Hamburg. Prominenter Herzchirurg über die drohende Verrentung der Babyboomer und wie die Arbeit im Krankenhaus in Zukunft aussehen muss.
Es gibt wenige prominente Ärzte in Hamburg oder in Deutschland überhaupt, die sich aus voller Überzeugung und mit ganzem Herzen so für die Pflege im Krankenhaus einsetzen wie Hermann Reichenspurner (64). Er weiß, wovon er spricht. Im Studium hat er als Pfleger auf der Intensivstation im Klinikum rechts der Isar in München gejobbt. Und das Herz ist sein Lebensthema als einer der führenden Professoren im UKE.
Doch er spricht nicht als Kardiochirurg des Uniklinikums, sondern in seiner Rolle als unabhängiger kluger Kopf, wenn er sagt: „Der Fachkräftemangel in der Pflege kommt schneller als wir denken. Schon heute fehlen etwa 20.000 Vollzeitkräfte. Es gibt Wege aus dieser Versorgungskrise, wir müssen sie endlich beschreiten.“
UKE-Herzchirurg Reichenspurner: Krankenhaus-Pflege muss attraktiver werden
Im Gespräch mit dem Abendblatt zeigt Reichenspurner auf, was die nahende Verrentung der Babyboomer-Generation in den kommenden Jahren bewirken wird, und nennt grundlegende Punkte, mit denen man die Pflege attraktiver machen kann: bessere Bezahlung, auch wenn hier schon einiges erreicht worden sei; flexiblere Arbeitszeiten; Weiterbildung im Job; mehr Verantwortung für Pflegekräfte. Das trage nicht nur zur größeren Zufriedenheit im Job bei, sondern steigere auch die gesellschaftliche Wertschätzung.
Gleichzeitig ziehe das mehr Pflegeinteressierte an, den Beruf auszuüben. Die Zeit der reinen Appelle, sagt Reichenspurner, sei vorbei. Auch wenn es viele nicht mehr hören wollten, müsse sich jeder damit auseinandersetzen, wer als Pflegerin oder Pfleger denn überhaupt noch zur Verfügung stehe, wenn die alternde Gesellschaft immer mehr medizinische Leistungen abfrage, auch im Krankenhaus.
Denn schon im Jahr 2030 fehlen nach Zahlen des Deutschen Krankenhaus-Instituts 1,3 Millionen Fachkräfte im deutschen Gesundheitswesen. Nur 30 Prozent der Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte können sich vorstellen, den Job bis zur Rente zu machen. 72 Prozent sagen: Die körperliche Belastung ist zu hoch.
Reichenspurner kennt das nur zu gut: „Einen intubierten, beatmeten Patienten auf der Intensivstation zu pflegen, das ist körperliche Schwerstarbeit.“ Dabei spricht er nicht darüber, dass stundenlanges Operieren, auch mal mit Bleischürze, unter Anspannung, weil es etwa beim Transplantieren immer um das Leben eines Menschen geht, ebenfalls eine extreme Belastung ist.
Reichenspurner: Spracherkennung könnte Krankenhäusern bei Stationsvisite helfen
Wenn ein Patient mit einer neuen Herzklappe sich bei ihm bedankt, weil gewöhnliche Dinge wie Treppensteigen wieder erschöpfungsfrei möglich sind, dann ist das auch für einen hochdekorierten Spezialisten wie Reichenspurner noch immer ein Teil seiner Berufszufriedenheit. „Wie das Arztdasein ist die Pflege ein toller Beruf. Das positive Feedback beflügelt einen.“
Am Rest muss man arbeiten. Da legt er den Finger in die Wunde: Wer den halben Tag mit Bürokratie beschäftigt sei oder mit Ausnahmeerscheinungen wie angespannter Lage oder gar Aggression in den Notaufnahmen, der entwickele Frust.
Aber warum, fragt Reichenspurner, nutze man nicht die digitalen Möglichkeiten besser? Bei Stationsvisiten könne moderne Technik mit Spracherkennung dabei helfen, die Einschätzungen sofort in eine digitale Akte einzutragen: Patient Müller in gutem Allgemeinzustand, Blutdruck normal, wird morgen entlassen, braucht diese und jene Tabletten.
Bezahlung von Pflegekräften erheblich verbessert
Nach Reichenspurners Ansicht sollten Pflegekräfte sich wie in anderen Ländern vermehrt zu ärztlichen Assistenten (physician assistant) weiterbilden können, die deutlich mehr Aufgaben in der Stationsarbeit übernehmen dürften. „Wenn ich das nicht anbiete, steigt die ohnehin große Wechselbereitschaft weiter.“
Zufrieden ist der Herzspezialist mit der Entwicklung der Bezahlung in der Pflege. Es sind noch keine 30 Prozent mehr an Gehalt, wie er einst vorschlug. Aber die Tarifverhandlungen hätten zuletzt bereits ein kräftiges Plus gebracht.
Bei den Arbeitszeitmodellen spricht sich Reichenspurner für das Erproben neuer Ideen aus. Eine Umfrage des Krankenhausinstituts hatte ergeben, dass vorrangige Gründe für Teilzeit die Kinderbetreuung und eine bessere Work-Life-Balance sind, also das Gleichgewicht von Arbeit und Freizeit. Er fragt sich, ob man zur Gewinnung neuer Pflegekräfte bei Vollzeitstellen nicht auch über verlängerte Schichtmodelle und daraus resultierende Drei- oder Viertagewochen nachdenken müsse – und über eine schnellere Integration ausländischer Pflegerinnen und Pfleger.
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Auch hier plädiert Reichenspurner für pragmatisches Denken und nicht zu hohe bürokratische Hürden: „In Funktionsbereichen wie OP oder Katheterlabor wäre es noch einfacher, die zum Teil durchaus qualifizierten ausländischen Mitarbeiter zu integrieren. Im Krankenhaus lernt man im Team am besten. Und die Kommunikation mit den Patienten muss nicht immer sofort in perfektem Deutsch stattfinden.“