Rüdiger Ehrler hilft in Kenia. Um in einem Land voller Not und Korruption ein System aufzubauen, das die Bevölkerung mit Wasser versorgt.
Tatsächlich, es regnet. Suleyman Mohamed Hiyesa schaut hoch in den Himmel. Nieselregen fällt auf sein Gesicht, ganz kurz nur, dann ziehen die Wolken über das Dürregebiet hinweg, ohne ihren Segen im Dorf Chifiri abzuladen.
"Nichts als ein paar Tropfen im heißen Sand", sagt der 30-Jährige, wirft die Schaufel beiseite und klettert hinab in seine Grube, an der er seit nun zwei Wochen gräbt. Tag für Tag tiefer, dem Grundwasser entgegen. Mühsam immer wieder etwas Wasser gewinnend. Er schöpft es ab, mühsam, das bisschen Wasser hier entscheidet über das Leben seiner Familie. Fast zehn Meter tief ist das Loch seit dem Vortag.
Nachts wacht er neben der Grube, damit niemand anderes den Lohn seiner Arbeit abschöpft. Jetzt warten oben am Rand des Wasserlochs seine 18 Ziegen; sechs seiner Kühe hat Suleyman bereits im April verloren, den Rest hat sein Bruder von Chirifi zum Delta vom Fluss Tana getrieben, zu Fuß, rund 100 Kilometer Richtung Küste. Aus purer Verzweiflung.
+++So können Sie helfen+++
Am selben Tag, es ist der Dienstag der vergangenen Woche, sitzt Rüdiger Ehrler auf der Terrasse des Hotels Nomad Palace in Garissa, der letzten kenianischen Stadt vor der somalischen Grenze. Der 59-jährige Freiburger ist für die Welthungerhilfe in Kenia. Bis Dadaab sind es rund 100 Kilometer. Dadaab - jenes Flüchtlingslager, das für 90.000 Menschen gebaut wurde und in dem bald eine halbe Million leben werden. Geflohen vor dem Bürgerkrieg in Somalia. Und in der Hoffnung, etwas zu essen zu bekommen. Nach Uno-Angaben sind im Osten Afrikas zwölf Millionen Menschen von der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren betroffen.
Ehrler sucht in Garissa Unternehmer mit Wassertanklastern für Tana River - eine Region südwestlich, zu der auch Chifiri gehört. Vor zehn Tagen kam er hier an, sondierte zunächst die Lage, identifizierte Dörfer für seine Nothilfemaßnahme. Wo ist die Not am größten? Und wie kann man am besten helfen? Mit Wasser. Das brauchen Menschen und Vieh am dringendsten.
Einfach wäre es gewesen, private Tankwagen anzuheuern, die ohnehin ständig am Ufer des Tana River Flusswasser aufnehmen, um jedenfalls die zahlungsfähige Landbevölkerung zu beliefern. Denn Wasser gibt es grundsätzlich - nur nicht da, wo man es jetzt am meisten braucht. Während entlang des Ufers volle Kanäle Felder mit Mais-Saatgut bewässern, darben nur ein paar Kilometer abseits Viehhirten wie Suleyman Mohamed Hiyesa.
Als Hilfsorganisation kann die Welthungerhilfe kein ungefiltertes Flusswasser ausgeben. "Was, wenn jemand krank wird und uns dafür verantwortlich macht?", sagt Ehrler.
Also verhandelt er nicht nur mit Truckbesitzern, sondern auch dem Wasserwerk von Garissa. "Wir können täglich 25 000 Kubikmeter Wasser aufbereiten", verspricht Ali Tube, Manager des Wasserwerks.
Das klingt gut. Aber wird das städtische Unternehmen am Ende auch wirklich liefern? Erler glaubt gar nichts, bevor das Wasser fließt.
Spätestens am Wochenende will er etwas Konkretes aufweisen. Zu Hause überschlagen sich die Medien mit Katastrophenmeldungen, konkurrieren Hilfsorganisationen um die Hilfs-Budgets von Bund und EU. Ehrler spürt den Druck. Es gilt, somalischen Verhältnissen vorzubeugen.
Dafür plant der Mann der Welthungerhilfe ein Verteilungsnetz, das Dörfer in einem Umkreis von 125 Kilometern versorgt. Von Transporteuren aus der Region. Aber auch in Garissa musste er seinen Bedarf öffentlich ausschreiben - er muss erst mal Zettel an Tankstellen und Treffpunkten der Truckfahrer anbringen: Angebote zur Wasserverteilung in Tana River gesucht. Bewerber müssen über fahrbereite und angemeldete 10 000- bis 20 000-Liter-Tankfahrzeuge mit Pumpe verfügen.
Suleyman Mohamed Hiyesa und seine Frau Halima sind zwei Kilometer vom Wasserloch zurück zu ihrer Hütte gelaufen. Die Ziegen sind für heute versorgt. Halima, 26, kocht auf dem afrikanischen Drei-Stein-Herd Tee mit Ingwer und Ziegenmilch. Ihre fünf Kinder spielen im Staub. Erst vor wenigen Jahren wurden Suleyman und Halima hier sesshaft, weil es in Chifiri eine Schule gibt. Vorher lebten sie als Nomaden. Eine gute Zukunft hat Suleyman sich hier erhofft. Dann blieb der Regen aus.
Immerhin, die Welthungerhilfe unterstützt die Dorfbevölkerung auch bei der Instandsetzung eines alten Wasserspeichers. Pro Tag erhält sie jeweils etwas mehr als einen Euro pro Kopf. Genug für dreimal Tee am Tag, zu wenig für Gemüse.
"Von der Uno bekamen wir etwas Maismehl und Öl", erzählt Suleyman auf dem Weg zum leeren Wasserspeicher - einer mehr als Fußballfeld großen Senke aus Stein und Sand, in der sich während der Regenzeit das Wasser sammeln soll. Jetzt sammeln hier Frauen und Männer per Hand Geröll auf, tragen Sand und Gestein in ausgedienten Uno-Säcken über den Rand der Grube.
Bereits seit Jahren hilft die Welthungerhilfe Dorfgemeinschaften der Region Tana River beim Bau etwa von Regenwasser-Auffanganlagen - doch wenn ganze Regenzeiten ausbleiben, nutzen auch die nichts. Dann muss man Wasser verteilen.
Am Mittwoch der vergangenen Woche gehen bei Rüdiger Ehrler neun schriftliche Bewerbungen ein. Die verschlossenen Umschläge werden von einem eigens gegründeten Komitee inklusive Protokollanten im Projektbüro der Welthungerhilfe geöffnet und geprüft. Transparenz als oberstes Prinzip.
Der älteste Truck stammt aus den 60er-Jahren. "Na ja, wenn er fährt", meint Ehrler. Gut, dass der 59-Jährige früher mal Kfz-Mechaniker war. Schlecht, dass sich das Wasserwerk nicht meldet.
Am Donnerstag der vergangenen Woche unterzeichnet Ehrler den ersten Vertrag. Nicht mit dem billigsten Anbieter, aber einem, der über einen real einsatzbereiten Tanklaster verfügt. Denn, für Ehrler wenig überraschend: Beworben haben sich auch Besitzer, deren Fahrzeuge am Ende gar nicht angemeldet waren. Andere verfügten über keine Pumpe. Ein jeder hier will Geld machen und verspricht leicht etwas, was er dann doch nicht halten kann.
Am nächsten Tag liefert ein Welthungerhilfe-Laster Tanks aus Nairobi an - Kunststoffbehälter, die ein paar Tausend Liter Wasser fassen. Projektmitarbeiter besorgen Zement, Schubkarren und Schaufeln, um Fundamente für die Tanks zu bauen.
Ehrler leistet währenddessen in Bar die Vorauszahlung beim Wasserwerk: ein Kubikmeter Wasser zu etwa 2,50 Euro, Lieferung rund um die Uhr. Die Truckbesitzer erhalten pro gefahrenem Kilometer und Tonne Wasser zwischen 16 und 18 Euro-Cent.
Jetzt brauchen die Lkw-Fahrer nur noch Kopien des Vertrags mit dem Wasserwerk, auf dem das Kennzeichen vermerkt ist, damit ihre Fahrzeuge auch betankt werden. Bei der Auslieferung im Dorf soll dann jemand vom lokalen "Wasserkomitee" die Lieferung bestätigen, um sicherzustellen, dass der Truck sein Wasser nicht anderweitig verkauft. Außerdem hat Ehrler bereits einen Projektmitarbeiter bestellt, der mit einem Moped die Lieferungen prüfen wird. Kontrolle als zweites Gebot.
Endlich scheint alles zu laufen, als der Fahrer des Welthungerhilfe-Lasters Ehrler am Handy erklärt, die Polizei habe den Lkw beschlagnahmt - wegen Falschparkens. "Da geht's nur ums Geld", sagt Ehrler. Er muss sich mit dem korrupten System abfinden - und zur Polizeistation, den Wagen auslösen.
Am vergangenen Sonnabend gegen acht Uhr laufen tatsächlich 10 000 Liter Trinkwasser in den ersten Truck - Zielort: Bultubanta, ein kleines Dorf 30 Kilometer westlich von Garissa.
Noch während der Lkw dort das Wasser in den Tank hochpumpt, bildet sich eine Schlange von Frauen mit Kanistern. Der Tank, den eine andere Organisation dort einst aufstellte, war seit Wochen leer und vergessen. Entsprechend vorsichtig freut sich Mohamed Ahmed Osman, der Chef des Wasserkomitees, über die Ankunft des Tankwagens der Welthungerhilfe. "Wir hoffen, dass ihr uns nun regelmäßig beliefert", sagt der 49-Jährige.
Rüdiger Ehrler merkt man seine Erleichterung an. Seit fast zwei Wochen ist er im Land, legte im Landcruiser über 1000 Kilometer auf maroden Straßen zurück, stets selbst am Steuer, weil es keinen Fahrer gab. Nun endlich fließt Wasser, kommt konkrete Hilfe an. Ehrler will sicherstellen, dass das bis zur nächsten Regenzeit in drei Monaten auch so bleibt und, falls diese ausfällt, auch länger.
"In der ersten Phase sollen 2000 Haushalte mit Wasser beliefert werden, später dann 5000", erklärt er, während der Truck bereits zurück nach Garissa fährt, um erneut aufzutanken, um dann das nächste Dorf zu beliefern. Pro Person plant die Welthungerhilfe in Tana River nun täglich zehn Liter Wasser auszuteilen - wesentlich mehr als Hilfsorganisationen bei Nothilfemaßnahmen normalerweise kalkulieren, etwa zwei Liter. Zum Vergleich: Ein Deutscher verbraucht durchschnittlich 122 Liter am Tag.