trotz der knappen Mehrheit klappen wird. Die CDU hat 22 Mandate, FDP und Piraten je 6.
Im Gespräch mit der Zeitung „Die Welt“ äußerte sich auch Simonis zuversichtlich, dass Albig gewählt wird. „Es sind doch alle ein wenig schlauer geworden seit 2005“, sagte sie dem Blatt. Die Debatte darüber, dass die dänische Minderheit nicht an der Regierungsbildung beteiligt sein dürfe, sei schon immer Quatsch gewesen. Für den SSW soll Ex-Fraktionschefin Anke Spoorendonk Ministerin für Justiz, Kultur und Europa werden.
Die Grünen bekommen erstmals in einem Flächenland das Finanzressort. Haushaltsexpertin Monika Heinold steht als Ministerin bereit. Das auch von den Grünen geführte Energie-, Umwelt- und Agrarminister übernimmt der bisherige Fraktionsvorsitzende Robert Habeck. Die SPD leitet die Ressorts für Inneres, Bildung, Wirtschaft und Soziales.
+++ Droht juristisches Nachspiel nach Landtagswahl? +++
Die „Dänen-Ampel“ will nicht ganz so hart sparen wie die schwarz-gelbe Vorgängerkoalition des scheidenden Regierungschefs Peter Harry Carstensen, muss aber die von der Verfassung vorgegebene Schuldenbremse einhalten. Dauerhafte Mehrausgaben müssen über Einsparungen an anderer Stelle oder gesicherte Mehreinnahmen gegenfinanziert werden. Mehr Geld als von CDU/FDP geplant soll in die Bildung fließen, vor allem in die Kleinkinder-Betreuung und mehr Lehrerstellen. Soziale Kürzungen wie bei Blindengeld oder Frauenhäusern werden teilweise zurückgenommen.
Harsche Kritik aus der Wirtschaft erntete das Dreierbündnis für Hinhalte-Beschlüsse zu großen Verkehrsvorhaben. So soll die A20 bis 2017 nur bis zur A7 gebaut werden und nicht weiter nach Westen. SPD und SSW sind für einen Weiterbau über die Elbe nach Niedersachsen, aber die Grünen setzten sich durch. Dies rügte auch Simonis: Wenn man diese Autobahn aus umwelt- und verkehrspolitischen Gründen nicht mehr bauen wolle, müsse man das sagen und andere Lösungen anbieten, sagte sie der „Welt“. „Aber zu sagen, jetzt bauen wir noch ein kleines Stück, und dann sehen wir irgendwann weiter, das ist keine Lösung
+++ Dänen-Ampel trotzt Kritik an A-20-Beschluss +++
Kernpunkte des Kieler Koalitionsvertrags
„Bündnis für den Norden – Neue Horizonte für Schleswig-Holstein“ so überschreiben SPD, Grünen und SSW ihren Koalitionsvertrag. Schwerpunkte des 60-Seiten-Papiers, das bis 2017 die Politik bestimmen soll, sind Bildung, Energiewende und Gerechtigkeit. Dafür soll nicht mehr ganz so streng gespart werden:
FINANZEN: Der Sparkurs der alten CDU/FDP-Koalition wird etwas gelockert. Mehrausgaben müssen aber durch Einsparungen oder mehr Einnahmen kompensiert werden. 2020 soll erstmals ein Haushalt ohne Neuverschuldung auskommen; das gibt die Verfassung auch vor. Mit dem Etat 2013 sollen Krippen, dänische und freie Schulen, Öko-Landbau, Altenpflege-Ausbildung und Frauenhäuser mehr Geld bekommen. Straßenbaumittel werden gekürzt, der Erdölförderzins erhöht. Zehn Prozent der Stellen sollen bis 2020 abgebaut werden (Basis 2010).
BILDUNG: Leitgedanke sind gleiche Bildungschancen. Priorität haben Kleinkinder-Betreuung und Kita-Qualität. 1400 Lehrerstellen werden bis 2017 wegen Schülerrückgangs rechnerisch frei. So gesparte Mittel gehen je zur Hälfte in Haushaltskonsolidierung und Bildung insgesamt. Generell gilt: Abitur nach acht Jahren am Gymnasium, nach neun an Gemeinschaftschulen. Kreise müssen Eltern nicht mehr an Schulbuskosten beteiligen. Die unterfinanzierten Hochschulen sollen Tarifsteigerungen und Inflation ausgeglichen bekommen. Keine Studiengebühren.
ENERGIEWENDE: Mehr Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien. Bis 2020 soll das Land aus diesen Quellen dreimal so viel Strom produzieren, wie es verbraucht. Kein neues Kohlekraftwerk.
VERKEHR: Die A20 wird bis 2017 nur bis zur A7 gebaut. Ob es westlich samt Elbquerung weitergeht, soll die nächste Regierung entscheiden. Reservierte 60 Millionen Euro für die Planung der Hinterlandanbindung des Fehmarnbelt-Tunnels werden kassiert, weil der Bund zuständig sei. Schienen- und Radverkehr bekommen mehr Geld.
SOZIALES: Kürzungen beim Freiwilligen Sozialen Jahr werden zurückgenommen. Das von 400 auf 200 Euro gekürzte Blindengeld steigt auf 300 Euro.
WIRTSCHAFT/ARBEIT: Soziale und ökologische Kriterien für Förderprogramme. Beispiele: Einhaltung von Tarifverträgen oder Mindestlöhnen, Höchstquote für Leiharbeit und Minijobs, Mindestquoten für die Beschäftigung Langzeitarbeitsloser und Azubis. Ein Tariftreuegesetz soll die Gleichstellung von Leiharbeitern mit Stammbelegschaften berücksichtigen. Im ÖPNV soll wieder der Tariflohn gelten. Die Landesbeteiligung an der HSH Nordbank soll verkauft werden, sobald rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll. UMWELT- UND NATURSCHUTZ: Mit Fischern und Naturschützern wird über naturverträgliche Fischerei im Nationalpark Wattenmeer gesprochen. Eine Ausweitung der Ölförderung wird abgelehnt.
INNERES/MIGRATION: Polizisten werden bei geschlossenen Einsätzen mit Nummern gekennzeichnet. Nein zu Vorratsdatenspeicherung und Sperrung von Inhalten im Internet. Die Abschiebehaft-Anstalt Rendsburg wird geschlossen.
GLÜCKSSPIEL: Der Sonderweg mit eigenem Glücksspielgesetz soll beendet werden – aber ohne Schadenersatzzahlungen an Inhaber von Lizenzen. Ziel ist der Beitritt zum neuen Staatsvertrag der 15 anderen Länder.
mit Material von dpa