Was die Sozialdemokraten von Sporttrainern lernen könnten, um ein Team zu werden.

Ein unbefangener Blick von außen bringt oft mehr zutage als alle internen Problemanalysen. Nach Andrea Ypsilantis Debakel in Hessen fragte das Abendblatt zwei Sportexperten, ob die SPD noch Aufstiegschancen habe oder in ein mehrjähriges Trainingslager gehöre. Darauf antwortete Olaf Kortmann, ehemaliger Volleyball-Nationaltrainer und heute Wirtschaftscoach, dass in einem echten Team individuelle Bedürfnisse ihre Befriedigung nur in einer gemeinsamen Zielsetzung fänden. "Ohne Übereinkunft gibt es kein Team, sondern nur irgendeine Gruppe - so wie Leute, die gerade zusammen auf einen Bus warten."

Und für den ehemaligen Basketball-Nationalspieler Wilbert Olinde, heute Firmen- und Sportcoach, sind Respekt und eine gemeinsame Vision die wichtigsten Klebstoffe, die ein Team zusammenhalten. Wenn sie fehlen, "fangen die Spieler an, sich in verschiedene Richtungen zu bewegen."

Offenbar unterscheiden sich Probleme einer Partei also nicht von Problemen in Sportmannschaften oder Unternehmen. Mal fehlt der Kopf, der wirklich führt und dem alle Respekt erweisen. Mal fehlt die Übereinkunft auf ein Ziel. Mal fehlt die Vision über den Tag hinaus. Auf die SPD trifft inzwischen alles zu.

Da ist sie allerdings in guter Gesellschaft. Bei ihren französischen Genossinnen und Genossen ist ein ähnlicher tief greifender Richtungsstreit entbrannt: In der Parti Socialiste stehen sich der linke Traditions- und Gewerkschaftsflügel und der wirtschaftspragmatische Mitte-Flügel erbittert gegenüber.

Taugen die alten Rezepte der Arbeitnehmerpolitik - Großdemonstrationen und Streiks - noch in den Zeiten der Globalisierung? Natürlich ist die Sehnsucht nach dem fürsorglichen Staat groß, der seine Bürger in jeder Notlage alimentiert - aber ist er noch finanzierbar? Wie überwindet man die heillose Entfremdung zwischen den Lebenswelten der "alten" Gewerkschafter und der "neuen" Mitte, die sich in derselben Partei ratlos und sympathielos gegenübersitzen?

Die Fragen treiben die Sozialdemokratie überall in Europa um. Frankreich steht eine Agenda 2010 erst noch bevor. In Norwegen experimentierten sozialdemokratische Regierungen schon vor zehn Jahren mit neoliberalen Rezepten, wurden prompt von den Bürgerlichen abgelöst und bilden heute mit Zentrumspartei und Sozialistischer Linkspartei eine Koalition, die den Sozialstaat wieder reparieren will. Den deutlichsten Wandel von der zerstrittenen Arbeiter- zur modernen Mitte-Partei hat "New Labour" in Großbritannien vollzogen - und kämpft jetzt mit der Frage, was noch "links" ist. Diese inneren Reformierungen dauern lange und katapultieren die Mannschaften immer wieder in die zweite Liga.

Dass der SPD dabei die Fähigkeit abhandengekommen ist, ihre auseinanderdriftenden Flügel zu integrieren, ist auch ein Generationsproblem. Die sogenannten "Enkel" Willy Brandts traten mit dem ungeheuren Appetit unausgelasteter, reformwütiger 68er an. Aber während der Sozialstaat in der Ära Kohl schon deutlich nach Reformen schrie, starteten sie an der SPD-Spitze vor allem eine Dauer-Personalschlacht. Wenn eine Partei in 17 Jahren seit 1991 acht verschiedene Vorsitzende verschleißt - im Schnitt 2,3 Jahre Verweildauer im Amt -, nützt alles Weintrinken in der Toskana nichts. Manchen Enkeln wurde ihre Eitelkeit zum Verhängnis (Engholm), anderen ihre Ungeschicklichkeit (Scharping), Intrigen (Beck), Machtkampf (Lafontaine) oder ihr Führungsstil (Schröder).

Bis heute hat sich die SPD nicht entschieden, welche Art Mannschaftskapitän sie braucht (zu Kapitäninnen arbeitete sie sich gar nicht erst vor): den beharrlichen, integren Sacharbeiter, den Zuchtmeister oder doch lieber den Charismatiker? Die Partei hat all diese Typen immer gehabt, sie verfügt über Denker und Aktivisten - aber sie erträgt nicht, dass sie starke Spielmacher werden. Kantige Wurzelhölzer wie Franz Müntefering wurden ebenso kaltgestellt wie der Volkstribun Lafontaine, der Schröders Kurs störte, oder der Gemütsmensch Kurt Beck. Matthias Platzeck warf 2006 nach einem Jahr nicht aus gesundheitlichen Gründen hin, sondern weil ihm wohl schwante, dass dieses "Team" ihn erst richtig krank machen würde.

Die "Enkel" von einst sind heute die Alten in der Partei. Aber sie halten hartnäckig an Posten und Macht fest, statt sie an die nachfolgende Generation abzugeben, und auch das verhindert eine Erneuerung der Partei.

Wer erfolgreich ein Team führen will, muss vertrauenswürdig sein und die Individualität von Mitspielern zu wahren wissen, sagt Coach Olaf Kortmann. Der Teamführer müsste also auch Spieler wie Dagmar Metzger (sie stellte sich als Erste gegen den Ypsilanti-Kurs in Hessen) rechtzeitig einfangen; oder solche wie Wolfgang Clement, die noch den Co-Trainer geben, wenn sie längst auf der Tribüne sitzen. Beide repräsentieren mit ihren Haltungen aber mehr als nur Einzelmeinungen.

Wo zieht nun die SPD die Grenze nach rechts, und warum? Ist die von Clement entworfene Minijob-Regelung parteischädigend? Ist das persönliche Nein zur Duldung durch die Linke schon außerhalb des Parteiprogramms? Es ist fatal, auf solche Grundsatzfragen wie ein wütender Sportklub nur per Vereinsgericht zu antworten.

Den Austritt eines prominenten Mitglieds einfach auszusitzen, hat schon einmal zu einem gefährlichen Kompetenz- und Ansehensverlust der SPD geführt. Die Grundsätze der Marktwirtschaft und der Stabilität fänden bei der SPD immer weniger Unterstützung, schrieb dieser Prominente 1972 in seiner Austrittsbegründung. Es war kein Geringerer als Professor Karl Schiller, "Superminister" (Wirtschaft und Finanzen) im Kabinett von Willy Brandt, der die Grundsätze seines "Wachstums- und Stabilitätsgesetzes" nicht mehr gewahrt sah. Schiller bezweifelte, dass die SPD die Instrumente beherrschte, die er zur Steuerung eines wettbewerbsorientierten Sozialstaats für unverzichtbar hielt: Preisstabilität, Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum. Es ging auch damals um nichts anderes als den Umgang mit Märkten und Marktveränderungen: Arbeitsmarkt, Geldmarkt, Preise. Brandt nahm Schiller nach Jahren wieder wie einen verlorenen Vater in der Partei auf. Aber es dauerte noch mehr Jahre, bis die SPD auf dessen Feld wieder Kompetenz zurückgewonnen hatte.

Wie lange wollen die Sozialdemokraten es noch darauf ankommen lassen, bei den Kommunalwahlen des kommenden Jahres nur drittstärkste Kraft zu werden? Wann beginnen sie mit einer ernsthaften programmatischen Neubestimmung mit klaren Zielvorgaben in Arbeit, Umwelt, Wirtschaft und Bildung, wie es die Demokraten in den USA nun auch tun?

Das ist nämlich der Unterschied zur Zeit Brandts und Schillers: Die Konkurrenz ist heute viel härter geworden. Und die anderen Teams sind schon am Start.