Jork. Hightech im Obstbau: Warum Landwirte und Forscher in Jork an einem System tüfteln, das die Intensität von Apfelblüten misst.

Mit Schrittgeschwindigkeit fährt ein kleiner Trecker der Marke Fendt durch Reihen voller blühender Apfelbäume. Am Steuer sitzt Moritz Hentzschel, wissenschaftlich-technischer Mitarbeiter des Obstbauversuchsring Altes Land im Esteburg Obstbauzentrum Jork. An der Front des Treckers ist eine besondere Messapparatur montiert. Sie erfasst die Blühintensität jedes einzelnen Apfelbäumchens und speichert die Daten ab. Später sollen diese und viele andere Messergebnisse eingesetzt werden, um die Apfelkulturen deutlich gezielter bewirtschaften zu können.

Die Messfahrt ist Teil des Forschungsprojekts SAMSON (Smarte Automatisierungssysteme und -services für den Obstbau an der Niederelbe). Es geht darum, in automatischen Prozessen möglichst viele Daten zum Gedeihen von Bäumen und Früchten zu sammeln, um die Bäume gezielter bewirtschaften zu können.

Wie soll ein Obstbauer bei 50.000 Bäumen allein den Überblick behalten?

Das Ziel ist, jeden einzelnen Baum individuell zu behandeln, um den bestmöglichen Ertrag zu erreichen. Kein leichtes Unterfangen. „Auf einer Anlage mit einer typischen Betriebsgröße von 20 Hektar stehen rund 50.000 Bäume“, sagt David Berschauer vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) in Stade. „Ein Obstbauer erkennt vielleicht im Vorbeifahren verschiedene Behandlungsbedarfe. Aber wie soll er sich die alle merken?“

David Berschauer (l.) und Frederick Blome kontrollieren bei einem Stopp die elektronische Steuerung des Blütenmesssystems.
David Berschauer (l.) und Frederick Blome kontrollieren bei einem Stopp die elektronische Steuerung des Blütenmesssystems. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Hier soll das SAMSON-Projekt mit der digitalisierten Datenerhebung Abhilfe schaffen. Es startete im Januar, ist vom Bund mit knapp 2,8 Millionen Euro ausgestattet und läuft bis Ende 2025. Das IFAM koordiniert das Projekt, an dem auch die Hochschule 21 in Buxtehude, die Technische Universität Hamburg (TUHH) und die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg beteiligt sind.

Sind nur wenige Blüten an den Bäumen, reifen zu wenige Äpfel heran

Sechs Feldforscher sind an diesem Nachmittag im Einsatz, um die Apfelblüte digital zu erfassen. „Apfelbäume mit kräftiger Blüte blühen im nachfolgenden Jahr meist nur schwach“, erläutert Berschauer. „Das Ziel ist eine möglichst gleichmäßige, mittlere Blühintensität, die gute Erträge von mittelgroßen Äpfeln in hoher Qualität bringt.“

Sind nur wenige Blüten an den Bäumen, reifen zu wenige Äpfel heran. Hat der Baum dagegen zu viele Blüten, die auch noch alle befruchtet werden, produziert er viele kleine Äpfel von minderer Qualität. Um das zu vermeiden, wird ein Teil der Blüten bei üppig blühenden Baumreihen mechanisch abgeschlagen. Dabei werden alle Bäume getroffen, so dass spärlich blühende Exemplare ebenfalls Blüten verlieren. Wenn es möglich ist, die Daten zur Blühintensität jeden einzelnen Baumes in den maschinellen Arbeitsgang einfließen zu lassen, könnten gezielt nur reichlich blühende Bäume behandelt werden. So die Theorie.

An der Front des Treckers ist ein GPS-Empfänger montiert

Noch ist der Weg zum Erwerbsanbau weit. Zunächst gilt es, die Datenerhebung zu testen, ihre Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu bestimmen. Das Messsystem besteht aus drei Komponenten, die auf einen robusten Gestell an der Front des Treckers montiert sind: Ganz oben thront ein GPS-Empfänger, der die Standortdaten einspeist. Darunter befindet sich zu beiden Seiten eine Stereokamera, die jeweils eine Baumreihe aufnimmt. Durch die Stereotechnik entstehen dreidimensionale Bilder.

Ein Blick auf die Reihe zeigt, dass einige Apfelbäume sehr stark blühen (weiß) und andere wenig Blüten und schon viele Blätter haben. 
Ein Blick auf die Reihe zeigt, dass einige Apfelbäume sehr stark blühen (weiß) und andere wenig Blüten und schon viele Blätter haben.  © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Um die Genauigkeit zu erhöhen, werden die Baumreihen zusätzlich mit einem Lidar (Lasersensor) vermessen: Er sendet Lasersignale in die Umgebung und kann anhand der Reflexionen die dreidimensionale Struktur jedes einzelnen Baumes erfassen und sie als Punktwolke darstellen.

Mehrarbeit sollte die Digitalisierung nicht machen, auch daran arbeiten die Forscher

Unterhalb der Messinstrumente ist ein orangefarbener Koffer festgeschnallt. In ihm arbeitet ein Computer zur Steuerung der Aufnahmen und Speicherung der erhobenen Daten. „Die Messdaten sollen in Blühstärke-Kennzahlen umgerechnet werden, die dann für die Bewirtschaftung genutzt werden“, sagt Hentzschel. „Wir wünschen uns eine möglichst breite Anwendung in der Praxis“, ergänzt IFAM-Kollege Christian Böhlmann. „Deshalb wollen wir möglichst viele Apfelsorten einbeziehen. Manche Sorten blühen rosa und nicht weiß. Das ist dann für die Kamera eine neue Aufgabe, auf die sie vorbereitet werden muss.“

Um praxistauglich zu sein, sollte die Digitalisierung keine Mehrarbeit machen. Deshalb wird es später keine speziellen Messfahrten geben, sondern die Geräte werden bei einem ohnehin nötigen Durchgang, etwa zur Bodenbearbeitung, am Trecker montiert. Damit die aufwendige, teure Technik später breit genutzt wird, haben die Forscher die Idee, dass das Esteburg Obstbauzentrum einige Geräte zum Verleih vorhalten könnte.

Wenn Bäume gezielter gedüngt werden können, schont das die Umwelt

Natürlich geht es bei SAMSON nicht nur um die gezielte Steuerung der Blühintensität. Die baumgenaue digitale Datenerfassung und -verwendung kann – mit unterschiedlichen Messverfahren – auch Sprühgeräte beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln steuern oder helfen, die Bäume gezielter zu düngen. Das schont die Umwelt, senkt die Betriebskosten und optimiert gleichzeitig den Ertrag.

Moritz Hentzschel fährt den Trecker mit der Messtechnik durch die Apfelbaumreihen.
Moritz Hentzschel fährt den Trecker mit der Messtechnik durch die Apfelbaumreihen. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Durch den Klimawandel ist zu befürchten, dass lange Trockenzeiten zunehmen werden. Dadurch wird die Bewässerung weiter an Bedeutung gewinnen. „Derzeit werden ganze Anlagen beregnet“, sagt Frederick Blome vom IFAM. Auch hier sei es sinnvoll, die Bäume gezielt zu bewässern. Als Kriterium könne das Alter gelten: „Junge Bäume haben ein schwächer ausgebildetes Wurzelwerk und sind deshalb empfindlicher gegenüber Trockenheit.“

In Buxtehude entwickelt: Ein autonomer Obstplantagenhelfer zur Entlastung der Pflücker

Vorstellbar sei, dass statt Beregnung ein kleiner Roboter mit einem Wassertank durch die Anlage fährt und die Einzelbäume unterschiedlich lange bewässert. Nachgepflanzte Bäume innerhalb einer Reihe können schnell mittels eines „GPS-Stabs“, den der Obstbauer an den Baum hält und kurz auslöst, örtlich eingeordnet werden.

Ein passendes Vehikel für die Wasserverteilung findet sich an der Buxtehuder Hochschule 21: „Aurora“, ein „autonomer Obstplantagenhelfer“. Das Roboterfahrzeug wurde entwickelt, um bei der Apfelernte das Pflückpersonal zu entlasten. Es transportiert große Obstkisten eigenständig ab, wenn sie komplett gefüllt sind. Leicht umgebaut könnte Aurora wohl auch einen Wassertank durch die Baumreihen fahren.