Vor dem CDU-Parteitag drohen Wirtschaftspolitiker mit Revolte - sie fordern eine Steuervereinfachung. Rückendeckung aus Norddeutschland.
Karlsruhe. Die Gelassenheit, die den Bundesparteitag tragen sollte, ist dahin. Giftige Töne und Missmut prägen das Bild zum Auftakt des CDU-Treffens in der Karlsruher Messe. Im Zentrum steht Finanzminister Wolfgang Schäuble. Wieder einmal. Kaum ist die Debatte um die Demütigung seines Sprechers Michael Offer verebbt, findet nun die lange schwelende Unzufriedenheit mit der Steuerpolitik des Finanzministers ihr Ventil.
CDU-Bundestagsabgeordnete drohen, in Karlsruhe einen Initiativantrag für umfangreiche Steuervereinfachungen zu stellen, wenn es nicht rasch ein Signal des Finanzministers in diese Richtung gebe. Der CDU-Mittelstandspolitiker Christian von Stetten richtete via "Bild am Sonntag" eine unverhüllte Drohung an die Koalition: "Wenn wir kein Steuervereinfachungsgesetz umsetzen, das seinen Namen verdient, dann nehmen uns unsere Wähler nicht mehr ernst. Notfalls muss der Bundesparteitag darüber entscheiden."
Im Mittelpunkt des Streits stehen die von Schäuble angekündigten Vereinfachungen des Steuerrechts, die ab 1. Januar 2011 gelten sollen. 18 Vorschläge hat sein Haus gemacht. Noch im Sommer hatte eine Arbeitsgruppe der Fraktionen von FDP und Union allerdings 90 Anregungen bei Schäuble eingereicht. Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs konnte seinen Frust über den Minister nicht mehr zurückhalten: "Die Gesetzentwürfe entsprechen nicht dem Wunsch und Willen der Fraktion." Eine engere Zusammenarbeit zwischen Schäuble und der Fraktion wünsche er sich, schimpfte Fuchs. Schäuble rechtfertigte sich. Das Ziel der Steuervereinfachung habe auch für ihn hohe Bedeutung, sagte er.
Bisher ist Schäuble allenfalls bereit, mit Vereinfachungen etwa durch mehr Pauschalen bei der Steuererklärung auf 500 Millionen Euro zu verzichten. An weiter reichende Steuersenkungen will er nicht herangehen. Zum Unmut der FDP, aber auch des Wirtschaftsflügels der Union. Die Liberalen beschwerten sich die gesamte vergangene Woche über Schäuble. Hamburgs Erster Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) indes unterstützt Schäubles Kurs: "Steuersenkungen wären nicht nur hochgradig unseriös, sondern auch ein Geschäft zulasten kommender Generationen", sagte Ahlhaus gestern dem Abendblatt. Die CDU sei die Partei, die mit viel Mut und ohne Opportunismus Zukunftspolitik für unser Land gestalte. "Dazu gehört zwingend auch eine solide Haushaltspolitik. Dazu gibt es keine seriöse Alternative", betonte Ahlhaus. Schleswig-Holsteins CDU-Vorsitzender Christian von Boetticher bekräftigte: "Es ist dringend notwendig, das Steuersystem zu vereinfachen. Wer allerdings sieht, wie hoch verschuldet die öffentlichen Haushalte sind, kann nicht ernsthaft über Steuersenkungen reden."
Anfangs hatten Koalitionäre den Minister als strengen Wächter des Haushalts gefürchtet. Jetzt kommt ein zweites Bild hinzu: das des Reformunwilligen. Die Union ist alles andere als glücklich mit dieser Wirkung. Ausgerechnet in einem Gestaltungsressort als Blockadepartei zu gelten könnte sich bei Wahlen rächen. Vom fernen G20-Gipfel in Seoul dementierte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch in aller Deutlichkeit, sie plane eine Kabinettsumbildung. Dass es dennoch einen Plan gibt - selbst wenn er jetzt noch nicht zur Ausführung gelangt -, wollen auch Koalitionspolitiker nicht verhehlen. "Keiner gibt ihm länger als bis Weihnachten", sagte ein ungenannter Bundesminister dem Magazin "Focus". Auch in der Fraktionsspitze gelte der gesundheitlich angeschlagene 68-Jährige als "Minister auf Abruf".
Als die Parteichefin gestern die Parteitagshalle in Karlsruhe besichtigte, wurde sie wieder auf Schäuble angesprochen. Merkel entgegnete, er habe eine große Zustimmung in der Partei. "Das werden Sie morgen sehen, da bin ich ganz sicher."
Auch von Boetticher rechnet mit Rückendeckung für Schäuble beim Parteitag. "Unser Finanzminister macht eine hervorragende Politik", sagte der Vorsitzende der Nord-CDU dem Abendblatt. Um Zweifel an Schäubles Führungsfähigkeit zu zerstreuen, wies er darauf hin, dass Otto Schily seinerzeit als Innenminister "noch ganz anders mit seinem Personal" umgegangen sei. "Wolfgang Schäuble tut man da wirklich unrecht." Der Minister sei eine Säule der Unionspolitik. "Es wird auf diesem Parteitag nicht den geringsten Vorstoß gegen ihn geben. Und wenn seine Gesundheit mitspielt, wird er auch am Ende der Wahlperiode noch Finanzminister sein", gab sich von Boetticher überzeugt.
Heute werden in der Parteispitze nicht nur die Parteichefin und ihre vier Stellvertreter gewählt. Auch Schäuble stellt sich zur Wahl - für einen Sitz im Parteipräsidium.