Niedersachsen habe vieles richtig gemacht, so Aigner. Der Zorn der Landwirte richtet sich gegen die Verursacher des Dioxin-Skandal.
Berlin. Ilse Aigner (CDU) hat das Krisenmanagement Niedersachsens im Dioxin-Skandal gewürdigt. „Niedersachsen hat vieles richtig gemacht, die Betriebe gesperrt und erst wieder freigegeben, als kein Verdacht mehr bestand“, sagte die Agragministerin am Freitagabend in Oldenburg. Dort besuchte die Ministerin das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES), um sich ein Bild von der Untersuchung der mutmaßlich mit Dioxin belasteten Eier- und Fleischproben zu machen.
Verständnis brachte Aigner für die Kritik der Opposition an ihrem Zehn-Punkte-Plan zum besseren Verbraucherschutz in der Futtermittelkette auf. „Die SPD-geführten Länder müssen entscheiden, ob sie Verbraucherschutz wollen oder Wahlkampf machen wollen“, sagte die Ministerin. Ihr Ministerium habe frühzeitig reagiert. Fehler im Verfahren habe es nicht gegeben. Lediglich die Kommunikation hätte besser laufen können, sagte Aigner.
Am Nachmittag hatte sich die Ministerin mit betroffenen Landwirten auf einem Hof im Raum Soltau (Niedersachsen) getroffen. Der Zorn der Landwirte sei groß gewesen, sagte ein Ministeriumssprecher. Dieser Zorn habe sich aber nicht gegen die Ministerin gerichtet, sondern gegen den Verursacher des Dioxin-Skandals. Problematisch sei nach Auskunft der Bauern nicht die Sperrung ihrer Höfe gewesen, sondern der Preisverfall ihrer Produkte und die Kaufzurückhaltung der Verbraucher.
Schleswig-Holstein will über Pläne Aigners hinausgehen
Im Dioxin-Skandal hat Schleswig-Holsteins Verbraucherschutzministerin Juliane Rumpf (CDU) eigene Vorschläge gemacht, die über den Aktionsplan von Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) hinausweisen. Aigners Vorschläge seien „das richtige Signal“, lobte Rumpf am Freitag in Kiel. Der Aktionsplan decke sich überwiegend mit den Vorschlägen Schleswig-Holsteins. Unterdessen gibt es im Dioxinskandal aktuell keine gesperrten landwirtschaftlichen Betriebe mehr in Schleswig-Holstein. Das Landwirtschaftsministerium veranlasste auch für den letzten Betrieb, einen Putenmäster, die Aufhebung der Sperre, nachdem die Risikoanalyse mit einem entsprechenden Ergebnis abgeschlossen werden konnte.
Zu den Vorschlägen Rumpfs gehören folgende Punkte: So fordert sie hinsichtlich der Ausweitung der rechtlichen Vorgaben für die Futtermittelkontrolle eine Zulassung nicht nur für Fettlieferanten, sondern auch für alle Betriebe, die Fette sowie weitere Komponenten mit höheren Risiken – zum Beispiel Phosphate – verarbeiten. Rumpf plädiert zudem für eine Pflicht zur Zertifizierung, die bisher nicht vorgesehen ist. Damit solle sichergestellt werden, dass die betrieblichen Eigenkontrollsysteme genutzt werden. Außerdem setzt sich Rumpf für eine Überarbeitung der deutschen Positivliste ein. Sie listet alle Stoffe auf, die für die Futtermittelherstellung zugelassen sind. Experten halten die bisherige Liste für überarbeitungswürdig. Rumpf fordert zudem eine verschuldensunabhängige Haftpflichtversicherung. Damit wären auch die Fälle sicher abgedeckt, in denen zum Beispiel vorsätzlich gegen geltendes Recht verstoßen wird. Aigners Aktionsplan sieht lediglich allgemein den Abschluss einer Haftpflichtversicherung vor. Trotz leichter Kürzungen beim Landeslabor will Schleswig-Holstein auch in Zukunft die vorgeschriebenen Futtermittel- und Lebensmittel-Kontrollen erfüllen. „Was die Zahl der Kontrollen angeht, sind wir offen“, sagte Ministeriumssprecher Christian Seyfert.Es komme aber nicht nur auf die Quantität, sondern auch die Qualität der Kontrollen an.
Aigner fordert eine Verschärfung und Ausweitung der Kontrollen der Länder. In Berlin berieten am Freitag auf Einladung des Bundesfinanzministeriums die Länder auf Staatssekretärebene über Maßnahmen.Über Aigners Zehn-Punkte-Plan will am Mittwoch das Bundeskabinett beraten. Bereits für Dienstag hat Aigner die für Verbraucherschutz zuständigen Länderminister nach Berlin eingeladen. Hamburger Behörden kommen nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung (Freitag) den gesetzlich vorgeschriebenen Kontrollen in Handel und Gastronomie nicht nach. In einem Brandbrief an die Finanzbehörde schlage Altonas Bezirksamtsleiter Jürgen Warmke-Rose (parteilos), dessen Behörde stadtweit federführend für die Kontrollen sei, Alarm. In Altona sei die Quote der Pflichtkontrollen in lebensmittelrechtlich relevanten Betrieben zuletzt „auf unter 70 Prozent gesunken“, zitierte die Zeitung aus dem Schreiben von vergangener Woche. Auch die Kontrolleure im Bezirk Hamburg-Mitte, in dem der Fleisch-Großmarkt liegt, sollen Probleme haben, ihrer gesetzlichen Pflicht nachzukommen. In Schleswig-Holstein gibt es nach Angaben von Ministeriumssprecher Seyfert solche Probleme nicht. Über 60 staatliche Lebensmittel- und Futtermittelkontrolleure seien im Einsatz. Zwar seien die Zuschüsse fürs Landeslabor im Zuge der Sparmaßnahmen des Landes gekürzt worden. Doch durch Investitionen in die technische Ausstattung sei die Effizienz des Labors gesteigert worden
Künast kritisiert Dioxin-Aktionsplan Aigners als unzureichend
Die frühere Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) hat den Aktionsplan von Amtsinhaberin Ilse Aigner zum Dioxinskandal als unzureichend kritisiert. „Aktionsplan steht drauf, ist aber nicht drin. Der Text lässt viele Fragen offen“, sagte Künast am Freitag auf der Fraktionsklausur ihrer Partei in Weimar. Wenn Aigner eine Positivliste für zulässige Bestandteile von Futtermitteln nur auf EU-Ebene umsetzen wolle, „können Sie die nächsten zehn Jahre warten". Künast warb für eine deutsche Vorreiterrolle: Führe Deutschland eine Positivliste ein, würden nach ihren Worten auch ausländische Hersteller wegen der Bedeutung des deutschen Marktes unter Druck geraten, deren Vorgaben einzuhalten.
Auch die von Aigner angekündigten strengeren Regeln, um die Beimischung von Industriefetten zu Futtermitteln künftig zu verhindern, gehen Künast nicht weit genug. Zulässig bliebe demnach etwa die Beimischung von altem Pommesfett oder sogar von Klärschlämmen, sagte die Grünen-Fraktionschefin. „Wir wollen aber gute Futtermittelfette“, zum Beispiel aus Rapsöl. Künast warf Aigner vor, ihr Aktionsplan enthalte zwar gute Überschriften, den Text darunter aber „hätte die Futtermittelwirtschaft auch selber schreiben können“, weil er ihr kaum neue Pflichten auferlege.
Nordrhein-Westfalen wirft Aigner Ideenklau vor
„Ideenklau“ im Dioxin-Skandal hat der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) seiner Bundeskollegin Ilse Aigner vorgeworfen. Der Zehn-Punkte-Plan der CSU-Politikerin enthalte wenig Neues verglichen mit den zehn Punkten, die Nordrhein-Westfalens Landesregierung vor einer Woche vorlegte, rügte Remmel. Aigner mache sich mit ihrem Krisenmanagement überflüssig. „Wenn das alles ist, brauchen wir keine Bundesverbraucherschutzministerin. Das schaffen die Länder auch alleine“, sagte er einer Mitteilung zufolge. Aigner will auf die Dioxin-Funden etwa mit schärfere Kontrollen reagieren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel stützt das Krisenmanagement
Regierungssprecher Steffen Seibert wies am Freitag in Berlin Berichte zurück, wonach die Kanzlerin unzufrieden sei. Die Agrarministerin habe weiter das Vertrauen und die „volle Unterstützung“ der Kanzlerin.
Seibert sagte: „Die Kanzlerin hat von vornherein Frau Aigner unterstützt.“ Die Ministerin sei eine treibende Kraft in der Bewältigung der aktuellen Krise gewesen und sei nun eine treibende Kraft bei den nötigen Konsequenzen.
Zuvor hatte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, in der CDU und bei Kanzlerin Merkel herrsche erhebliche Unzufriedenheit über das kommunikative Erscheinungsbild, das Aigner geboten habe. Bei der Vorbesprechung der Unions-Minister vor der Kabinettssitzung am vergangenen Mittwoch sei Merkel ungehalten gewesen ohne Aigner unmittelbar und namentlich anzusprechen.
foodwatch lobt die Ansätze des Aktionsplans
Der Sprecher der Verbraucherorganisation foodwatch, Martin Rücker, erklärte:
„Es ist positiv, dass die Ministerin das Problem endlich an der Wurzel anpacken will, wie es foodwatch seit Jahren fordert: mit einer Dioxin-Testpflicht der Futtermittelbetriebe, bezogen auf alle Chargen der Futtermittelkomponenten. Von der Ankündigung bis zur Umsetzung ist es allerdings ein weiter Weg, das sind die Lehren aus den Ankündigungen nach vergangenen Futtermittelskandalen. Es darf dieses Mal keine Kompromisse mit der Futtermittellobby geben und keine weitreichenden Ausnahmen, die die Test-Pflicht löchrig machen.
Auch die Ankündigung, dass die Behörden die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelkontrollen öffentlich machen und die Verbraucher über Rechtsverstöße informieren müssen, ist seit langem eine Forderung von foodwatch. Frau Aigner darf es hier nicht bei der Ankündigung belassen wie ihr Vorgänger Horst Seehofer, der den Verbrauchern vormachte, dass durch das Verbraucherinformationsgesetz die 'schwarzen Schafe' beim Namen genannt würden. In der Praxis verhindern jedoch zahlreiche Ausnahmen und Einschränkungen, dass die Namen von Herstellen und Produkten auch zeitnah genannt werden müssen, wenn eine amtlich festgestellte Verletzung rechtlicher Vorschriften vorliegt.“ (afp/dpa)