Auch Nairobi nimmt Kampf gegen radikalislamische Shabaab-Miliz auf. Extremisten hatten Europäerinnen im Nachbarland entführt.
Hamburg. Die seit Langem äußerst kritische Lage am Horn von Afrika hat sich noch einmal dramatisch verschärft. Die kenianische Armee ist mit starken Einheiten, Hunderten Soldaten, Panzern und Hubschraubern rund 100 Kilometer tief in den Nachbarstaat Somalia eingedrungen. Ihr Ziel: die kampfstarke radikalislamische Shabaab-Miliz zurückzuwerfen, die große Teile Südsomalias beherrscht.
Der Konflikt hat sich damit weiter internationalisiert. Rund 12 000 Soldaten der Afrikanischen Union mit Truppen aus Uganda und Burundi sind bereits mit einem Uno-Mandat in Somalia im Einsatz, finanziell unterstützt von der Europäischen Union. Malawi, Nigeria, Ruanda, Tansania und Ghana sind direkt oder indirekt ebenfalls involviert. Die US-Luftwaffe fliegt Angriffe auf Stellungen der Shabaab und trainiert die Regierungstruppen.
Auslöser der kenianischen Militäroffensive ist, dass Kämpfer der Shabaab-Miliz in jüngster Zeit mehrere Europäerinnen - zwei Spanierinnen, eine Britin und eine Französin - auf kenianischem Territorium entführt und nach Somalia gebracht haben. Die Spanierinnen waren Mitarbeiterinnen der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" und waren am Donnerstag verschleppt worden, die anderen beiden Frauen waren Touristinnen. Auch wurde ein weiterer Europäer in Kenia von Shabaab-Radikalen ermordet. Kenia fürchtet um seine Sicherheit und um seinen Ruf als Urlaubsland. Im vergangenen Jahr hatte die Shabaab-Miliz einen Anschlag in Uganda mit 76 Todesopfern verübt.
Kenia will mit seiner Offensive derartigen Attentaten auch auf seinem Territorium vorbeugen. "Wenn man von einem Feind angegriffen wird, darf man den Feind verfolgen, bis man ihn hat", erklärte der Minister für Innere Sicherheit, George Saitoti, in Nairobi. Verteidigungsminister Yusuf Haji sagte: "Wir werden den Feind, die al-Shabaab, verfolgen, wo er sich aufhält - sogar in seinem eigenen Land. Wir sind bereit, jede notwendige Maßnahme zu ergreifen, um unsere territoriale Integrität zu schützen." Anders als in vielen anderen afrikanischen Staaten hat das kenianische Militär nie eine beherrschende Rolle in der Innenpolitik gespielt, es ist allerdings mit rund 24 000 aktiven Soldaten auch nicht sehr stark. Die grenzüberschreitende Offensive gegen die Islamisten ist eine dramatische Kehrwende in Kenias Sicherheitspolitik. Shabaab-Sprecher Scheich Hassan Turki drohte, die kenianischen Soldaten würden es bereuen, auf somalisches Gebiet vorgedrungen zu sein: "Sie werden auf heilige Kämpfer treffen und am Ende nur Leichen und Verwundete zurückbringen."
Die Shabaab-Miliz ist eine islamistische militante Bewegung. Sie steht für eine besonders radikale und auch für Somalia untypische Auslegung des Islam, die sich an den strengen saudischen Wahabismus anlehnt. Ihre Führung will am Horn von Afrika einen islamischen Gottesstaat auf Grundlage der Scharia errichten und fordert zudem einen Dschihad aller Muslime zur Durchsetzung eines weltweiten Gottesstaates.
Die Shabaab unterhält enge Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida, das ebenfalls dem saudischen Wahabismus nahesteht. Bei der Durchsetzung ihrer Ziele wendet Shabaab brutale Gewalt an. Ihre Aktivisten haben zahlreiche Mordanschläge auf somalische Politiker verübt. Bei einem Selbstmordanschlag im Dezember 2009 waren an der medizinischen Hochschule in Mogadischu drei Minister und 19 Medizinstudenten getötet worden.
In den von ihr beherrschten Regionen Südsomalias legt Shabaab die Scharia, die islamische Rechtsprechung, in besonders inhumaner Weise aus. Auspeitschungen, Amputationen und Hinrichtungen sind an der Tagesordnung. Im Oktober 2008 zeigte ein 13-jähriges Mädchen seine Vergewaltigung bei den Sicherheitskräften der Shabaab an, Verwandte bestätigten den Fall. Das Mädchen wurde jedoch wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs inhaftiert und öffentlich zu Tode gesteinigt. Im Januar 2009 wurde ein Politiker in Kismaayo öffentlich wegen "Abfalls vom Islam" hingerichtet, weil er Kontakte zu einem anderen Kriegsherrn hatte. Die Shabaab zwingt die Menschen, solchen Exekutionen beizuwohnen.
Die Miliz ist aber auch in Europa aktiv: Im Januar 2010 war ein somalischer Shabaab-Sympathisant in das Haus des dänischen Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergard eingedrungen und hatte versucht, ihn zu ermorden. Der Mann wurde jedoch gefasst. Der Schauplatz der Eskalation, Somalia, ist ein zerfallener und gescheiterter Staat, der an Kenia, Dschibuti und Äthiopien grenzt. Es herrscht eine akute Hungersnot. Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 befindet sich das Land im Bürgerkrieg. Die Übergangsregierung unter Präsident Scharif Scheich Ahmed und Premierminister Abdiweli Mohammed Ali kontrolliert nur einen kleinen Teil Somalias. Der Nordteil will als Somaliland ein unabhängiger Staat werden; die Regionen Puntland, Galmudug und Jubaland beanspruchen zumindest Autonomie als Teilstaaten.
Somalia mit seinen vermutlich bis zu 13 Millionen Einwohnern wird weitgehend von örtlichen Kriegsherren, islamistischen Milizen, kriminellen Clans und Piraten beherrscht. Es gibt 70 000 Kindersoldaten, Tendenz stark steigend. Auf dem Korruptionsindex 2010 von Transparency International belegte Somalia den letzten Platz aller Staaten der Welt.