Die Banken erhalten 100 Milliarden Euro Kredit. Aber Kanzlerin Merkel fehlen bei der Sondersitzung 29 Stimmen aus dem eigenen Lager.
Berlin. Es ist der Tag des Schirmes: Rettungs- und Regenschirm. Der eine hilft ganz profan gegen das demoralisierend schlechte Sommerwetter in Berlin, in das die Bundestagsabgeordneten zur Sondersitzung von nah und fern zurückgerufen wurden. Der andere ist gegen die raumgreifende Euro-Krise, zu deren Überwindung die Parlamentarier nach bestem Wissen und Gewissen beitragen sollen. Am Ende unterstützen 473 der 583 anwesenden Politiker die Hilfe von bis zu 100 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsschirm EFSF für die maroden Banken im Königreich Spanien. Viele SPD- und Grünen-Politiker stimmen mit der schwarz-gelben Koalition. Für eine eigene Kanzlermehrheit reicht es allerdings nicht. Die Linke sagt Nein.
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Den Volksvertretern wird angesichts von Milliarden-Krediten und Billionen-Schulden schwindelig. Dabei wollen sie doch daran glauben, dass der Euro wieder mit dem Geld der Steuerzahler für die Banken zu retten ist. Und die Sitzung stimmt ein auf die Zerreißprobe der SPD, sollte sie im Bundestagswahljahr 2013 aus Verantwortungsgefühl für Deutschland und Europa der CDU-Kanzlerin Angela Merkel weiter breite Mehrheiten beschaffen.
Nicht Merkel erklärt diesmal die Position der schwarz-gelben Regierung. Es ist ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble, der Fachmann, ein politischer Fuchs, der seit 40 Jahren für die CDU im Bundestag sitzt. Von den 55 Sondersitzungen des Parlaments seit seinem Bestehen habe Schäuble wohl den Großteil absolvieren müssen, hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gesagt.
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Der 69-jährige Schäuble ist aber noch etwas: Europäer. Er beschwört es wieder. Die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedstaaten und die Euro-Zone mit ihren 17 Ländern sei ein Erfolg. Friedenspolitisch und kulturell. Und die Exportnation Deutschland sei einer der großen Profiteure und muss kränkelnden Partnern helfen. Und deshalb müsse Spanien jetzt so viel Geld für seine angeschlagenen Banken bekommen, dass das ganze System saniert, gescheiterte Institute abgewickelt und restrukturierte Banken der eigenen Wirtschaft wieder Kredite geben können.
Mit dem Hilfspaket sind harte Auflagen für Spanien verbunden. Unter anderem muss das Defizit von 6,3 Prozent in diesem Jahr bis 2014 auf 2,8 Prozent gesenkt werden. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele sagte, hier sei ein "unsoziales Sparen" bereits absehbar. Das sei der falsche Weg, wie der Fall Griechenland gezeigt habe.
Noch während Schäubles Rede fällt der Euro auf das Tagestief von 1,2229 US-Dollar, weil die Äußerungen im Handel als Belastung für die Gemeinschaftswährung gewertet wurden. Warum? Wer versteht das noch? Die Vereinbarung, die die EU- und Euro-Partner für die Spanien-Hilfe ausgearbeitet haben, hat so scharfe Auflagen, dass SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier seinen Leuten trotz der Bedenken die Zustimmung empfiehlt.
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Für ihn wäre es auch nicht konsequent, Rettungsschirme aufzuspannen, sie aber nicht zu benutzen. Die Rettung von Banken dürfe jedoch keine Dauerlösung sein, fordert Steinmeier. Er schlägt einen "Banken-ESM" vor - finanziert über eine europäische Bankenabgabe. Demnach müssten die Banken untereinander für die Risiken einstehen, ohne den Steuerzahler zu belasten. "Es kann nicht angehen, dass Politik immer wieder in Haftung genommen wird, während sich die Akteure auf den Finanzmärkten in der Anonymität verstecken." Steinmeier verlangt eine bessere Einbindung des Parlaments in die Euro-Rettung und mahnt: "Friss oder stirb geht mit diesem Parlament nicht mehr." Merkel darf das als Warnung verstehen. Für das Ja zum geplanten Euro-Rettungsschirm ESM und dem europäischen Fiskalpakt zu mehr Haushaltsdisziplin brauchte sie Ende Juni eine Zweidrittelmehrheit. Die SPD half ihr. Dass die Sozialdemokraten auch Parteitaktik können, bewiesen sie jüngst, als sie mit Linken und Grünen eine Debatte über das von der Koalition angestrebte umstrittene Betreuungsgeld durch einen Abstimmungstrick platzen ließen. Und Steinmeier verweist noch darauf, dass der Bundestag eines der wenigen Parlamente in Europa ist, das sich im Zuge der Schuldenkrise noch nicht zerlegt hat.
Mit Blick auf zwei verfehlte Kanzlermehrheiten fügte Steinmeier hinzu, es habe früher Politiker gegeben, die daraus "andere Konsequenzen gezogen" hätten. Bundeskanzlerin Merkel hatte in der Vergangenheit eine Kanzlermehrheit in Fällen der Euro-Rettung als verzichtbar bezeichnet. Nach Angaben aus Fraktionskreisen der Regierungskoalition fehlten ihr diesmal 29 Stimmen des eigenen Lagers. "Frau Merkel ist eine Kanzlerin auf Abruf", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann.
Die Deutschen glauben, dass viele Abgeordnete nicht wirklich verstehen, worüber sie bei der Euro-Rettung entscheiden. In einer Emnid-Umfrage für den TV-Sender N24 sagen 44 Prozent der Befragten, dass nur wenige oder kaum einer der Abgeordneten Wirkung und Folgen der Euro-Rettungsaktionen verstehen. 52 Prozent der Deutschen finden es richtig, Spanien zu helfen. Aber 61 Prozent haben Angst, dass sich Deutschland bei der Euro-Rettung selbst finanziell übernehmen könnte.
Am Ende der Sitzung sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über den Marathon an Sonderdebatten: "Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf spätestens Dienstag, dem 11. September, um 10 Uhr, halte aber meine Empfehlungen für eine möglichst flexible Urlaubsplanung ausdrücklich aufrecht."