Niedersachsens Justizminister Busemann fordert hohe Strafen für die Verantwortlichen: “Über erhebliche Freiheitsstrafen nachdenken.“

Hannover. Der niedersächsische Justizminister Bernd Busemann (CDU) hat hohe Strafen für die Verantwortlichen des Dioxinskandals gefordert. „Wenn sich das alles so bewahrheitet, ist das erhebliche kriminelle Energie“, sagte der Minister in Hannover. „Nach derzeitigem Stand kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass irgendwelche Dinge fahrlässig stattfanden.“ Die Hauptverantwortung sieht Busemann nach den bisherigen Ermittlungen bei dem Unternehmen Harles und Jentzsch in Uetersen (Kreis Pinneberg). „Hier wird über erhebliche Freiheitsstrafen nachzudenken sein“, sagte der Minister. Betrug im besonders schweren Fall zieht Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren nach sich.

Auch Aigner fordert Härte

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner hat in dem Dioxin-Skandal ebenfalls ein hartes Durchgreifen der Justiz gegen kriminelle Futterhersteller gefordert. Die CSU-Politikerin sagte der "Bild am Sonntag": "Sieht man jetzt die ersten Hintergründe, wird man den Verdacht nicht los, dass sich hier kriminelle Energie mit erschreckender Skrupellosigkeit paart.“ Am Wochenende wurde erstmals seit Entdeckung giftiger Futtermittel die Sperrung von Milchhöfen aufgehoben. Aigner will aber dennoch noch keine generelle Entwarnung geben.

Denn am Wochenende wurden gleichzeitig abermals extrem hohe Dioxinwerte in Futterfetten veröffentlicht. Bei den Veröffentlichungen ging es erneut um Proben des Futterfett-Hersteller Harles und Jentzsch, der im Zentrum des Skandals steht. Am Freitag waren bereits teils 77-fache Überschreitungen der Dioxin-Grenzwerte festgestellt worden, so meldete das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium am Sonnabend weitere Extremwerte von bis zu 54,67 Nanogramm Dioxin – bei einem zulässigen Grenzwert von nur 0,75 Nanogramm.

Rund 3000 Tonnen dioxinbelastetes Futterfett hatte die Firma aus dem schleswig-holsteinischen Uetersen an Abnehmer in mehreren Bundesländern ausgeliefert. Bereits am Freitag war bekannt geworden, dass überhöhte Werte des unter Krebsverdacht stehenden Gifts schon im März 2010 festgestellt, aber nicht veröffentlicht worden waren.

Der "Spiegel" berichtet, dass die Firma sogar im Sommer von staatlichen Prüfern kontrolliert worden war. Diese legte ihnen aber alarmierende Testergebnisse angeblich nicht vor. Aus Sicht des niedersächsischen Agrarministeriums könnte sich der Hersteller nicht nur Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht, sondern auch des Betrugs und der Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben

Der Strafrahmen müsse ausgeschöpft werden, sagte Aigner. Bis zu fünf Jahren Haft sind in schweren Fällen möglich. Die CSU-Politikerin kündigte zudem an, Gesetzesverschärfungen zu prüfen. Zunächst sei der Fall vollständig zu klären. "Vorrangig muss dafür gesorgt werden, dass belastetes Futtermittel zurückverfolgt wird und belastete Produkte nicht in den Handel gelangen“, sagte Aigner.

Stammt das Dioxin aus Pestiziden?

Das Rätselraten um die Herkunft der hohen Dioxin-Belastung im Viehfutter geht derweil weiter. Nach Erkenntnissen der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch könnten die Giftstoffe aus Rückständen von Pflanzenschutzmitteln stammen. Das ergebe sich aus dem Muster einer Futterfettprobe aus der zu der Firma Harles und Jentzsch gehörenden Spedition Lübbe. Die Analyse verschiedener Verbindungen in der Probe weise auf Rückstände einer Chlorphenol-Verbindung hin, wie sie als Pilzgifte eingesetzt werden.

Futterfettprobe von Lübbe überschreitet Grenzwert um das 164-Fache

"Woher das Dioxin konkret kommt, können wir aber nicht klären", sagte Foodwatch-Sprecher Martin Rücker dem Abendblatt. "Es kann aus importierten Zutaten aus der ganzen Welt stammen." Das Bundesgesundheitsministerium wollte sich zu dieser "Spekulation" nicht äußern. Laut Foodwatch war die analysierte Futterfettprobe mit 123 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm belastet. Der gesetzliche Höchstwert von 0,75 Nanogramm wurde damit um das 164-Fache überschritten. In Deutschland ist Chlorphenol seit 1989 verboten und darf nicht mehr produziert werden. In Asien und Südamerika wird es im Sojaanbau verwendet.

Aufgrund verseuchter Futterfette der Firma Harles und Jentzsch in Uetersen und der dazugehörenden Spedition Lübbe in Bösel waren in den vergangenen Tagen 4700 landwirtschaftliche Betriebe gesperrt worden. Mittlerweile wurden 2365 wieder freigegeben. In Schleswig-Holstein sind noch 61 Betriebe gesperrt, sie dürften morgen wieder geöffnet werden. In Niedersachsen sind noch 1440 Höfe gesperrt. "In Hamburg gibt es keinen gesperrten Betrieb", sagte Rico Schmidt, Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde. Auch kamen hier keine dioxinbelasteten Eier in den Handel.

Vieles spreche dafür, dass "in völlig unverantwortlicher, skrupelloser Weise gehandelt" worden sei und so das Umweltgift in Futterfett und Mischfutter und schließlich auch in Eier, Hühner- und Schweinefleisch gelangte, sagte Agrarministerin Ilse Aigner: "Der entstandene Schaden ist immens." Dabei gehe es nicht nur um den materiellen Schaden, sondern auch um den Verlust an Verbrauchervertrauen.

"Dieser Fall muss und wird Konsequenzen haben", kündigte die CSU-Politikerin nach einem Krisentreffen mit der Branche an. So soll im nationalen Alleingang die Zulassungspflicht für Futtermittelbetriebe verschärft werden. Europaweit soll durchgesetzt werden, dass Futterfette künftig nicht mehr in Anlagen hergestellt werden, die auch technische Fette für die Industrie produzieren. Auch soll das Strafmaß nochmals überprüft werden, das derzeit von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren reicht.

"Es gibt keinen Grund zur Panik, aber auch nicht zur Verharmlosung", so Aigner. Von deutschen Agrarprodukten gingen derzeit keine Gefahren aus, betonte sie und erhält dabei europäische Unterstützung. So hält die EU-Kommission Importverbote von Eiern und Fleisch aus Deutschland für überzogen. Südkorea hatte ein Importverbot für deutsches Schweinefleisch erlassen.

Dioxinbelastete Futtermittel sollten von den Firmen vernichtet werden

Foodwatch rief die Bundesministerin unterdessen auf, die Mängel der Futtermittelproduktion endlich an ihrer Wurzel zu bekämpfen. "Die Ministerin muss die Unternehmen per Gesetz verpflichten, jede Charge jeder Futtermittelzutat selbst auf Dioxin zu testen und dies für die Behörden zu belegen. Bei Überschreiten des Grenzwertes muss die Charge vernichtet werden", forderte Foodwatch-Chef Thilo Bode. Selbst eine Verdopplung der staatlichen Kontrolleure würde nicht reichen, da auch sie nur Stichproben nehmen könnten. "Eine Test- und Entsorgungspflicht für die Firmen verhindert auch die verbreitete illegale Praxis, zu hoch belastete Einzelchargen mit anderen Zutaten zu vermischen, um die Gesamtbelastung des Mischfuttermittels unter den zulässigen Grenzwert zu drücken."

Die Hamburger Verbraucherzentrale übt unterdessen scharfe Kritik an der fehlenden Transparenz des Verbraucherministeriums. "Die Behörde sollte endlich alle Namen veröffentlichen, welche Höfe gesperrt und welche wieder freigegeben werden. Dies wäre wichtig, um die Verbraucher aufzuklären und zu schützen. So aber bleibt alles im Dunkeln", bemängelt die Verbraucherschützerin Silke Schwartau. Sie aktualisiert selbst alle Codes belasteter Dioxin-Eier auf der Seite der Verbraucherzentrale im Internet ( www.vzhh.de ). Zuletzt waren es zehn, und es könnten noch mehr werden.