Neue Schreckensmeldungen aus Aleppo: Das syrische Regime kennt keine Skrupel und lässt die Millionenstadt vor den Augen von UN-Beobachtern aus der Luft bombardieren. Rebellen richten offenbar Milizionäre hin.
Damaskus/Kairo. „Das Schicksal unseres Volkes und unserer Nation - in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - hängt von dieser Schlacht ab“, verkündete Syriens Präsident Baschar al-Assad am Mittwoch im Magazin der Armee. Prompt wurden die Angriffe auf Aleppo, Wirtschaftsmetropole und größte Stadt des Landes, intensiviert. Kampfjets bombardierten die Häuser - unter den Augen UN-Beobachter. Die Schlacht um die Millionenmetropole, dessen Altstadt vor einem Vierteljahrhundert zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurde, soll die Fronten endgültig klären und den Rebellen den Todesstoß versetzen. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sieht in der Offensive gegen Aleppo einen neuen Höhepunkt der Brutalität. Doch auch die Rebellen schrecken nicht vor Gewalttaten zurück.
+++Syrische Truppen schießen auch auf Demonstranten+++
+++Kämpfe in christlichem Viertel von Damaskus+++
Ein Video, das am Mittwoch auf der Internet-Plattform YouTube auftauchte, zeigt, wie drei oder vier Männer in Unterhosen in einen Schulhof geführt, an eine Mauer gesetzt und anschließend aus halbautomatischen Waffen erschossen werden. Die Echtheit des Videos und seiner Inhalte sind für Außenstehende nicht überprüfbar.
In der englischen Beschreibung wird einer der Hingerichteten als Ali Sain al-Abdin Barre („Zeno“) beschrieben. Als Chef des Barre-Clans und der von ihm gebildeten lokalen Schabiha-Miliz soll er für die Tötung von 15 Aufständischen verantwortlich gewesen sein. Die Schabiha-Milizen haben beim Kampf gegen Regimekritiker völlig freie Hand und stehen dabei praktisch außerhalb des Gesetzes.
+++Hunderttausende fliehen aus umkämpftem Aleppo+++
+++Militärkrankenhaus in Aleppo von Rebellen angegriffen+++
Die UN-Beobachter berichteten auch, dass die Aufständischen weiter aufrüsteten und inzwischen sogar Panzer hätten. Die Herkunft war zunächst unklar. Die Freie Syrische Armee (FSA) wird von den Golfstaaten Katar und Saudi-Arabien unterstützt. Es ist aber auch zu vermuten, dass die Aufständischen bei ihren jüngsten Eroberungen selbst Waffen erbeutet haben. Auch das Regime mache „intensiven Gebrauch“ von schweren Waffen, darunter Helikopter, Panzer, Artillerie und schwere Maschinengewehre.
Machthaber Baschar al-Assad schickte seine Truppen mit markigen Parolen in die „Entscheidungsschlacht“. In einer schriftlichen Botschaft zum Tag der Armee lobte er das Militär für seine Ausdauer in der Bekämpfung „krimineller terroristischer Banden“: „Das Schicksal unseres Volkes und unserer Nation, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hängen von dieser Schlacht ab.“
In einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht zeichnet Amnesty International ein schonungsloses Bild von Gewalt, Folter und Unterdrückung im Land. „Jede Demonstration, die ich in Aleppo beobachtet habe, endete damit, dass Sicherheitskräfte das Feuer auf die friedlichen Demonstranten eröffneten“, sagte Donatella Rovera, die sich Ende Mai selbst in Aleppo ein Bild von der Lage gemacht hat.
Der Report dokumentiert nach Darstellung von Amnesty, wie Regierungstruppen und die regimetreue Schabiha-Miliz Protestierende verletzen und töten. Auch vor Unbeteiligten und Kindern werde nicht haltgemacht. Ärzte und Krankenschwestern hätten sich selbst in Gefahr gebracht, wenn sie Verwundeten helfen wollten. Assad-Gegner seien routinemäßig gefoltert worden, bis zum Tod. Wie der Report schildert, mussten Angehörige von Todesopfern unter Zwang unterschreiben, dass diese von „terroristischen Banden“ getötet wurden.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich entsetzt über die Berichte aus Aleppo und nahm dabei ausdrücklich auch auf die Hinrichtung Bezug. Die Aufständischen trügen Verantwortung dafür, „dass Racheakte und Gewalt gegen Wehrlose unterbleiben“. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, erklärte auf einer Jordanien-Reise, dass Deutschland alles tun werde, damit der Konflikt nicht die Nachbarländer destabilisiere.
In Damaskus flammten am Mittwoch erstmals Kämpfe nahe der christlichen Altstadt auf. Die Schießereien ereigneten sich nach Angaben der Syrischen Menschenrechtsbeobachter an den Rändern der Stadtteile Bab Tuma und Bab Scharki. Die Christen machen in Syrien etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus. Den Aufständen stehen die meisten von ihnen reserviert gegenüber, weil sie befürchten, dass nach einem Sturz Assads Islamisten die Macht übernehmen könnten.
Die UN-Generalversammlung beriet am Dienstag (Ortszeit) über eine neue Syrien-Resolution. Der ursprünglich von Saudi-Arabien eingebrachte Entwurf wendet sich gegen den Gebrauch von chemischen und biologischen Waffen, verurteilt die anhaltende Gewalt und ruft zu einem demokratischen Wandel auf. Diplomaten erwarten eine große Zustimmung unter den 193 UN-Mitgliedsländern. Eine Resolution des Gremiums ist nicht bindend.
Deutsche Hilfsorganisationen verstärken derweil ihre Bemühungen, um die Not der syrischen Zivilbevölkerung zu lindern. Das Deutsche Rote Kreuz, Caritas International, das Technische Hilfswerk und die katholische Organisation Misereor bieten insgesamt 2,5 Millionen Euro auf, um Flüchtlingen in Syrien und den Nachbarländern zu helfen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab.
Mit Material von dpa/rtr