Finkenwerder/Neuenfelde/Jork. Weil sie ihre Ware nicht mehr kostendeckend verkaufen können, verzichten viele Landwirte südlich der Elbe auf ihre Ernte.

Gute Ernte und höhere Kosten treffen auf geringe Nachfrage: Weil sie ihre Ware nicht zu kostendeckenden Preisen vermarkten können, lassen einige Apfelbauern im Alten Land ihr Obst in diesem Jahr an den Bäumen hängen oder auf dem Boden vergammeln. „Unsere Lager sind voll, deshalb werden späte Sorten oft gar nicht erst gepflückt“, sagt Rolf Meyer, Vorstandsmitglied im Bauernverband Hamburg. Er baut Obst auf dem Stammhof in Neuenfelde und in Jork an. Neben Äpfeln auch Süßkirschen, Pflaumen und Beerenobst.

„Einige Anlagen werden nicht mehr bepflückt“, sagt Meyer. Er schätzt, dass auf seinem Hof 20 bis 30 Prozent der späten Sorten hängen bleiben werden. Aufgrund schleppender Nachfrage und stark gestiegenen Kosten rentiere es sich oftmals nicht, die Äpfel von den Bäumen zu holen.

Das Überangebot an Äpfeln auf dem Weltmarkt hat Folgen für die Bauern

Zudem sind die reiferen Äpfel weniger lagerfähig, müssten also schneller vermarktet werden können. Auch eine Weiterverarbeitung zu Most oder Mus sei keine Alternative: „Wir haben hier keine verarbeitenden Betriebe mehr, die gibt es nur im Süden oder in Polen. Die kaufen zu niedrigen Preisen ein. Außerdem wäre die Verarbeitung mit langen Transporten verbunden. Wir nehmen schon länger keine Mostäpfel mehr mit, sondern lassen sie unter den Bäumen liegen.“

Eine deutliche Kaufzurückhaltung der Verbraucher, hohe Energie- und Arbeitskosten sowie ein Überangebot an Äpfeln auf dem Weltmarkt nennt Claus Schliecker vom Landvolk Niedersachsen als Gründe für die missliche Lage. Dabei sei der Ertrag eigentlich sehr gut: Mit 320.000 Tonnen könnte die Erntemenge um rund fünf Prozent über der des Vorjahres liegen, so der Obstbauer aus dem Guderhandviertel an der Lühe. Wegen des schönen Sommers sei auch die Qualität gut. Aber trotz der hervorragenden Süße bekämen die Bauern die Äpfel nicht verkauft.

Obst nicht zu ernten sei ein Frevel angesichts der Welternährungssituation

Mitten in der Erntezeit im Alten Land dominieren in vielen Supermärkten Äpfel aus aller Herren Länder die Auslage. „Es ist noch unheimlich viel Ware von der Südhalbkugel da“, sagt Rolf Meyer. „Uns sagt der Handel, dass er im Sommer nicht mehr die heimischen Lageräpfel, sondern andere Sorten anbieten möchte.“ Er verweist auf Dreijahreskontrakte im Einkauf. „Die Stagnation im Verkauf führte nun dazu, dass auch im Handel viel Ware auf Lager liegt.“ Hinzu kommen die enorm gestiegenen Kosten: So eine Situation habe es noch nicht gegeben, so Meyer.

„Wir Obstbauern haben mit enormen Energiekosten zu kämpfen“, sagt Schliecker, sie machen etwa 60 Prozent der Kosten aus. „Die Äpfel müssen für die Lagerung auf drei Grad herabgekühlt werden. Die Folge: Die Crème de la Crème der Äpfel ist jetzt geerntet, so dass das Ernten weiterer Äpfel nicht mehr sinnvoll und unwirtschaftlich ist. Das ist ein Frevel vor dem Hintergrund der Welternährungssituation.“ Die hohen Kosten für Energie würden bei einigen Landwirten zu Liquiditätsproblemen führen, so Schliecker.

Wenn die eigenen Lager voll sind, mache es aufgrund der Absatzprobleme wenig Sinn, fremde Lagerfläche teuer anzumieten, so Meyer. „Der Handel sagt uns, dass sich die Lage im März vielleicht bessere. Aber das ist natürlich viel zu ungewiss, um damit kalkulieren zu können.“

Zu den mindestens zehn Cent Betriebskosten, die in einem Kilo frischer Äpfel stecken, kommen weitere zehn Cent für die Lagerung hinzu. Vielleicht werden es aufgrund erhöhter Strompreise im Laufe der kommenden Monate deutlich mehr.

Es fehle die Unterstützung der Politik und des Lebensmitteleinzelhandels

Die Energiekosten sind nicht der einzige Kostentreiber – ein weiterer ist die Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro je Stunde. Er sei ein großes Thema im Obstbau, sagt Reinhard Quast, der in Neuenfelde Äpfel anbaut. „Die Ware für die Herbstvermarktung geht nur schleppend raus. Mit den Erlösen werden im Allgemeinen die Pflücker bezahlt. Es ist nichts gegen höhere Löhne zu sagen, aber die Kostensteigerung muss am Markt durchsetzbar sein, damit die Betriebe leben können. Uns fehlt da Unterstützung der Politik und des Lebensmitteleinzelhandels.“ Von „aktuell schlechten Preisen für gute Ware“ spricht die Elbe-Obst Vertriebsgesellschaft – und beziffert die allgemeinen Nachfragerückgänge auf rund 25 Prozent.

Die handgepflückten deutschen Äpfel könnten nicht zu Weltmarktpreisen verschleudert werden, sagt Schliecker. Der Strukturwandel werde sich deshalb deutlich beschleunigen. Mehr Betriebe würden sich aus dem Geschäft zurückziehen. Den Kollegen Quast erinnert die angespannte Situation an den Niedergang des Sauerkirschen-Anbaus vor rund 30 Jahren: „Damals konnten die hiesigen Betriebe preislich nicht mithalten; die Kirschen wurden aus Tschechien und Ungarn zum Einmachen geholt. Bis auf wenige, kleinere Ausnahmen stehen keine Sauerkirschbäume mehr im Alten Land.“

Regional ist das neue Bio, sagt Obstbaumeister Jan Stehr aus Finkenwerder

Obstbaumeister Jan Stehr rät Verbrauchern, beim Kauf grundsätzlich auf heimisches Obst zu setzen – das sei das Allerwichtigste. „Wenn jeder das machen würde, müssten die Einkäufer im Großhandel darauf reagieren – und wir hätten im Grunde gar nicht so große Probleme“, sagt der Landwirt. Seit 15 Generationen betreibt seine Familie den Hof am Finkenwerder Landscheideweg. Doch so eine Situation hat er noch nicht erlebt. Auch er wird in diesem Jahr bestimmte Bäume nicht ernten – die so genannten „Befruchter“, die zwischen den Hauptsorten stehen, damit diese besser bestäubt werden. Undenkbar, noch vor wenigen Jahren. „Ernten wir die, legen wir als Erzeuger 25 bis 30 Cent pro Kilogramm obendrauf.“ Seit drei Jahren sei diese Entwicklung zu beobachten, sagt Stehr. „Uns bleiben mittlerweile am Ende nur noch 20 Prozent der Verkaufssumme.“

Im kleinen Hofladen bieten Jan Stehr neben eigenem Obst auch regionales Gemüse, etwa aus den Vierlanden, an: frische Salate zum Beispiel, Kohl oder Steckrüben. „Ich habe das Gefühl, dass die Verbraucher sich immer mehr dafür interessieren, wo ihr Obst und Gemüse herkommt, wie lang die Transportwege sind“, sagt Stehr. „Regional ist das neue Bio.“ Als Folge der aktuellen Entwicklung wird der Obstbaumeister in Zukunft weniger anbauen. Und sich weiter auf den Endverbraucher konzentrieren. Denn da tue sich was in den Köpfen – zum Glück.