Die Zukunft der AKW Krümmel und Brunsbüttel ist ungewiss, die Länderchefs treffen sich am Dienstag mit der Kanzlerin zum Gespräch.
Berlin/Kiel/Hamburg/Hannover. Nach der drohenden Atom-Katastrophe in Japan ist die Debatte auch über die pannenträchtigen schleswig-holsteinischen Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel neu entbrannt. Die FDP, in Kiel Regierungspartner der CDU, sprach sich am Montag dafür aus, die nach Pannen seit Mitte 2007 fast durchgängig vom Netz genommenen Meiler stillzulegen und dafür die Laufzeiten des moderneren Kernkraftwerks Brokdorf zu verlängern. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) wollte sich vor dem am Dienstag geplanten Treffen der Länderchefs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht äußern. Der für die Atomaufsicht im Land zuständige Justizminister, Emil Schmalfuß (parteilos), lud am Nachmittag zu einer Pressekonferenz. Grüne, SPD und SSW sowie die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderten erneut die Stilllegung der beiden Kernkraftwerke.
Am Abend waren auch in Schleswig-Holstein Mahnwachen unter dem Motto "Fukushima ist überall - Atomausstieg jetzt!“ geplant. Sowieso ist der dank des Internets der Aufruf von Atomkraftgegnern auf große Resonanz gestoßen. In hunderten Städten in ganz Deutschland wollten am am Montagabend Unterstützer der Anti-Atomkraft-Bewegung auf die Straße gehen. Mahnwachen waren an mehr als 320 Orten geplant. "Es ist unvorstellbar, was hier passiert“, sagte der Sprecher der Kampagne ".ausgestrahlt“, Jochen Stay, in Hamburg. "Wir haben völlig den Überblick verloren.“ Die Organisation hatte am seit Samstag im Internet zu den Mahnwachen aufgerufen. Die Resonanz sei dank des Internets enorm, sagte Stay. "Das ist Protest 2.0.“ Wegen der großen Nachfrage war der Server des Vereins teilweise überlastet. So konnten einzelne Seiten vorübergehend nicht aufgerufen werden.
Der Energiekonzern Vattenfall teilte in der Zwischenzeit auf Anfrage mit, dass über die Zukunft von Krümmel und Brunsbüttel auf Grundlage einer Wirtschaftlichkeitsanalyse spätestens bis Ende Juni entschieden werden soll. Insofern ist eine Stilllegung nicht ausgeschlossen. Dabei würde ein Aussetzen der Laufzeitverlängerung allerdings nicht zwingend die entscheidende Rolle spielen, sagte Vattenfall-Sprecherin Barbara Meyer-Bukow. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen insgesamt müssten betrachtet und bewertet werden. Bis das Geschehen in den japanischen Atomkraftwerken geklärt sei, seien Schlüsse über neue technologische Anforderungen hierzulande verfrüht. Brunsbüttel hätte ohne Laufzeitverlängerung noch eine Betriebszeit von 2 Jahren, Krümmel von 8 Jahren, mit Laufzeitverlängerung wären es bei Brunsbüttel 10 Jahre und bei Krümmel 22 Jahre. Vattenfall erörtert zurzeit mit Eon, ob die Betriebsführerschaft von Vattenfall auf Eon als ebenfalls beteiligtem Unternehmen übergehen soll. Es sei nicht so, dass Vattenfall auf jeden Fall die beiden Kraftwerke loswerden wolle. Vielmehr würde bei einem Wechsel der Betriebsführerschaft Vattenfall Anteilseigner bleiben. In die Instandsetzung und Modernisierung von Krümmel seien seit 2007 rund 400 Millionen Euro und in Brunsbüttel etwas über 300 Millionen Euro geflossen. Dazu zählten auch Maßnahmen hinsichtlich einer besseren Notstromversorgung und bei Brunsbüttel auch gegen Erdbeben. Beide Kraftwerke seien ausgelegt für Erdbeben bis zur Stärke 6,0.
Die Grünen im schleswig-holsteinischen Landtag forderten von Ministerpräsident Carstensen eine Regierungserklärung zur Sicherheit der Atomkraftwerke im Land. "Wir haben in Schleswig-Holstein zwei der unsichersten Meiler“, sagte Grünen-Fraktionschef Robert Habeck am Montag in Kiel. Die Bevölkerung sei in großer Sorge und deswegen müsse die Regierung sagen, was sie will. Seine Fraktion habe zur nächsten Landtagssitzung in der kommenden Woche einen Antrag eingebracht, in dem die Rücknahme der Laufzeitverlängerung gefordert wird. "Ich erwarte, dass der Ministerpräsident sich klar positioniert“, sagte Habeck. Die CDU müsse Farbe bekennen und der Koalitionspartner von der FDP entscheiden, ob er Worten Taten folgen lässt oder nicht. "Dann haben wir eine Mehrheit im Landtag bei der Frage, die die Bevölkerung wie keine andere umtreibt in den nächsten Tagen.“ Es sei extrem wichtig, dass das Land zusammensteht.
FDP-Chef Koppelin will den Ausstieg
Nach Ansicht des schleswig-holsteinischen FDP-Chefs Jürgen Koppelin zeigen Pannen wie in Krümmel und Brunsbüttel, dass nur der Ausstieg die sicherere Alternative sei. "Wir können nicht die Augen zu machen und sagen: 'Japan ist weit weg, bei uns passiert sowas nicht.' Wir wissen alle nicht, was die Zukunft bringt“, sagte er am Montagmorgen im ARD-"Morgenmagazin“. Die Werke in Krümmel und Brunsbüttel seien "anfällig“. Man habe mit den beiden Werken "immer Probleme, auch dem Unternehmen Vattenfall“ gehabt, sagte Koppelin, der auch Vizefraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag ist. Koppelin forderte darüber hinaus eine strenge Sicherheitsüberprüfung aller Atomkraftwerke in Deutschland. Auch der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Ralf Stegner forderte erneut, die nachgewiesenermaßen unsicheren Pannenreaktoren Brunsbüttel und Krümmel dürften nicht wieder ans Netz. "Es bestätigt sich leider nicht zum ersten Mal und mit möglicherweise fatalen Folgen für die Betroffenen, dass die Gefahren der Atomenergie zu groß und in keinem Land beherrschbar sind. Dies können weder Sicherheitskonzepte in Japan noch in Deutschland und eben auch nicht in Schleswig-Holstein verhindern.“
Der Atomexperte Matthias Edler von Greenpeace bezeichnete Krümmel und Brunsbüttel als "die Spitze der der deutschen Pannenreaktoren“. Lars Harms vom SSW kritisierte die Ankündigung von Vattenfall, auf Grundlage einer Wirtschaftlichkeitsanalyse zu entscheiden. "Die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber dürften nicht darüber entscheiden, welche Risiken für die Bevölkerung und die Umwelt eingegangen werden. "Diese Abwägung ist das Grundübel der Atompolitik.“
Debatte erreicht Niedersachsen
Auch in Niedersachsen wird nach der verheerenden Katastrophe in Japan über Atomenergie diskutiert. Ministerpräsident David McAllister (CDU) forderte am Montag eine Aussetzung der Laufzeitverlängerung für die deutschen Atommeiler. „Die Ereignisse in Japan haben gezeigt, dass der Begriff des Restrisikos erneut bewertet werden muss“, sagte er in Hannover. Am Mittwoch wollen die Fraktionen im Landtag mehrere Stunden über die Konsequenzen aus den Unfällen in Japan diskutieren.
Die Sicherheit der Menschen habe "absolute Priorität“, sagte McAllister am Montag. Dazu müsse die Lage in Ruhe analysiert werden, sagte er. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will am Dienstag in Berlin mit den Länderchefs über Konsequenzen beraten. McAllister machte klar: "Der Umstieg in die erneuerbaren Energien ist der richtige Weg.“
Die FDP machte klar, dass die längeren Atomlaufzeiten keine "Garantie zum Weiterbetrieb jedes einzelnen Kernkraftwerks“ seien. Nun müssten die sicherheitstechnischen Standards erneut überprüft und dabei die Ereignisse in Japan miteinbezogen werden, sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. Dabei dürfe es keinen Aktionismus geben. Konsequenzen für einzelne deutsche Standorte seien jedoch nicht auszuschließen.
Die SPD forderte statt einer Aussetzung die sofortige Kündigung des Vertrages über die Laufzeitverlängerung. "Der Vertrag mit den vier AKW-Betreibern muss sofort gekündigt werden“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Stefan Schostok.
Am Mittwoch wollen die Fraktionen die Katastrophe nach dem Erdbeben in Japan zum Thema im Landtag machen. Alle fünf Fraktionen stellten dazu einen Antrag für die Aktuelle Stunde.
Niedersachsen trägt in Deutschland mit den drei Atomlager-Standorten Asse, Konrad und Gorleben eine besondere Verantwortung.