Guderhandviertel. Handwerk, Fleiß und Wetterglück: Jede Saison im Alten Land verläuft anders. Und doch mehren sich Anzeichen für ein gutes Erntejahr 2024.
Gerade sind die Obstbauern im Alten Land damit beschäftigt, die letzten Arbeiten des Winterschnitts an den Apfelbäumen zu beenden – ein Instrument von vielen, um den Ertrag zu beeinflussen. Der richtige Schnitt sogt dafür, dass die Blüten und Früchte optimale Sonneneinstrahlung erhalten: Der Baum soll alle Kraft in die besten Blüten investieren. Denn: Ein Apfelbaum kann, richtig gepflegt, 35 bis 40 Kilogramm Früchte pro Saison tragen.
Obstbauer Claus Schliecker blickt der Saison optimistisch entgegen. So wie die Vegetation gerade aussieht, wird es in diesem Jahr eine gute Apfelernte – natürlich nur, wenn ab jetzt alles gut läuft. Wenn ein Obstbauer das sagt, meint er mehrere Faktoren.
Apfelernte 2024: Bauer Schliecker denkt zunächst an das Wetter
Abgesehen von seiner jahrelangen Berufserfahrung und seinem Gefühl für die Vegetation denkt Claus Schliecker zunächst an das Wetter. „Wir sind etwa zwei Wochen früher dran mit der Entwicklung der Knospen als in 2023“, sagt er. Das bringe zum einen eine frühere Ernte bestimmter Apfelsorten – den Verbraucher freut das. Gleichtzeitig bedeute das aber die Gefahr der späten Frostperioden. Bis zu den Eisheiligen – vom 11. bis zum 15. Mai – könnte Frost Knospen und Blüten verletzen.
„Je entwickelter eine Knospe ist, um so mehr nimmt die Frostempfindlichkeit zu“, sagt Matthias Görgens, stellvertretender Leiter der Jorker Obstbauversuchsanstalt, eine Art wissenschaftliches Zentrum mitten im größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Europas, dem Alten Land.
Görgens ist gelernter Gärtner und promovierter Gartenbauer. Ein Frostbefall der Blüten kann für Obstanbauer zur existenziellen Gefahr werden. „Wir hier im Obstanbaugebiet an der Niederelbe von Cuxhaven bis Winsen haben den Luxus, dass wir nah an der Elbe und ihren vielen Nebenflüssen liegen. Wir haben also genug Wasser für eine Frostschutzberegnung. Dieses schöne System gibt es nicht überall.“
Die Frostschutzberegnung kann eine ganze Ernte retten
Zum Beispiel am Bodensee dürften die Apfelbauern derzeit unruhig schlafen. Starke Nachfröste können auf die frühe Knospenentwicklung treffen. Görgens: „Die Landwirte im Obstanbaugebiet am Bodensee haben zwar den See, dürfen dem Bodensee allerdings gar kein oder nur sehr begrenzt Wasser für ihre Plantagen entnehmen.“
Bei der Frostschutzberegnung, erklärt Matthias Görgens, treffe Wasser auf die Blüten und bilde einen Eispanzer. Innerhalb des Panzers halte sich eine Temperatur von Null Grad. „Die Anschaffung und das Betreiben einer solchen Anlage muss ein Landwirt erstmal stemmen, aber sie rettet unter Umständen eine ganze Ernte“, sagt Görgens.
Schlieckers Familienbetrieb gibt es seit rund 300 Jahren
Schlieckers Großvater – den Familienbetrieb Schliecker in Guderhandviertel gibt es seit rund 300 Jahren – musste sich noch keine Sorgen um Frostschäden machen. Früher waren die Obstbäume größer. „Spätfrost gab es schon immer. Aber die modernen Anzuchtformen, also die kleineren Bäume, sind da gefährdeter. Ihre Blüten hängen natürlich näher an der Erde. Sie sind anfälliger für Bodenfrost.“
Ein anderes Problem, das auch den Obstbauern in Norddeutschland zu schaffen macht, ist der Klimawandel. Görgens: „Natürlich sehen wir durch den Klimawandel eine deutliche Verschiebung der Vegetation. Während die Zeiten des Spätfrostes konstant geblieben sind, hat sich die Blühzeit nach vorne verschoben.“
Im Jahr 1975 begann die Blüte Mitte Mai. Inzwischen sind die Temperaturen im Mittel um knapp zwei Grad gestiegen. Die Blüte beginnt heute zwei bis drei Wochen früher. Verbraucher können also dank des Klimawandels zwei bis drei Wochen früher mit frischen Äpfeln auf dem Markt rechnen.
Klimawandel begünstigt Schädlinge, die im Alten Land nie eine Rolle spielten
Das gilt auch für andere Obstsorten, die im Alten Land angebaut werden. In 30 Jahren, rechnet Görgens vor, wenn der Klimawandel in der Geschwindigkeit weiter gehe, steigen die Durchschnittstemperaturen um weitere zwei Grad an. Dann verschieben sich Vegetation und Ernte noch weiter nach vorne im Jahr.
550 bis 600 Stunden Handarbeit stecken in einem Hektar Obstplantage, sagt Claus Schliecker. Der Obstbauer sieht die Nachteile des Klimawandels weniger in den steigenden Temperaturen, als darin, dass der Klimawandel im Alten Land Schädlinge begünstigt, die vorher hier in der Region im Obstbau keine Rolle spielten. Wenn Schliecker den lateinischen Fachbegriff Drosophila suzukii ausspricht, muss er schmunzeln. „Der Name ist herrlich. Weniger schön ist das, was die aus Asien stammende Kirschessigfliege hier anrichten kann“, sagt er.
Die Larven nisten sich in der Frucht ein und ernähren sich vom Fruchtfleisch. Dieser Schädling bereite ihm und seinen Berufskollegen derzeit eine Menge Kopfzerbrechen. „Und da sind wir natürlich froh, dass wir hier die wissenschaftliche Unterstützung aus der Obstbauversuchsanstalt in Jork haben, die uns berät und unterstützt“, so Claus Schliecker.
Der Klimawandel macht‘s möglich: Pfirsiche, Aprikosen und Nektarinen aus dem Alten Land
Der 55-Jährige baut auf seinem 26 Hektar großen Betrieb 65 Prozent Kernobst, also Äpfel, an. Auf dem Rest der Fläche wächst Steinobst. Seit vier Jahren macht sich Schliecker, wie manch anderer Betrieb im Alten Land, den Klimawandel zu nutze. Er baut Pfirsiche, Aprikosen und Nektarinen an. Das, sagt der gelernte Gärtner, sei Neuland und deswegen überaus spannend. „Wir Obstbauern und Landwirte denken nicht in Wahlperioden, wir denken in Generationen. Hauptstandbein in diesem Betrieb sind Äpfel. Aber ich versuche, den Hof breiter aufzustellen für die Zukunft“, sagt der Altländer.
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Rund 300.000 Tonnen Äpfel werden jährlich im Alten Land geerntet. Jeder dritte Apfel, der in Deutschland verkauft wird, stammt aus dem Alten Land. Deutschlandweit kommen rund eine Million Tonnen Äpfel auf den Markt. Schliecker: „Wenn man es genau nimmt, spielt uns der Klimawandel auch hier in die Karten. Die früheren Ernten geben uns in diesem nördlichen Anbaugebiet einen Wettbewerbsvorteil vor Erzeugern beispielsweise aus Südeuropa, deren Äpfel nach Deutschland importiert werden.“
Schliecker muss für seinen Hof nachhaltig denken und arbeiten. Auch wenn der frühe Start der Vegetation ihm nicht die großen Sorgen bereitet. Gegen die neuen Schädlinge, die der Klimawandel mit sich bringt, muss er sein Obst schützen.