Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mahnt im Abendblatt eine umfassende Modernisierung des Datenschutzes an.
Hamburg. "Das Internet hat unseren Alltag komplett verändert: Millionen Deutsche verbringen täglich viele Stunden vor dem Computer, surfen, posten, lesen ihre E-Mails. Die neue Online-Welt hat aber eine Kehrseite: Wie in kaum einem anderen Bereich kommt es im Internet zur Kollision von Meinungsfreiheit und dem Schutz der Privatsphäre. Das zeigt das Beispiel der Plattform Spickmich.de, in der Schüler ihre Lehrer bewerten, manchmal aber auch beleidigen.
Die Debatten über Bewertungsportale wie Spickmich, soziale Netzwerke wie Facebook und Geodatendienste wie Google Street View haben gezeigt, dass das Datenschutzrecht grundlegend erneuert werden muss. Das Datenschutzrecht muss ausgleichen zwischen einer möglichst freien Kommunikation und dem Recht, selbst zu bestimmen, was über die eigene Person veröffentlicht wird. Denn das Bedürfnis nach Privatheit verschwindet ja nicht, bloß weil sich seit dem Internet die Form der Öffentlichkeit gewandelt hat. Nur weil die Technik uns gläsern machen kann, wollen längst noch nicht alle gläsern werden.
Eine umfassende gesetzliche Regelung darf sich nicht auf einzelne Aspekte und Angebote im Internet beschränken. Nur ein breit angelegter, technikneutraler Ansatz kann den Chancen und Risiken der technischen Entwicklung angemessen begegnen.
Es ist nicht möglich, jeden Konfliktfall im Internet gesetzlich zu regeln. Es reicht vollkommen aus, einen Rahmen für die grundsätzlichen technischen und rechtlichen Streitfragen zu schaffen. Den Unternehmen bleibt es dann überlassen, im Wege der Selbstregulierung innerhalb dieses Rahmens ihre eigenen Regeln zu schaffen.
Entscheidend ist, wo wir die gesetzlichen Leitplanken für diese Selbstverpflichtung setzen. Beispiel Geodaten: Wenn bloße Sachdaten wie Fotos von Häuserfassaden mit anderen Informationen wie der Adresse und dem Autokennzeichen verknüpft werden, sind Rückschlüsse auf einzelne Bürger möglich. Künftig muss daher viel klarer sein, wann personenbezogene Daten vorliegen und wann lediglich Sachinformationen, die nicht dem Datenschutzrecht unterliegen.
Wenn Unternehmen für ihre Zwecke Daten zu ganzen Profilen einzelner Personen zusammenführen, stellt das eine besondere Gefahr für das Persönlichkeitsrecht dar. Welche Daten verknüpft werden dürfen und wie mit diesen Profilen umgegangen wird, muss gesetzlich geregelt werden. Wir sollten zwar nicht jede Profilbildung per se verbieten – damit würde man es sich zu einfach machen. Aber wir sollten dringend darüber nachdenken, schon die Profilbildung einzuschränken – und nicht erst die Veröffentlichung von solchen missbrauchsanfälligen riesigen Datensammlungen.
Sinnvoll ist der Vorschlag, Veröffentlichungen zu verbieten, die stigmatisieren, sozial ausgrenzen oder anprangern - also schwer in das Persönlichkeitsrecht eingreifen. Das gilt auch für die Veröffentlichung von Daten, die zur Intimsphäre oder zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gehören. Auch die Veröffentlichung besonders schutzwürdiger Daten wie Angaben zur religiösen Überzeugung oder über die Gesundheit sollte von vornherein nur auf der Basis einer Einwilligung der betroffenen Personen zulässig sein.
Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – wie zum Beispiel eine freiwillige zentrale Widerspruchsstelle bei Geodatendiensten – halte ich für eine gute Idee. Um die Privatsphäre zu schützen und die Betroffenenrechte zu stärken, ist es notwendig, Einwilligungs- und Widerspruchsrechte im Datenschutzrecht grundsätzlich zu verankern. Außerdem müssen auch die technischen Möglichkeiten für datenschutzfreundliche Lösungen gefördert werden. Zum Beispiel könnten soziale Netzwerke im Internet verpflichtet werden, ihre Angebote von vornherein datenschutzsensibel auszugestalten – ohne dass sich die Nutzer erst kompliziert durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen arbeiten müssen, um sich über ihre Rechte zu informieren. Auch sollten die User ihre Berichtigungs-, Löschungs- und Widerrufsrechte elektronisch ausüben und sich so leichter schützen können.
Hinzu kommt: Die Verbraucher müssen umfassend darüber informiert werden, woher die Daten kommen, mit denen über sie ein Profil gebildet wird – und was mit dem Profil bezweckt wird. Nur so können sie auch wissen, in was sie möglicherweise gerade einwilligen.
Schließlich muss Datensparsamkeit einen viel größeren Stellenwert bekommen: Denn je kleiner der Datenberg, desto geringer auch die Gefahr eines massiven Datenmissbrauchs. Es sollte auch alles dafür getan werden, dass Daten frühzeitig wieder gelöscht werden. Ein wirksames Mittel könnte sein, veröffentlichte Daten künftig mit einer Art Verfallsdatum zu versehen. Die Debatte über die Zukunft des Datenschutzrechts hat gerade erst begonnen."