In Libyen gewinnen mit dem neuen Militärkommandanten Abd al-Hakim Belhadsch möglicherweise auch Islamisten an Einfluss.
Tripolis. Jetzt wird er endlich gehört. Al-Dschasira lädt zum Interview, die "New York Times" berichtet und Abd al-Hakim Belhadsch darf sprechen. Der neue Militärkommandant von Tripolis hat als einer der maßgeblichen Ansprechpartner der Nato viel zu sagen. Umringt von Kameras räsoniert er über seine Visionen vom neuen Libyen, von einem islamischen Staat. Sein Kampf gegen Muammar al-Gaddafi währte 20 Jahre, nun scheint er am Ziel. Die Frage ist nur: An welchem?
Belhadsch ist eine äußerst ambivalente Figur. Im postrevolutionären Libyen gehört er nun zur neuen Führungsriege. Er kam wie aus dem Nichts. Ein Blick in die Akten des amerikanischen Geheimdienstes CIA bringt Licht ins Dunkel. Belhadschs Vergangenheit als Islamist und Militärstratege hat ihn auf den Radar der Geheimdienste gerückt. Bis 2010 saß er in einem libyschen Foltergefängnis. Eine Amnestie für Fundamentalisten brachte ihm schließlich die Freiheit.
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In seiner neuen Rolle als Militärkommandant gibt Belhadsch sich geläutert, islamistische Ideologien weist er weit von sich. Ob auch die Nato an seine Wandlung glaubt, steht auf einem anderen Blatt. Für den Übergangsrat der Rebellen hingegen scheint Belhadsch ein unverhoffter Glücksfall zu sein. Zwar ist Tripolis gefallen, aber der Kampf gegen das Gaddafi-Regime ist noch nicht vorbei. Und Belhadsch erweist sich als erfahrener Militärstratege, dessen Erfahrung die Rebellen gut gebrauchen können. Der Großteil der Aufständischen ist neu im Revolutionsgeschäft, die wenigsten hatten zuvor eine Waffe in der Hand gehalten. Auch wenn sie jetzt gemeinsam an einer Front kämpfen, haben die meisten von ihnen nicht mehr gemeinsam als den Feind.
Der kampferprobte Belhadsch zum Beispiel führte die Brigade Bab al-Aziziya an, die schließlich die Kommandozentrale Gaddafis stürmte. Auf diese Weise verdiente er sich den Respekt der Libyer - und jetzt auch das Oberkommando über das Militär. Nicht allen Aufständischen dürfte dieser Lohn für seine Kampfleistung gefallen. Auch in den Reihen des Widerstands bilden sich die Koalitionen täglich neu. Unterstützung erhielt Belhadsch bei seiner Wahl zum Kommandanten vor allem von Abd al-Dschalil, der noch als Justizminister Gaddafis mit Belhadsch um dessen Freilassung aus dem Gefängnis verhandelte.
Welche Rolle Belhadsch in der Vergangenheit gespielt hat und wie eng seine Verbindung zu al-Qaida tatsächlich ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Sicher ist nur: Belhadsch gerät schon früh mit dem System Gaddafi in Konflikt. Während seines Architekturstudiums in Libyen kommt er in Kontakt mit islamischen Ideologien, die sich stark von der Staatsdoktrin unterscheiden. Mitte der 80er-Jahre verlässt Belhadsch sein Heimatland und schließt sich dem afghanischen Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer an.
Militärisch bestens geschult, kehrt Belhadsch 1993 nach Libyen zurück. In Bengasi gründet er eine libysch-islamische Kampftruppe, an deren Spitze er sich selbst setzt. Nach dem 11. September wird die Gruppe von den westlichen Geheimdiensten als terroristische Vereinigung eingestuft. Gaddafi setzt seine Schergen auf die Truppe an und lässt einen Großteil der Führungsriege ermorden. Belhadsch selbst kann jedoch fliehen. Die folgenden Jahre pendelt er zwischen Afghanistan und Somalia. In dieser Zeit soll er gute Verbindungen zum maghrebinischen Ableger von al-Qaida geknüpft haben. 2004 wird Belhadsch am Flughafen Kuala Lumpur von malaiischen Sicherheitskräften festgenommen. Man überstellt Belhadsch nach Thailand - in Bangkok warten schon CIA-Agenten auf ihn. Seine schwangere Frau wird er lange nicht wieder sehen. Sein Kind trifft er erst, als es schon sprechen kann. Die Amerikaner haben viele Fragen an den Libyer. Mit wem kämpfte Belhadsch in Kabul und Khartum? Unterhält er Kontakte zu al-Qaida? Belhadsch will sich außerdem an Injektionen erinnern, die ihm die Agenten während der Verhöre verabreicht haben sollen. "Als ich nicht antwortete", gibt Belhadsch zu Protokoll, "wurde ich, an Füßen und Händen gefesselt, in einen Container voller Eis gehängt." Im Anschluss an die Verhöre liefern die Agenten Belhadsch nach Libyen aus. Die folgenden sechs Jahre verbringt er in Isolationshaft im Abu-Salim-Gefängnis von Tripolis. Dort warten Agenten des britischen Geheimdienstes MI6 und stellen weitere Fragen. Einmal in der Woche wird er an eine Wand gehängt. Erstmals duschen habe er nach drei Jahren gedurft.
2008 kommt dann die Wende: Gaddafi beginnt mit den Islamisten zu reden. Unter dem Kommando von Saif al-Islam al-Gaddafi durchläuft Belhadsch ein Resozialisierungsprogramm für ausstiegswillige Fanatiker.
Vermutlich ist Belhadsch nun aus zwei Gründen zum Kommandanten der Aufständischen befördert worden: Die Rebellen sind dringend auf seine militärischen Erfahrungen angewiesen. Darüber hinaus weiß man ihn in einer solch exponierten Position unter Beobachtung. Ob die Beförderung allerdings genügt, um ihn zu kontrollieren, wird sich zeigen müssen.