Wedel. Votum der Abstimmung ist eindeutig. Bürger wählen Amtsinhaber aus dem Rathaus. Das sagen Politik, Wedeler – und Kaser selbst.
Im Abwahlverfahren um Wedels Bürgermeister Gernot Kaser (parteilos) ist eine Entscheidung gefallen: Schon nach den ersten Auszählungsergebnissen der Abstimmung in der Rolandstadt wurde ein erster Trend erkennbar, und dieser verstetigte sich mit zunehmender Dauer des Abends. Am Ende hatten die Bürger in allen 16 Wahlbezirken die Abwahl des umstrittenen Rathauschefs beschlossen.
Damit stimmten nicht nur die Politik, sondern nun auch die Wähler für ein Abdanken des 62 Jahre alten gebürtigen Österreichers. Demnach votierten 10.758 Wedeler für eine Abwahl Kasers, nur 4172 Bürger wollten am Bürgermeister festhalten. Um den Amtsinhaber aus dem Rathaus zu wählen, waren mindestens 5452 Ja-Stimmen und eine Wahlbeteiligung von mindestens 20 Prozent nötig. Dieses Minimum wurde deutlich übertroffen, die Wahlbeteiligung lag bei 55,9 Prozent.
Abwahl von Gernot Kaser: WSI-Chef sagt, er sei „stolz“ auf die Bürger in Wedel
In den Reaktionen der Politik schwang Freude und Erleichterung über den Ausgang des Abwahlverfahrens mit. So gab der WSI-Vorsitzende Peter Ammer zu Protokoll: „Ich bin stolz auf meine Bürger! Das ist ein tolles Geburtstagsgeschenk für mich. Ich werde Montag nämlich 65 Jahre alt und freue mich. Wir haben hart dafür gearbeitet. Ich bin stolz, dass die Bürgerinnen und Bürger verstanden haben, dass es mit diesem Bürgermeister nicht weitergehen konnte und dass wir einen Neuanfang starten müssen mit einer neuen Bürgermeisterin oder einem neuen Bürgermeister.“
Ammer habe zuvor „erhebliche Zweifel an der Kompetenz von Gernot Kaser“ betont, „dass er eine Verwaltung führen kann.“ Im Rathaus habe unter den Mitarbeitenden regelrecht „Angst vor seinen emotionalen Ausbrüchen“ geherrscht. „Er soll da oft sehr heftig reagieren, wobei Türen zuknallen noch das Geringste sein soll.“
Grünen-Chefin: „Kaser war nicht fähig, seine Mitarbeitenden zu führen“
Auch Dagmar Süß, Fraktionschefin der Grünen in Wedel, sagte: „Wir freuen uns über den Ausgang dieses Bürgerentscheids. Wir konnten die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, Bürgermeister Kaser abzuwählen“. Denn „das Vertrauensverhältnis zu ihm war nachhaltig gestört“. Er sei „nicht fähig gewesen, seine Mitarbeitenden zu führen“, was seine Aufgabe als Verwaltungschef gewesen wäre.
„Da scheiterte er an vielen Stellen“, so Süß. Für seltsam hielt sie auch seine jüngste Attacke in den sozialen Netzwerken zum Zehn-Millionen-Euro-Kredit, den die damalige Ratsversammlung vor zehn Jahren der Stadtsparkasse bewilligt hatte. Als Bürgermeister sei Kaser doch Vorsitzender des Verwaltungsrats der Sparkasse. In dieser Funktion habe er diesen Kredit in den zwei Jahren seiner Amtszeit nicht gerügt, wundert sich die Grünen-Politikerin.
Bürgermeister schweigt am Wahlabend - wie schon in den Wochen davor
Vom jetzt abgewählten Bürgermeister Gernot Kaser war am Sonntag keine Stellungnahme zum Wahlausgang zu erhalten. Der Verwaltungschef blieb wie schon während der vergangenen Monate seiner Verweigerungshaltung gegenüber den Medien treu und reagierte weder auf Anrufe noch Mailanfragen des Hamburger Abendblatt.
Stattdessen veröffentlichte Kaser eine Stellungnahme bei Facebook. Darin heißt es, an die Wedeler gewandt: „Herzlichen Dank für die große Unterstützung und Wertschätzung, die Sie mir bei meinem Kampf gegen die vom Rat angestrebte Abwahl gezeigt haben. Sie haben mich immer wieder an meinen Wahlkampfständen und in der Stadt ermuntert, nicht aufzugeben. Das habe ich auch nicht gemacht, sondern mich dem Votum der Wählerinnen und Wähler in Wedel gestellt.“
Gernot Kaser äußert sich erst bei Facebook zum Wahlausgang
Leider sei es ihm nicht gelungen, „die Mehrheit von mir, meinen Konzepten und meiner Arbeit zu überzeugen. Der demokratische Souverän hat sich entschieden. Dieses Ergebnis werde ich als guter Demokrat respektieren. Ich wünsche den nun die Verantwortung für Wedel tragenden Personen eine glückliche Hand, die Stadt Wedel nach vorne zu bringen.“
Er danke auch und vor allem seiner Familie, „die einerseits in den letzten zwei Jahren extrem auf mich verzichten musste, und anderseits seit Beginn dieses Jahres besonders unter der Rufschädigung gelitten hat“. Unterschrieben hat er als „ehemaliger Bürgermeister Gernot Kaser“.
Chef von Wedel Marketing: „Ausgang war wichtig und richtig für die Stadt“
Derweil wurde das Ergebnis auch außerhalb der Politik gefeiert. So sagte etwa Kerstin Lueckow, Sprecherin der Kraftwerks-Bürgerinitiative: „Ich freue mich sehr. Es war gut, dass der Rat diese Initiative überhaupt initiiert hatte. Das war nach der Stellungnahme des Personalrats der Stadtverwaltung dringend notwendig.“
Es sei gut für Wedel, wenn dieser ganze Streit, der seit Monaten geführt wird, endlich beendet werden könne. „Mit Herrn Kaser als Bürgermeister wäre das nicht möglich gewesen“, so Lueckow. Ähnlich äußerte sich auch Daniel Frigoni, Vorstandsmitglied von Wedel Marketing, in einer ersten Stellungnahme: „Dieser Ausgang ist wichtig und richtig für die Stadt Wedel.“
Abstimmung über Gernot Kaser in Wedel: Großes Interesse am Abwahlverfahren
Am späten Sonntagabend veröffentlichten alle Ratsfraktionen eine gemeinsame Erklärung. Darin heißt es: „Am heutigen Tag haben die Bürgerinnen und Bürger von Wedel in demokratischer Abstimmung entschieden, Bürgermeister Kaser abzuwählen. Die Wedeler Kommunalpolitik bedankt sich bei allen Wählerinnen und Wählern für ihre Teilnahme an diesem wichtigen Entscheidungsprozess. Wir hoffen sehr, dass mit diesem Votum nun schnell wieder Ruhe in Wedel einkehrt und wir uns
um die eigentlichen vielfältigen Probleme Wedels kümmern können.“
Der Gesetzgeber sehe nun vor, dass bei einer erfolgreichen Abwahl, die Neuwahl innerhalb von sechs Monaten erfolgen muss. Bewerberinnen und Bewerber können von politischen Parteien - auch gemeinsam - nominiert werden. Aber auch Einzelpersonen können, mit einer entsprechenden Unterstützung in der Bevölkerung, antreten. Die politischen Parteien werden sicher in den nächsten Wochen in den jeweiligen Vorständen diskutieren, ob sie von Ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch machen. Bis zur Ernennung einer neuen Bürgermeisterin oder eines neuen Bürgermeisters gilt weiterhin die bekannte Stellvertreterregelung. Die Amtsgeschäfte werden von der 2. stellvertretenden Bürgermeisterin, Julia Fisauli-Aalto (CDU), geführt.
Parteien nehmen Stellung zu Kaser: Alles Gute „für seinen weiteren Lebensweg“
In der Erklärung heißt es weiter: „Herrn Kaser danken wir für sein zweijähriges intensives Engagement für Wedel. Für seinen weiteren Lebensweg wünschen wir ihm alles Gute. Wir würden uns freuen, wenn wir trotz seiner Abwahl in einem konstruktiven und offenen Austausch bleiben. Gerne räumen wir Herrn Kaser Möglichkeiten ein, seine zukunftsweisenden Visionen von Wedel mit den konkreten Konzepten und Ideen zu präsentieren, die er bisher wiederholt angekündigt, aber eben noch nicht präsentiert hat.“
Unterzeichnet haben das Papier Jan Lüchau (CDU), Dagmar Süß (B‘90/ Die GRÜNEN), Lothar Barop (SPD), Angela Drewes (WSI), Nina Schilling (FDP) sowie Dr. Detlef Murphy (Die LINKE)
Abstimmung in Wedel: Es ging um die Zukunft der Stadt
Es ging an diesem Sonntag um nicht weniger als die Zukunft der Stadt Wedel und die Frage: Wer soll Rathaus und Verwaltung führen? Mehr als 27.000 Bürger waren nicht nur zur Europawahl aufgerufen, sondern konnten in einem Abwahlverfahren auch über den amtierenden, derzeit freigestellten Bürgermeister Gernot Kaser abstimmen.
Es ging um die Frage, ob der mit Vorwürfen belastete Rathauschef weitermachen oder seinen Hut nehmen soll. Die Antwort hatte gegen 20 Uhr erste Konturen bekommen, die Auszählung der Abstimmung startete nach der Auszählung zur Europawahl. Schon am Nachmittag schien das Interesse an dem Ausgang groß zu sein. An den Wahllokalen in Wedel bildeten sich teilweise sogar Schlangen.
Dass es dieses bisher einmalige Verfahren in der Stadt gab, hängt mit schweren Vorwürfen gegen Kaser zusammen: In knapp zwei Jahren seit Amtsantritt hat der 62 Jahre alte gebürtiger Österreicher nahezu alle Entscheidungsträger der Stadt gegen sich aufgebracht oder verärgert – von Stadtpolitik über Rathausmitarbeiter bis hin zu Marketingverein sowie Stadtsparkasse. Die Folge: Ein Disziplinarverfahren gegen Kaser, Anzeigen der Stadt wegen Untreue gegen ihn und die initiierte Abwahl. Kaser selbst hat Anzeige wegen Verleumdung gestellt und behauptet, es laufe eine Kampagne gegen ihn. Eine Zusammenarbeit war kaum mehr vorstellbar, drängende Probleme der Stadt liegen auf Eis.
Abwahl in Wedel: Stimmung bei den Wählern vor Ort ist gemischt
In Wedel standen am Wahlnachmittag im Wahllokal im Johann-Rist-Gymnasium Am Redder die Bürgerinnen und Bürger sogar Schlange, um ihre Stimme für die Europawahl und den Bürgerentscheid zur beruflichen Zukunft von Gernot Kaser abzugeben. Das Stimmungsbild schien da aber noch nicht eindeutig zu sein. Anders als bei der Abstimmung der Ratsversammlung im März, die mit 38 zu 1 für das Abwahlverfahren gegen Gernot Kaser endete.
Erste Wählermeinungen in Wedel: „Kaser hatte keine Stimme in der Öffentlichkeit“
Für Helga Schuhbauer etwa war die monatelange Berichterstattung über die angeblichen Verfehlungen des Verwaltungschefs „zu einseitig – es ging immer nur gegen den Bürgermeister“. Zumal Kaser sich selbst dabei öffentlich trotz fortwährender Anfragen selten äußerte. Er habe sich kaum wehren können, interpretierte ihr Mann Helmut Schuhbauer. „Kaser hatte keine Stimme in der Öffentlichkeit.“ Zumal dann oft aus vertraulichen Unterlagen zitiert worden sei. „Das war nicht in Ordnung, wie das abgelaufen ist.“
Auch Ute Hohensee glaubt, dass die öffentliche Darstellung dieses Streits zwischen einem Großteil der Politik und dem Verwaltungschef „kontraproduktiv“ gewirkt habe. „Wir müssen doch daran denken: Was passiert mit Wedel? Das ist ein Riesenproblem“, findet sie. Darum sei sie nun für Neuwahlen. Das sei für sie die fairste Lösung für alle Beteiligten. Da könne sich Kaser dann auch wieder zur Wahl stellen. „Wir brauchen doch eine funktionierende Verwaltung.“ Darum sollten sich Politik und Verwaltung wieder zusammenraufen, meint sie.
Abwahl in Wedel: „Die sollen sich zusammenraufen und ihre Arbeit machen“
Genau dieser Auffassung ist auch Ina Schulz. „Die sollen sich zusammenraufen und ihre Arbeit machen“, sagt sie. Sowohl der Bürgermeister als auch die Ratsmitglieder seien doch von der Bevölkerung gewählt worden. „Für mich ist das ein Schmierentheater, was die Kommunalpolitiker hier abziehen.“ Auch Ursula Dempf, die seit mehr als 60 Jahren in Wedel lebt, war die Berichterstattung über den Bürgermeister zu negativ. „Das war unverschämt“, fand sie.
Und eine 80 Jahre alte Dänin, die mit ihrem Elektro-Scooter zum Wahllokal gefahren war, kritisierte: „Wir wissen viel zu wenig über die Vorgänge.“ Sie habe zwar ihr Kreuz gemacht, aber eigentlich mangele es an den notwendigen Informationen, was genau die Vorwürfe gegen den Bürgermeister seien.
Mit dem Hund ins Wahllokal: Gut, dass Europawahl und Bürgermeisterabstimmung zusammen waren
Jonas Wöhrle nutzte die Doppelwahl, um mit seinem Hund Gassi zu gehen. „Ich finde es grundsätzlich gut, dass wir als Bürger zur Bürgermeisterentscheidung befragt worden sind.“ Zumal es die Bevölkerung erleichtert habe, weil sie dies mit der Europawahl verbinden konnten.
Bei der nun erfolgreichen Abwahl tritt der Amtsinhaber mit Feststellung des Ergebnisses in den einstweiligen Ruhestand ein. Gemäß Gemeindeordnung muss die Wahl zur Neubesetzung der Stelle spätestens sechs Monate nach Freiwerden der Stelle erfolgen. Zu dieser Wahl könnte auch Gernot Kaser wieder antreten, sofern er – wie alle anderen Bewerber auch – erneut die notwendigen Unterschriften vorher einsammeln kann.
Gernot Kaser: Wie es weitergeht, wenn er bestätigt oder abgewählt wird
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Hätte der Gemeindeabstimmungsausschuss in seiner öffentlichen Sitzung (voraussichtlich am 20. Juni) festgestellt, dass Gernot Kaser laut Wählervotum Bürgermeister bleiben soll, hätte der Rathauschef seine Amtsgeschäfte direkt wieder aufnehmen können.
Abwahl des Bürgermeisters in Wedel: Rathausmitarbeiter drohen mit Kündigung
Die Politik, die die Abwahl forciert hatte, hatte schon vor der Wahl erklärt, den Willen der Wähler zu respektieren. Da die Fronten allerdings verhärtet waren, erschien eine vernünftige Zusammenarbeit bis zum Jahr 2028 schwer vorstellbar. Möglicherweise hätten Politiker ihr Ratsmandat niedergelegt. Der Personalrat der Stadt Wedel hatte zuvor bereits prophezeit, dass ein Drittel der gut 450 Verwaltungsmitarbeiter im Fall einer Bestätigung ihres Chefs ihren Job kündigen werden. Dieses Szenario bleibt nun aus.