Syrische Armee greift von mehreren Fronten an. Mittlerweile über 50.000 Flüchtlinge in der Türkei. Iran richtet Syrien-Konferenz aus.
Aleppo/Damaskus/Berlin. In der syrischen Millionenstadt Aleppo kämpfen die Rebellen mit allen Kräften um jeden Meter gegen die vorrückenden Regierungstruppen. Am Donnerstag vermeldeten sie zunächst leichte Bodengewinne im südwestlichen Stadtteil Salaheddine. Doch wenig später räumten die Aufständischen nach heftigen Bombardements ein, zwei Straßenzüge aufgegeben zu haben, die sich als eine Front in dem weitgehend in Schutt und Asche liegenden Stadtteil herausgebildet hatten. Sie wollten sich neu formieren und dann zum Gegenangriff ansetzen. Die Armee nahm derweil nach Angaben staatlicher Medien die Aufständischen auch im Osten und im Südosten unweit vom Flughafen sowie in einem nordwestlich gelegenen Vorort unter Beschuss.
Immer mehr Menschen flohen aus der Stadt. Die türkischen Behörden teilten mit, dass inzwischen mehr als 50.000 Flüchtlinge über die Grenze in das Nachbarland gekommen seien. Vor der Küste Süditaliens wurde ein Fischerboot mit 124 Syrern an Bord abgefangen. Sie kamen in einem Auffanglager unter.
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„Wir haben es nicht mehr ausgehalten“, sagte der Gemüsehändler Ahmed Schaaban aus Salaheddine der Nachrichtenagentur Reuters, während er sich mit anderen Flüchtlingen durch einen Grenzzaun zwängte. Türkische Soldaten versuchten, für Ordnung zu sorgen. „Uns wurde alles genommen. Sie haben unsere Häuser verbrannt und uns unsere Existenz geraubt.“
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Seit Beginn des Aufstands gegen Präsident Baschar al-Assad vor 17 Monaten sind nach Angaben der Opposition mindestens 18.000 Menschen getötet worden. Wie viele in Aleppo ums Leben kamen, das seit kurzem im Zentrum der Revolte steht, ist ungewiss. Das Vorgehen der Armee belegt jedoch, dass Assad die Machtprobe in dem Wirtschaftszentrum unbedingt gewinnen will. Nur so kann er seine Autorität landesweit wieder herstellen. Vor allem in den ländlichen Gebieten im Norden Syriens scheinen die Rebellen mittlerweile breite Landstriche zu kontrollieren, seit viele Einheiten zur Unterstützung nach Aleppo verlegt wurden.
Die Rebellen geben sich entschlossen, selbst wenn ihnen nach eigenen Angaben die Munition auszugehen droht. „Wir sind hier, um zu Märtyrern zu werden“, sagte Abu Ali, ein Kommandeur der Aufständischen, zu Reuters-Journalisten in der Stadt. Er habe 400 Mann zusammengezogen, um auf die am Mittwoch begonnene Großoffensive zu reagieren. Abu Ali koordinierte seine Kämpfer über ein Funkgerät, er selbst saß wegen einer Verletzung im Rollstuhl.
Das Rote Kreuz konnte am Donnerstag erstmals seit der Eskalation der Kämpfe vor einigen Wochen Nahrungsmittel und Medikamente nach Aleppo liefern. Die Lastwagenkolonne hatte Lebensmittel für 12.500 Menschen und Verbandsmaterial für 1000 Verletzte geladen, wie ein Sprecher in Genf sagte. Die Hilfsgüter sollen vom Roten Halbmond verteilt werden.
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In Tel Rifaat wurden Reuters-Reporter Zeugen eines Angriffs der syrischen Luftwaffe auf das 35 Kilometer nördlich von Aleppo liegende Dorf. Ein Kampfjet feuerte im Sturzflug Raketen ab, Bewohner nahmen panisch Reißaus. Aus einem Olivenhain stieg schwarzer Rauch auf, ein Lastwagen stand in Flammen. Eine weinende Frau und sechs Kinder flüchteten aus ihrem Häuschen, eine andere Frau hielt einen Koran über ihren Kopf und küsste ihn. Mehrere Männer reckten verzweifelt ihre Arme gen Himmel. Ein Kämpfer sagte, die Luftwaffe nehme Rebellenstützpunkte in der Region ins Visier. „Vier unserer Basen in und um Tel Rifaat wurden bislang getroffen“, sagte er. Drei Rebellen erwiderten vergebens das Feuer des Kampfjets.
Assad machte derweil Gesundheitsminister Wael al-Halki zum neuen Ministerpräsidenten. Sein bisheriger Regierungschef Rijad Hidschab hatte sich Anfang der Woche nach Jordanien abgesetzt. Es war ein weiterer Rückschlag für den Präsidenten, nachdem es den Rebellen im Juli gelungen war, selbst in der Hauptstadt Damaskus Boden gutzumachen und vier hochrangige Vertreter aus Assads Sicherheitsapparat zu töten.
Auch wenn Assad international weitgehend isoliert ist, genießt er nach wie vor die Rückendeckung Russlands und Chinas, die als UN-Vetomächte schärfere Schritte des UN-Sicherheitsrats verhindern. Gleichzeitig bringt sich der Iran zunehmend als Schutzmacht ins Spiel. So richtete er am Donnerstag in Teheran eine Syrien-Konferenz aus, auf der knapp 30 Nationen vertreten waren – allerdings keine, die einen Rücktritt Assads gefordert hat. Der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi forderte ernsthafte Gespräche zwischen der syrischen Regierung und Oppositionsgruppen.
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Die Bundesregierung setzt sich gegen schwere Vorwürfe eines Deutschen zur Wehr, der in der umkämpften Stadt Aleppo in einem syrischen Gefängnis sitzt. Das Auswärtige Amt wies am Donnerstag Kritik zurück, sich um den 51-Jährigen nicht ausreichend zu kümmern. Der Mann werde bereits seit seiner Inhaftierung 2006 betreut, sagte eine Ministeriumssprecherin. Nach der Schließung der deutschen Botschaft in Damaskus sei die Botschaft in Libanons Hauptstadt Beirut eingeschaltet worden.
Der Bundesbürger, der auch einen syrischen Pass besitzt, hatte sich in einer Mitteilung an die „Süddeutsche Zeitung“ (Donnerstag) über mangelhafte Unterstützung durch die Bundesregierung beschwert. Dem Auswärtigen Amt warf er sogar vor, „total versagt“ zu haben. Nach der Erschießung von anderen Häftlingen im Zentralgefängnis von Aleppo fürchte er um sein Leben. Angeblich sitzt er in einer Zelle mit mehreren Dutzend anderen Häftlingen.
Die Schilderung lässt sich nicht von unabhängiger Seite überprüfen. Nach Informationen der „Süddeutschen“ soll er wegen Kontakten zu der in Syrien verbotenen Muslimbruderschaft verurteilt worden sein. Der Mann sei eigentlich irakischer Kurde, aber mit einem gefälschten syrischen Pass bereits in den 1980er Jahren nach Deutschland gekommen. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen drei Kindern habe er dann fast 20 Jahre lang in Bayern gelebt.
Dem Auswärtigen Amt zufolge bemühte sich die Bundesregierung erst im Juni wieder um bessere Haftbedingungen. Die syrischen Behörden seien offiziell aufgefordert worden, den Zugang zu medizinischer Grundversorgung und Medikamenten sowie die Einhaltung von internationalen Mindeststandards im Strafvollzug zu garantieren. Auch zuvor schon habe die inzwischen aus Sicherheitsgründen geschlossene Botschaft den Fall „sehr eng begleitet“, sagte die Sprecherin. (Mit Material von Reuters/dpa)