Lüneburg. Seinen Hof führt Jochen Hartmann in 19. Generation. Fast alles macht er anders als seine Vorfahren. Warum? Weil er spürt, dass er muss.
Es ist drei Jahre her, dass Jochen Hartmann etwas getan hat, was man eigentlich nicht macht, wenn man Bauer ist wie er. Der Lüneburger Landwirt hat Bäume gepflanzt, in langen Doppelreihen, mitten auf seinem Acker.
Sein Großvater hätte den Kopf geschüttelt über die fixe Idee des Enkels, ging es zu seinen Zeiten doch darum, große, einfach zu bewirtschaftende Flächen zu schaffen. Aber die Zeiten ändern sich. Und Jochen Hartmann sagt: „Wir müssen uns umstellen. Alle. Und zwar so schnell wie möglich.“
Landwirtschaft im Wandel: „Machen die Dinge eben anders als unsere Großeltern“
Der 42-Jährige ist die 19. Generation auf dem Hof in Rettmer am Ortsrand von Lüneburg. Und er will nicht diejenige sein, die den Betrieb einstellt. Dafür will er sich immer wieder Neues überlegen, wie er seine Landwirtschaft konventionell und zeitgemäß zugleich aufstellt. „Jede Generation hat mit bestem Wissen und Gewissen gearbeitet“, sagt der Landwirtschaftsmeister. „Aber wir machen nun eben einige Dinge anders als unsere Großeltern und unsere Eltern.“
Dazu gehören seit zehn Jahren mobile Hühnerställe. Die Idee dazu hatte Ehefrau Hilke Hartmann. Wo an der Straße Richtung Amelinghausen früher Kartoffeln und Weizen, Rüben und Raps wuchsen, wechseln sich heute Grünlandflächen mit Strauchhecken und Pappelwäldern ab.
Pappeln spenden den Hühnern im Sommer Schatten
Denn: „Hühner sind Waldtiere“, sagt die Hauswirtschafterin. „Wir haben Bäume für sie gepflanzt, die schnell wachsen und ihnen im Sommer Schatten spenden. Denn bei Hitze bekommen Hühner Stress.“
Die Bäume kühlen nicht nur, sie tragen auch zum Wasserkreislauf bei. Und wenn sie zu groß werden, sorgen sie in Form von Hackschnitzeln für Energie in der Heizung – und treiben danach wieder aus.
Bäume auf dem Acker? „Ich musste mich überwinden“
Zu den Dingen, die die 19. Generation anders macht als die 17. und 18. Generation, gehört noch etwas. Und das sind Bäume auf dem Acker.
„Ich musste mich ein wenig überwinden“, gesteht Jochen Hartmann. „Früher haben wir nach der Devise gearbeitet, möglichst große Flächen zu haben, um sie einfacher bearbeiten zu können. Die Generationen vor uns haben deswegen Bäume vom Acker weggenommen. Jetzt geht’s zurück: Baumreihen durchbrechen die Flächen.“
Bäume und Sträucher auf dem Acker verhindern Erosion
Grund dafür ist der zunehmende Wind. „Der ist heftig“, sagt der Landwirt. „Ich muss Lösungen finden und will die Schuld nicht bei anderen suchen.“ Bäume und Sträucher verhindern Erosion, außerdem wird das Wasser besser im Boden gehalten. Der Betrieb arbeitet mit Studierenden zusammen, die ihre Forschungsprojekte auf den Flächen der Familie durchführen.
„Bäume zurück aufs Feld!“ lautet das Motto des sogenannten Agroforstprojekts, das Hof Hartmann in Zusammenarbeit mit der Universität Münster durchführt. Studierende und Ehrenamtliche erforschen hier die ökologischen Veränderungen auf der Fläche nach der Baumpflanzung.
Die Landwirtschaft soll aufgewertet, die Artenvielfalt erhöht werden
Agroforstprojekte kombinieren Bäume und Sträucher mit Ackerbau und Weidehaltung. Ziele sind die Strukturierung und Aufwertung der Landschaft sowie die Erhöhung der Artenvielfalt, außerdem werden Temperaturschwankungen reduziert und Kohlenstoffdioxid gebunden.
„Agroforstprojekte sind noch nicht sehr populär in Niedersachsen“, sagt Jochen Hartmann. „Wir sind aber sicher, dass sie einen positiven Beitrag für die Landwirtschaft leisten.“
Einen weiteren Versuch will Hartmann ebenfalls starten: Ackerbau in Dammkultur, ähnlich wie beim Spargel. „Dämme bringen Luft in den Boden, und das tut den Pilzen und Bakterien im Boden gut. Das macht die Pflanze widerstandsfähiger, und wir brauchen weniger Pflanzenschutzmittel.“
„Die Kuh ist kein Klima-Killer – außer, wir stopfen sie mit Soja voll“
Was der Landwirt vermisst, ist ein großes übergeordnetes Ziel. „Wir müssen viel mehr über Wasserkreisläufe reden und darüber, wie wichtig Nutztiere fürs System sind. Die Kuh ist kein Klima-Killer, außer, wir stopfen sie mit Soja voll. Die Fladen der Kühe sind pure Biomasse, sie stecken voller Leben.“ Daher halten die Hartmanns auch eine Herde Dexter-Rinder auf Grünland.
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Was die Familie allerdings nicht plant, ist die Umstellung auf Bio-Anbau. „Wir wollen zeigen, dass man auch konventionell Gutes machen kann“, sagt Hilke Hartmann. „Würden wir uns zertifizieren lassen, wären wir weniger frei. Das wollen wir nicht.“
Und für die Zukunft? Bauer Hartmann fehlt das große Ganze
Und ihr Mann? Dem fehlt das große Ganze aus Politik und Gesellschaft. „Früher war das übergeordnete Ziel der Landwirtschaft, die Leute satt zu bekommen“, sagt Jochen Hartmann. „Dieser Auftrag hat sie kreativ werden lassen. Die Bauern hatten das Gefühl, einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Heute fehlt ein vergleichbarer Auftrag.“
Lebensmittel von hoher Qualität könnten es sein, meint er. „Gut und richtig produziert. Und was gut und richtig ist, bestimmt die Gesellschaft: zum Beispiel mit deutlich reduziertem Einsatz von Pflanzenschutz und Dünger, mit Maßnahmen zur Förderung von Biodiversität – und mit Rücksicht auf die Ansprüche nachfolgender Generationen.“