Winsen. Offizieller Report des Landkreises legt Pflege-Situation schonungslos offen. Häusliche Pflege am Limit. Welche Maßnahmen geplant sind.
- Rund 5 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig
- Die meisten von ihnen – und zwar drei von vier Pflegebedürftigen – werden im häuslichen Umfeld gepflegt
- Die pflegenden Angehörigen werden deshalb auch als größter Pflegedienst der Nation bezeichnet
Wie ist die Lage der pflegebedürftigen Menschen im Landkreis Harburg, wie entwickelt sich die ambulante und stationäre Pflege – und welche Erkenntnisse folgen daraus? Auf diese Fragen gibt der „Örtliche Pflegebericht 2023“ Antworten. Er wurde vom Landkreis Harburg erstellt und soll am kommenden Dienstag, 16. April, im Ausschuss für Gesundheit, Integration und Soziales vorgestellt werden.
Erstes Fazit: Die Zahlen sind wenig überraschend und trotzdem drastisch. Denn: Die Zahl der Pflegebedürftigen wächst, und das bundesweit – rund 5 Millionen sind es aktuell, bis 2055 rechnet das Statistische Bundesamt mit einem Anstieg um weitere 1,8 Millionen. Gleichzeitig fehlt es an Nachwuchs im Pflegeberuf und an Fachkräften, die schon heute die ambulante und stationäre Pflege in Deutschland den Bedarfen gemäß wuppen.
Pflegebedürftige im Landkreis Harburg: Die Hauptlast tragen die Angehörigen
Im Landkreis Harburg lebten 2021 laut Pflegebericht 12.286 pflegebedürftige Menschen – das sind 4,8 Prozent der Gesamtbevölkerung im Kreis (257.548). Im Jahr 2015 lag dieser Wert noch bei 3,1 Prozent (7813 Pflegebedürftige). Die Hauptlast der Pflege wird von Angehörigen gestemmt, sie pflegen im häuslichen Umfeld.
Daraus ergibt sich eine weitere interessante Statistik. Denn mit der Zahl der Pflegebedürftigen erhöht sich automatisch auch die Zahl derer, die Pflegegeld empfangen. Im Landkreis Harburg hat sich die Zahl der Pflegegeld-Empfänger seit 2015 nahezu verdoppelt – von 3524 Personen im Jahr 2015 auf 6112 im Jahr 2021.
Laut Bericht bestätigt diese Entwicklung, „dass die Pflege durch Angehörige (...) mit Abstand weiterhin der Regelfall ist“. Darüber hinaus kommen die Autoren zu dem Schluss, dass „die Kapazitätsgrenzen sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Pflege erreicht sind“.
Die Zahl stationärer Pflegeplätze ist gestiegen – nur fehlt es an Fachkräften
Trotz des gestiegenen Bedarfs ist die Zahl der ambulanten Pflegedienste mit 33 im Vergleich zu den Vorjahren konstant geblieben. Dass der Bedarf weiter steigen wird, ist im Bericht klar hinterlegt – und natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass Harburg ein alternder Landkreis ist: „Im Landkreis Harburg ist der Altenquotient stetig steigend, so dass die Versorgungsaufgabe aus dem Generationenvertrag nicht mehr gewährleistet ist“, heißt es auf Seite 13 des Pflegeberichts.
Interessante Zahlen liefert der Report zum Thema Stationäre Pflege. Denn obwohl die Zahl der Pflegeheime im Landkreis Harburg rückläufig ist, steigt die Zahl stationärer Plätze. Allerdings: „Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Einrichtungen ausgelastet, aber nicht vollbelegt sind“, schreiben die Autoren. „Eine Vollbelegung ist i.d.R. nicht möglich, da die Personaldecke dies nicht erlaubt.“ Genauere Angaben gibt es zu diesem Punkt im Pflegebericht 2023 nicht.
Pflegeheim im Landkreis Harburg: Diese Einrichtungen sind Vergangenheit
Beeindruckend – allerdings nicht im positiven Sinn – liest sich die Liste der geschlossenen Pflegeeinrichtungen im Landkreis Harburg seit 2021. Diese Einrichtungen haben seitdem aus unterschiedlichen Gründen den Betrieb eingestellt:
- Haus am Marktplatz, Neu Wulmstorf, 2021
- Haus Klecken, Rosengarten, 2021
- Haus Steinbachtal, Buchholz, 2021
- Stubbehof, Jesteburg, 2021
- Tagespflege Falkenhof, Seevetal, 2022
- Haus an den Moorlanden, Neu Wulmstorf, 2023
- Pflegeheim Falkenhof, Seevetal, 2024
Maßnahmen gegen den Pflegenotstand – das plant der Landkreis
Welche Schlüsse zieht der Landkreis Harburg aus dem Bericht? Klar sei, dass „bereits jetzt eine Sicherstellung der Versorgung nicht immer ausreichend gewährleistet werden kann“, so die Autoren des Berichts. Mehrere Handlungsempfehlungen werden deshalb formuliert, sie reichen von der „Unterstützung pflegender Angehöriger“ bis hin zur „Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe“. Außerdem sollen in Zukunft „Örtliche Pflegekonferenzen“ stattfinden.
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Bei allen vorgeschlagenen Maßnahmen ist eine Tendenz klar zu erkennen: Dass im Fall des Pflegenotstands die Kommunen die Last nicht allein tragen können. „Bund, Länder, Kranken- und Pflegekassen stehen in erster Linie in der Pflicht, durch gesetzliche Rahmenbedingungen auf die steigenden Bedarfe und Problemlagen zu reagieren“, heißt es im Fazit des Pflegeberichts.