Finanzminister Wolfgang Schäuble verliert seinen Sprecher und an Rückhalt in der Koalition. Wieder werden Zweifel an seiner Amtstauglichkeit laut.
Berlin. Fünf Tage lang hatte Michael Offer die Demütigung schweigend ertragen . Seit dem unheilvoll verlaufenen Donnerstag hatten ihn andere Ministeriumssprecher versucht aufzumuntern, Bürger hatten ihm E-Mails geschrieben. Am Ende des Nachdenkens stand für Offer aber fest: Wenn ein Minister seinen eigenen Sprecher vor laufenden Kameras in einer Pressekonferenz aufs Peinlichste zusammenstaucht, kann man danach schwerlich nach außen von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sprechen.
An jenem 4. November hatte Schäuble eigentlich nur die offiziellen Zahlen der Steuerschätzung verkünden wollen. Weil aber die entsprechenden Unterlagen dazu nicht rechtzeitig verteilt worden waren, hatte der Minister seinen Sprecher mehrfach rüde zurechtgewiesen. Um 9.06 Uhr ging gestern das Rücktrittsgesuch von Offer per E-Mail bei Schäuble und den Staatssekretären des Hauses ein. Offer schrieb, nach einem offenen Gespräch am Montagnachmittag sei ihm deutlich geworden, dass er leider nicht das volle Vertrauen Schäubles bei der Ausübung seiner Funktion als Pressesprecher habe: "Ich erkläre daher meinen Rücktritt als Ihr Sprecher und bitte um Zuweisung einer neuen Aufgabe."
Eineinhalb Stunden später ließ Schäuble knapp mitteilen, er habe dem Wunsch entsprochen, den Sprecher von seiner Funktion zu entbinden. Schäuble dankte dem 51-Jährigen "für seinen unermüdlichen Einsatz und für seine Loyalität". Ob es den Versuch Schäubles gab, Offer noch umzustimmen, ist nicht bekannt.
Mit Offer verliert Schäuble nicht nur einen ausgewiesenen Experten in der Haushaltspolitik, sondern auch einen Öffentlichkeitsarbeiter, der in den langen Krankheitspausen Schäubles an der Handlungsfähigkeit des Finanzministeriums keinen Zweifel aufkommen ließ. Vor dem Schäuble-Engagement hatte sich der erfahrene Beamte einen Namen vor allem als Mitarbeiter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemacht.
Das Kapitel ist für Schäuble damit nicht beendet. Wieder kommen Zweifel an seinem Führungsstil und seiner Tauglichkeit als Kabinettsmitglied auf. In den Fluren der Ministerien und in den Abgeordnetenbüros wird offen über den Umgang des 68-Jährigen mit Mitarbeitern gesprochen. Schäuble sei autoritär und gebe Informationen im eigenen Haus nur sehr zögerlich weiter, was für seinen Pressesprecher ein Problem gewesen sei, hieß es gestern im Finanzministerium. Die Kommunikation von oben nach unten sei katastrophal. Der Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), verteidigte Schäuble. Er habe als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium selbst vier Jahre lang mit Schäuble zusammengearbeitet, sagte Altmaier. Die Zusammenarbeit sei immer von großem gegenseitigen Respekt geprägt gewesen.
Aussagen wie Altmeiers sind die einen. Hinter vorgehaltener Hand fragen sich andere Koalitionspolitiker, ob Schäuble mit dem Amt vielleicht überfordert ist. Sein Stil gegenüber Offer lasse diese Frage zumindest zu. Nur SPD und Grüne wurden gestern deutlich. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sagte der WAZ-Mediengruppe, Offers Rücktritt sei nur konsequent. "Die Verantwortung dafür trägt allein der Minister." Die Opposition habe Offer als einen "fachlich hochprofessionellen Beamten" kennengelernt. Der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick erklärte, es spreche für Offer, dass er die Konsequenzen ziehe, nachdem Schäuble das Wort Entschuldigung nicht über die Lippen gebracht habe. Was tatsächlich an Äußerungen Schäubles zu dem Vorfall vom Donnerstag bekannt ist, ist ein einziger Satz: "Bei aller berechtigten Verärgerung habe ich vielleicht überreagiert." Eine Rechtfertigung, keine Entschuldigung.
Einige Bundestagsabgeordnete wollen inzwischen erfahren haben, dass der querschnittsgelähmte Minister trotz der längeren Pause im Oktober nach wie vor unter ständigen Schmerzen leidet. Darin wollen sie den Grund seiner Garstigkeit erkannt haben. Dass Schäuble gegen seine Gesundheit und auch gegen den Rat seiner Ärzte lebt, wurde jedenfalls in diesem Jahr - dem 20. Jahr seit dem Attentat im Oktober 1990 - so sichtbar wie noch nie. Im Frühjahr musste bei ihm ein 17 Jahre altes Implantat ersetzt werden. Die Wunde heilte nicht zu. Schäuble wollte zu früh zurück an den Schreibtisch. Mehrfach musste er danach zurück in die Klinik. Vor einem Monat überraschte der Minister die Öffentlichkeit mit einem Bekenntnis seines tatsächlichen Zustands. Über einen Bericht im "Stern" ließen Schäuble und sein Bruder Thomas durchblicken, dass langsam auch ein Rücktritt infrage kommt. "Das über halbjährige Wundsein hat ihn zermürbt", sagte Thomas Schäuble. Und Vertrauten soll der Finanzminister dem Magazin zufolge gesagt haben: "Wenn ich nach vier Wochen merke, es geht nicht mehr, ziehe ich die Konsequenzen. Davon hält mich niemand ab."
Ein konkretes Rücktrittsangebot an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ Schäuble erst zaghaft, dann ausdrücklich bestreiten. Und wieder kam Schäuble gegen den Rat seiner Ärzte früher zurück als angekündigt. Es scheint, als wolle der Minister mehr denn je den Anschein von Amtsmüdigkeit zerstreuen. Die Gerüchte über einen Rückzug wird der CDU-Politiker trotzdem nicht mehr los. In Koalitionskreisen gilt es als ausgemacht, dass Innenminister Thomas de Maizière (CDU) als Nachfolger bereitstünde, sollte Schäuble im Laufe der Legislaturperiode seinen Rücktritt erklären.