Ohne den Elbtunnel und die A 20 könnte der Landkreis Stade den Anschluss verlieren, warnen Politik, Stadt und Handwerkskammer.
Stade/Drochtersen. Als einen Schlag ins Kontor werten viele Menschen im Landkreis Stade die jüngsten Nachrichten aus Berlin. Wie berichtet, soll der geplante A-20-Elbtunnel bei Drochtersen rund 300 Millionen Euro teurer als veranschlagt werden. Das soll laut einem Bericht des "Flensburger Tageblattes" aus einer von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bislang unter Verschluss gehaltenen Machbarkeitsstudie hervorgehen. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann (CDU) aus Cuxhaven, bestätigte die Mehrkosten. Mit einer Summe von nunmehr rund 1,2 Milliarden Euro für den Tunnel steht das Projekt finanziell damit auf der Kippe.
Wird der Tunnel nicht gebaut, macht das ganze Projekt Autobahn 20, als Abschluss des großen Autobahnrings um die Metropole Hamburg keinen Sinn mehr. Und das Land Niedersachsen wie auch der Landkreis Stade können ihre Raumordnungsprogramme, in denen die Trassen für die A 20 und A 26 eine wichtige Rolle spielen, wieder in der Schublade verschwinden lassen. Petra Tiemann, Kutenholzer SPD-Landtagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins zur festen Elbquerung, hegt arge Zweifel daran, dass die A 20 gebaut wird. "Die Menschen in Nordkehdingen wollen diese Autobahn, aber die Politik lässt sie im Stich."
Augenwischerei nennen die Grünen die Raumordnungsprogramme, in denen derart ambitionierte Projekte eingeplant würden. Die Partei hatte sich schon in der Vergangenheit gegen den Autobahnbau gestellt, der lediglich Durchgangsverkehr, aber keine wirtschaftlichen Vorteile für den Raum Stade bringen werde. Ulrich Hemke, Grünen-Fraktionschef im Stader Kreistag, sagt: "Die Realität sieht doch, wie man jetzt merkt, aus finanziellen Gründen ganz anders aus. Den Menschen werden Dinge vorgegaukelt, die kein Mensch bezahlen kann und die aus verkehrspolitischer wie auch umweltpolitischer Sicht einfach keinen Sinn ergeben." Auch wenn es private Investoren gäbe, die den Tunnel auf eigene Kappe bauen wollten, bei der derzeitigen Gesetzeslage des Bundes ginge das nicht.
Beim Ausbau einer Autobahn, wie derzeit an der A 1 zwischen Hamburg und Bremen sei diese Form der Finanzierung möglich, nicht aber bei einem Autobahn-Neubau, sagt der Drochterser CDU-Landtagsabgeordnete Kai Seefried. Trotzdem versucht er die Wogen in seinem Wahlkreis zu glätten. "Ich gehe davon aus, dass die A 20 trotz der Mehrkosten gebaut wird, und ich bin zuversichtlich, dass der Bund die Rahmenbedingungen für private Investoren ändert. Es gibt Interessenten, die diese für uns überaus wichtige Autobahn bauen wollen." Damit bestätigt er die Aussagen des IHK-Geschäftsführers Jörg Orlemann, der von einer Reihe Konsortien gesprochen hatte, die den Tunnelbau übernehmen würden.
Enak Ferlemann vom Bundesverkehrsministerium rechnet fest damit, dass die A 20 mitsamt Tunnel gebaut wird. "Die Machbarkeitsstudie ist eine Eignungsabschätzung, in der ausgerechnet wurde, was im schlimmsten Fall an Kosten auf den Bund zukommen könnte. Herr Seefried weiß auch, dass private Konsortien zwar keine ganzen Autobahnen bauen können, sie können aber Abschnitte beziehungsweise bestimmte Bauwerke wie den Tunnel übernehmen. Wir können den Tunnel aber erst dann ausschreiben, wenn wir mit einem gültigen Planfeststellungsbeschluss auch das Baurecht haben."
Aber die Meldung aus Berlin sorgt dennoch für Verunsicherung. Für geradezu fatal hält Stades Stadtbaurat Kersten Schröder-Doms eine Diskussion darüber, ob die A 20 gebaut wird. "Die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt würde in die Zeit von 1960 oder1970 zurück fallen, wenn die Autobahn nicht kommt. Ohne die Autobahn fehlt uns eine vernünftige Anbindung an Skandinavien und ans Ruhrgebiet. Das ist für den Industriestandort und Seehafen Stade überaus nachteilig."
Der Stadtbaurat nennt einen weiteren Grund, warum diese Autobahn für die Stadt und für die gesamte Region von allergrößter Bedeutung sei. "Das niedersächsische Landesamt für Straßenbau und Verkehr hat uns immer sehr deutlich zu verstehen gegeben", so Kersten Schröder-Doms, "dass Autobahnen nicht einzig dafür gebaut werden, um ein Stader Industriegebiet anzuschließen, sondern der Verkehrsnetz-Bildung dienen."
Würde es also keine A-20-Querung bei Drochtersen und damit eine Weiterführung an die A 1 geben, stehe auch der fünfte Bauabschnitt der A 26 auf dem Spiel. Er soll die Lücke zwischen dem bereits gebauten A-26-Abschnitt bei Stade und der Küstenautobahn bei Drochtersen schließen. Würden die Autobahn-Pläne in der Schublade verschwinden, "wäre unsere Stader Industrie dauerhaft abgeschnitten vom Fernstraßennetz des Bundes", ist Schröder-Doms überzeugt.
Auch aus Sicht der Handwerkskammer (HWK) Braunschweig-Lüneburg-Stade wäre ein Scheitern des Tunnelbaus fatal. "Die A 20 inklusive dem Elbtunnel ist das wichtigste Infrastrukturprojekt in der Region für die Unternehmen", sagt HWK-Verkehrsexperte Frank Ahlborn. Für 79 Prozent der Handwerksbetriebe sei eine leistungsfähige Infrastruktur wichtig. "Das beinhaltet auch die geplante A 20", sagt Ahlborn. 86 Prozent der Handwerksbetriebe seien auf Autobahnen angewiesen, um täglich Entfernungen von bis zu 250 Kilometern zurückzulegen. "Viele Betriebe arbeiten inzwischen auch in Skandinavien. Für sie ist der Elbtunnel und die A 20 von enormer Bedeutung."