Evangelische Gemeinden diskutieren nach dem Rücktritt von Bischöfin Maria Jepsen, wer noch von dem Missbrauchs-Vorfall wusste.
Ahrensburg/Hamburg. Ihre Ahrensburger Gemeinde ist es, die zurzeit bundesweit für Aufsehen sorgt. Und die mutmaßlichen Taten ihres Ruhestandsgeistlichen Dieter K. sind es, die Bischöfin Maria Jepsen zu Fall brachten. Der Vorwurf, Dieter K. habe von Ende der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre Jugendliche sexuell missbraucht, lastet schwer auf den Kirchgängern im Ahrensburger Gemeindebezirk Kirchsaal Hagen. Nur 17 Gemeindemitglieder sind am Sonntag gekommen, um Gottes Wort zu hören.
In der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen sind 74 Menschen zum Gottesdienst mit Hauptpastorin und Pröpstin Ulrike Murmann erschienen. "Maria Jepsen wird uns als Bischöfin fehlen, weil sie sich auf die Seite der Benachteiligten gestellt hat und besonders für die an Leib und Seele Gequälten eingesetzt hat", sagt sie. Der Rücktritt sei ein schmerzlicher Einschnitt für die Kirche. Nach dem Rücktritt Jepsens übernimmt Propst Jürgen Bollmann kommissarisch ihre Amtsgeschäfte. Der 62-Jährige war bisher ihr Stellvertreter.
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Gunter Reuschel, Kirchenvorstandsmitglied für den Ahrensburger Kirchsaal Hagen, glaubt, dass die Pastoren mehr wussten, als sie heute zugeben. Aus Protest bleibt er dem Gottesdienst fern. Den Rücktritt der Bischöfin sieht er als Mahnung: "Vielleicht will sie ein Signal setzen für andere, es ihr gleichzutun. Ich denke, dass auch Pröpstin Margit Baumgarten zurücktreten sollte und alle Pastoren, die 1999 von Frau Emse sehr wohl informiert wurden." Die damalige Stormarner Pröpstin Heide Emse erfuhr 1999 durch ein Missbrauchsopfer von den Taten des Pastors. Emse sorgte für dessen Versetzung, leitete aber keine Ermittlungen ein. Bis heute ist strittig, wie viel ihres Wissens sie an Jepsen und damals amtierende Pastoren weitergab.
Die Losung des Tages lautet: "Eines jeden Wege liegen offen vor dem Herrn." Welche Wege Informationen über Pastor Dieter K. nahmen, ist noch unklar. "Offen liegen dafür die Taten", sagt Pastor Helgo Matthias Haak in seiner Predigt. "Wir dürfen nicht davor weglaufen, das sind wir den Opfern und der Öffentlichkeit schuldig." Der Geistliche verabschiedet die Besucher mit einer Frage, die diese Gemeinde neben der Frage der Mitschuld ebenso bewegt: "Ist Versöhnung möglich, und wie kann sie aussehen?" Gemeindemitglied Dörthe Lahann sagt im Anschluss: "Dieter bleibt ein Gemeindemitglied. Wir müssen auch das Gute, was er geleistet hat, im Blick behalten." Das Pastorat im Spechtweg sei für viele während seiner Amtszeit auch ein Schutzraum gewesen. Edith Neubauer, die Pastor Dieter K. schon als Vikar 1962 in Ahrensburg kennenlernte, sagt: "Die Wahrheit muss ans Licht." Den Rücktritt von Jepsen findet sie in diesem Zusammenhang richtig "wegen der mangelnden Glaubwürdigkeit".
Der Ruhestandsgeistliche Horst Klingspor bedauert den Rücktritt Jepsens: "Im Grunde ist sie nun auch ein Opfer von Pastor K. Dass sie ausgerechnet jetzt alles hinwirft, ärgert mich."
Missbrauchsopfer und deren Angehörige haben unterdessen den Rücktritt Jepsens eher als Überreaktion bewertet. "Frau Jepsen trägt vermutlich nur einen vergleichsweise geringen Anteil daran, dass die Missbrauchsfälle in Ahrensburg lange innerkirchlich vertuscht wurden", sagte Stephan Kohn. Der Sprecher der Betroffeneninitiative Missbrauch in Ahrensburg nahm Jepsen in Schutz. "Der Rücktritt Jepsens zeugt von Verantwortungsgefühl für ihre Kirche." Hauptschuld trügen der Pastor als Täter und alle, die trotz erwiesener Kenntnis der Taten nicht konsequent dagegen vorgegangen sind: die damals zuständige Pröpstin Heide Emse, Pastor Friedrich Hasselmann und dann das disziplinarrechtlich zuständige Kirchenamt.
"Erst in den letzten Tagen haben wir erfahren, dass Frau Jepsen gar keine Weisungsbefugnis in das Kirchenamt hinein hat", hieß es. Der strukturelle Aufbau der Nordelbischen Kirche sei die wesentliche Ursache dafür, dass die Taten über so lange Zeit hätten geschehen können. Der stellvertretende Sprecher der Nordelbischen Kirche, Thomas Kärst, bestätigte die Darstellung der Betroffeneninitiative, wonach die Bischöfin keine Entscheidungsbefugnis für Versetzungen oder die Eröffnung von Disziplinarverfahren gehabt habe.