Niedersachsen. Alternative Wohnform für Senioren findet immer mehr Zuspruch. Pflege auf dem Land ist auch Chance für landwirtschaftliche Betriebe.

Wenn Anke Kahlich aus dem Landkreis Stade mit der Bahn nach Hamburg fährt, kommt sie an einem mehrstöckigen Altenheim vorbei, das direkt an einem städtischen Bahnhof liegt. „So ein gesichtsloser Klotz“, wie sie sagt. An einem der Fenster stehe fast immer ein alter Mann – und winke den Zügen zu. „Es ist doch schrecklich, den ganzen Tag über Abschied nehmen zu müssen“, sagt Kahlich. Sie hat ihr Beispiel als Antwort auf die Frage gemeint, ob es den Bewohnern auf ihrem Pflegebauernhof in dem kleinen Dorf Wedel im Landkreis Stade nicht allzu eintönig werde. „Nein“, sagt Kahlich und streichelt eine der Hofkatzen, die es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hat. „Die Menschen, die bei uns wohnen, brauchen vor allem Natur, Ruhe und Beständigkeit.“

Einzug in ein anonymes Pflegeheim ist für viele eine Horrorvorstellung

Für viele alte Menschen ist es eine Horrorvorstellung, im Pflegefall in ein aus ihrer Sicht anonymes Altenheim ziehen zu müssen – selbst, wenn sie „Seniorenresidenz“ heißen und viel Komfort bieten. Das Leben dort mag bequem sein, aber die Gebäude in moderner Bauweise mit mehreren Etagen wirken auf viele Senioren abweisend, sie fremdeln mit der zentralen Lage. Die Alten sollen „mittendrin“ wohnen, lautet ein häufig gehörtes Argument für den Standort an einer Hauptstraße. Doch gerade Senioren auf dem Land sind diese Art des Wohnens nicht gewöhnt. Es ist ihnen zu eng, zu unpersönlich. Wie die meisten alten Menschen fürchten sich vor Fremdbestimmtheit, Nutzlosigkeit und Langeweile. Und sie vermissen einen Garten und die Natur. Hier wollen Pflegebauernhöfe mit ihren Angeboten eine Alternative bieten.

Das Utspann-Pflegeheim befindet sich einem denkmalgeschützten Bauernhof, der komplett saniert und ausgebaut wurde.
Das Utspann-Pflegeheim befindet sich einem denkmalgeschützten Bauernhof, der komplett saniert und ausgebaut wurde. © Sabine Lepél | Sabine Lepél

Das ist „Green Care“: Senioren können sich aktiv am Hofleben beteiligen

„Green Care“ ist in Ländern wie Österreich oder den Niederlanden bereits ein Trend. Senioren leben auf dem Bauernhof statt im Altersheim. Wenn sie können und mögen beteiligen sie sich aktiv am Hofleben - ein Modell, das die Initiative Pflegehof GmbH auch in Deutschland voranbringen möchte. „Was uns heute viel bedeutet, wird uns auch im Alter viel bedeuten. Genau darauf sollte Pflege abgestimmt sein“, sagt Katharina Rosteius von der Initiative, die aktuell in Zernien im Landkreis Lüchow-Dannenberg den ersten Hof nach dem eigenen Pflegekonzept umsetzt und zudem andere Gemeinden berät, die Interesse an so einer genossenschaftlich betriebenen Einrichtung haben.

„Wir sind davon überzeugt, dass wir mit dem Konzept Pflegehof eine echte Alternative zu konventionellen Versorgungsformen und eine zukunftsweisende Vision für verschiedenste Anspruchsgruppen geschaffen haben. Nun möchten wir unser Konzept in die Welt tragen“, sagt Jan Adams von der Initiative, die sich zurzeit um die Gemeinnützigkeit bemüht. Durch einen gemeinsamen Haushalt, durch viele Grünflächen und die Integration von Haus- und Hoftieren biete ein Pflegehof Möglichkeiten, die konventionelle Pflegeinrichtungen in der Regel nicht bieten könnten.

Auf einem Gut in der Nähe von Hamburg entsteht eine neuartige Pflegeeinrichtung

Davon ist auch Marko Pflanz überzeugt. Mit seinen Partnern Uwe Mattfeldt und dem Landwirt Jan Witt hat er auf dessen landwirtschaftlichem Betrieb in der Nähe von Hamburg das „Landgut Griemshorst“ erbaut. Am Rande eines Naturschutzgebietes bei Harsefeld sind dort eine Demenz-Wohngemeinschaft mit 14 Zimmern entstanden sowie 26 Wohnungen für Senioren in ökologischer Bauweise. „Die Nachfrage ist enorm“, sagt Marko Pflanz. Auf dem Hof gibt es Esel und Ziegen, Senioren können gärtnern oder anderen Hobbys nachgehen. „Platz haben wir genug“, sagt Pflanz. Auf dem Landgut der Familie Witt lag der unternehmerische Schwerpunkt viele Jahrzehnte auf der landwirtschaftlichen Produktion.

Die Milchviehhaltung wurde eingestellt, Ackerbau wird noch betrieben. „Die betriebliche Neuorientierung der Inhaberfamilie und der Wunsch, das besondere Ambiente des Gutes auch Menschen im Alter zugänglich zu machen, waren die Grundlage der Neuausrichtung“, so Pflanz, der aus der Pflege kommt und erfahren hat: „Der Kontakt mit Mensch, Tier und Natur macht auch im Alter glücklicher.“

Auf dem Landgut Griemshorst in der Nähe von Hamburg ist ein Pflegebauernhof entstanden.
Auf dem Landgut Griemshorst in der Nähe von Hamburg ist ein Pflegebauernhof entstanden. © Sabine Lepél | Sabine Lepél

Kombination aus Betreuung und Landwirtschaft als Vorteil für beide Seiten

Kristina Stojek von der Landwirtschaftskammer (LWK) Niedersachsen, zuständig für Bauernhofpädagogik und Seniorenwohnen, sieht viele Vorteile in der Kombination aus Betreuung und Landwirtschaft. „Die Höfe liegen meist idyllisch, es ist nicht so anonym wie in der Stadt, und durch die Mieteinnahmen sowie mögliche Förderungen rechnen sich die Investitionen für die Betreiber“, erklärt die Fachfrau gegenüber dem Landvolk-Pressedienst. Die LWK habe dazu schon mehrfach Seminare angeboten, die stets gut besucht gewesen seien. „Ich sehe da viel Potenzial“, so Stojek. Man müsse sich allerdings darüber im Klaren sein, dass eine Umnutzung eine lange Planung erfordere. „Und es ist eine dauerhafte Aufgabe. Die gesamte Familie muss mitziehen.“ Zudem müsse man akzeptieren können, dass viele fremde Menschen auf dem Hof sind und dass man konfrontiert wird mit den Themen Krankheit und Tod.

Anja Kahlich betreibt mit ihrer Tochter einen Pflegebauernhof. Dafür waren viele Hürden zu überwinden.
Anja Kahlich betreibt mit ihrer Tochter einen Pflegebauernhof. Dafür waren viele Hürden zu überwinden. © Sabine Lepél | Sabine Lepél

Tiere beleben den Pflegebauernhof für Demenzkranke

„Man muss mit Herz dabei sein, es ist eine Entscheidung fürs Leben“, sagt auch Anke Kahlich. Auf ihrem Hof gibt es keine Landwirtschaft mehr. Trotzdem streifen noch Katzen durchs Haus, es gibt einen Hofhund, Hühner und auch die Mitarbeiter können ihr Haustier mitbringen, wenn es passt. Das Angebot der Utspann GmbH, die nach einer früheren Nutzung des Hofes als „Ausspann“ benannt wurde, ist speziell an Demenzkranke gerichtet. „Viele Patienten lieben es, wenn die Katzen mit ihnen kuscheln“, sagt Geschäftsführerin Kalisch. „Wir erreichen keinen unserer Bewohner mehr über den Verstand, sondern nur noch über das Herz.“ Die vorhandenen 36 Plätze sind meistens belegt und sehr begehrt.

Das Unternehmen trotz der Pflegekrise und dem Personalmangel in der Pflege. „Wir haben die Entscheidung, hier einen Pflegebauerhof zu gründen, auch nach fast zwölf Jahren nicht bereut“, sagt Kahlich. Es sei allerdings kein einfacher Weg bis dorthin gewesen. „Das beginnt bei der Finanzierung und den baulichen Auflagen des Denkmalschutzes. Es geht weiter mit Brandschutz und der notwendigen Barrierefreiheit und endet nicht bei den umfassenden gesetzlichen Vorgaben und Vorschriften zum Betrieb einer Pflegeeinrichtung“, sagt die Hauswirtschaftsmeisterin und gelernte Sparkassenkauffrau. Der Betrieb unterliegt der niedersächsischen Heimgesetzgebung.

Neues auf dem Gutshof: Auf dem ehemaligen Milchviehbetrieb wohnen heute Esel, Ziegen - und Senioren.
Neues auf dem Gutshof: Auf dem ehemaligen Milchviehbetrieb wohnen heute Esel, Ziegen - und Senioren. © Sabine Lepél | Sabine Lepél

Stiftung Pusch als Vorreiter: Konzept auch in Niedersachsen im Kommen

Ein Vorreiter und inzwischen bundesweiter Ratgeber ist die „Stiftung Pusch - Pflegebauernhof“ aus Rheinland-Pfalz. Sie hat ein Konzept mit dem gleichnamigen Titel ins Leben gerufen und damit nicht nur in Deutschland, sondern sogar international Aufmerksamkeit erzielt. Auch bei Pusch ist das Besondere die Einbindung der Seniorinnen und Senioren in den landwirtschaftlichen Alltag und in die Versorgung der Tiere. In Niedersachsen gibt es nach Angaben von Projektmanagerin Kordula Wiefel noch keinen aktiven Hof in dieser Form, aber „es steigt die Nachfrage, sodass wir seit kurzem zwei Familien bei der Umstellung begleiten“, so Wiefel.