Martin Moritz bietet in Hamburg Beratung und Kurse für Menschen, die in der häuslichen Pflege arbeiten – das Angebot ist kostenlos
Es ist eine Zahl, die immer wieder aufs Neue beeindruckt: Vier von fünf pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden im häuslichen Umfeld gepflegt – insgesamt sind es rund 5 Millionen. Als „größter Pflegedienst der Nation“ werden pflegende Angehörige deshalb auch gern bezeichnet. Nur: In den allermeisten Fällen hat niemand diese Menschen darauf vorbereitet, was sie in der neuen, oft schwer zu meisternden und herausfordernden Situation erwartet.
Martin Moritz hat diese Schwachstelle im System früh erkannt. Im Jahr 2008 gründete der examinierte Altenpfleger an der Asklepios Klinik Harburg die erste Angehörigenschule Deutschlands. Ein gemeinnütziger Ort, an dem – mit kurzer Unterbrechung – bis heute pflegende Angehörige mit ihren Fragen und Sorgen im Mittelpunkt stehen. Denn Fragen, so erzählt es der 58-Jährige in der neuen Folge des Abendblatt-Podcasts „Von Mensch zu Mensch“, gebe es zuhauf, wenn im persönlichen Umfeld eine Pflegesituation entstehe – entweder allmählich, weil sich der Gesundheitszustand mit der Zeit verschlechtert, oder plötzlich, von heute auf morgen wie nach einem Schlaganfall.
Kurse in Hamburg für jeden nur erdenkbaren Fall
Für jeden nur denkbaren Fall bietet Martin Moritz in seiner Angehörigenschule Beratung und Schulungen an. Es gibt Spezialkurse zu den Krankheitsbildern Demenz, Schlaganfall oder Parkinson, Orientierungskurse zu den Themen „Pflege & Pflegeversicherung“ oder „Entlastung & Selbstsorge“. Auch Seminare zur richtigen Lagerung und zur Frage, wie man in der Pflege rückenschonend arbeiten sollte, können gebucht werden. Weil Moritz sein Angebot mit den Pflegekassen abrechnet, bleibt es für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kostenfrei – egal, ob die Veranstaltung online oder in Präsenz stattfindet.
Sowohl nördlich als auch südlich der Elbe, auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, bietet die Angehörigenschule Kurse an, Moritz und sein Team führen sie in Kliniken durch oder in Gemeindehäusern, in Volkshochschulen oder Kreistagsgebäuden – überall dort, wo Räume kostenlos zur Verfügung stehen. Über die Homepage www.angehoerigenschule.de lassen sie sich einfach buchen, aber natürlich können sich Interessierte auch telefonisch anmelden.
Pionier, der vorher Philosophie studiert hat
Sollten bestimmte Veranstaltungen bereits ausgebucht sein, kann man sich einfach auf die Warteliste für den nächsten Termin setzen lassen. Auch Firmen können das Beratungsangebot der Angehörigenschule kostenfrei buchen.
Dass die Nachfrage bei der Angehörigenschule hoch ist und hoch bleibt, ist eine schöne Bestätigung für den Kurs, den der gebürtige Hamburger im Jahr 2008 als Pionier eingeschlagen hat – und der eigenwilliger nicht sein könnte. Altenpfleger wurde Moritz nämlich erst nach seinem Magisterstudium der Philosophie, Germanistik und Pädagogik an der Uni Hamburg. „Mir war schnell klar, dass ich mein Studium und die professionelle Pflege später in meinem Berufsleben miteinander verbinden wollte. Als Philosoph muss man sich ja seinen Beruf selbst erfinden“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Nach dem Studium jobbte er in der Pflege
Während die meisten seiner Kommilitonen neben dem Studium in Bars jobbten oder Nachhilfe gaben, arbeitete Moritz damals schon in der Pflege – die meiste Zeit in einem ambulanten Pflegedienst in Fuhlsbüttel. Auch nach seiner Ausbildung blieb er zunächst der ambulanten Pflege treu, dann arbeitete er für eineinhalb Jahre in einer stationären Einrichtung im Schanzenviertel.
Martin Moritz ist in Farmsen und Eppendorf aufgewachsen, mit Zwischenstationen in Fuhlsbüttel und Harburg ist er inzwischen in der Lüneburger Heide gelandet. Dass all die Einflüsse seiner Lebensstationen schließlich in der Idee der Angehörigenschule mündeten, ist für Hamburg ein großes Glück. Bis heute ist das Angebot der Einrichtung einzigartig und die vielleicht einfachste Antwort auf die Frage, was das eigentliche Problem der häuslichen Pflege in Deutschland ist: das (nicht vorhandene) Informationsmanagement – seitens der Kliniken, Pflegekassen und der städtischen Träger.
Pflegende Angehörige fühlen sich oft alleingelassen
Dass es in Hamburg zum Beispiel über die Bezirke verteilt insgesamt neun Pflegestützpunkte gibt, die gemeinsam von den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen sowie der Stadt Hamburg betrieben und finanziert werden, ist den Besuchern der Angehörigenschule in den allermeisten Fällen nicht bekannt. Dabei informieren die Mitarbeitenden an den Stützpunkten zu Möglichkeiten der Pflege in den eigenen vier Wänden, helfen bei der Suche nach einem geeigneten Heimplatz oder beraten bei Finanzierungsfragen – und kommen dafür auch zu den pflegenden Angehörigen nach Hause.
Martin Moritz nimmt an dieser Stelle auch das Entlassungsmanagement der Kliniken in die Pflicht: Wäre es nicht ein Leichtes, in den Gesprächen zum Ende eines stationären Aufenthalts auf diese Beratungsangebote hinzuweisen? „Genau das scheint in den meisten Fällen eben nicht zu passieren“, sagt Moritz. „Wir sind selber immer wieder erstaunt, wie alleingelassen sich die pflegenden Angehörigen fühlen, die ja selber auch erst in die neue Situation hineinwachsen müssen.“
Bunt sei die Zusammensetzung der Kursteilnehmer in den meisten Fällen, was das Alter, aber auch den kulturellen Hintergrund betrifft. „Es kommen junge Menschen zu uns, Kinder, die ihre betagten Eltern zu Hause pflegen möchten“, sagt Moritz. „Wir hatten auch schon eine hundertjährige Dame, die mit ihren Enkeln an einem Onlinekurs teilnahm, das war natürlich für uns alle etwas Besonderes und kommt nicht häufig vor.“
Wertschätzung und gesehen werden ist wichtig
Für pflegende Angehörige in Deutschland wünscht sich Martin Moritz mehr Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege. „Es wäre doch super, wenn ein Unternehmen wie Airbus nicht nur eine Kita betreiben würde – sondern auch eine Tagespflegeeinrichtung für Senioren.“ Und: Eine Gewerkschaft für pflegende Angehörige wäre wichtig. Nur wer sollte die organisieren? „Die Menschen sind so überlastet, dass es genau daran scheitert“, sagt Moritz und seufzt.
Den pflegenden Angehörigen reicht oft allerdings schon ein Ort, an dem sie Antworten bekommen und sich gesehen und wertgeschätzt fühlen. Und den gibt es ja schon – zum Glück.
Der ganze Podcast unter: https://www.abendblatt.de/podcast/von-mensch-zu-mensch/
Für den Orientierungskurs Demenz am 23. Januar im KörberHaus in Bergedorf (Holzhude 1, Raum 101) können sich Interessierte weiterhin anmelden. Infos unter Telefon 25 76 74 50, www.angehoerigenschule.de