Essen. Die Rechtspopulisten treten bei ihrem Parteitag in Essen plötzlich geeint auf. Was Tino Chrupalla und Alice Weidel jetzt wollen.
Eigentlich ist alles jetzt vorbei. Es ist Sonntagmittag beim AfD-Parteitag, die großen Reden sind gehalten, der Vorstand gewählt, bei den Ersten fließt schon das Bier. Doch dann tritt Pascal Pfannes ans Mikrofon. Er beugt sich vor, spricht deutlich, und was jetzt folgt, ist der spannendste Auftritt des Wochenendes. Pfannes sagt zum aktuellen Redner, der fürs Schiedsgericht der Partei kandidiert, aber die Parteispitze kritisierte: „Andere Parteiorgane sollen Ihnen Respekt entgegenbringen. Aber wann bringen Sie dem Bundesvorstand, den wir gestern gewählt haben, auch mal Respekt entgegen?“ Großer Applaus, es ist das, was die Delegierten hören wollen. Vorher war eine kleinteilige Diskussion um das Schiedsgericht losgebrochen – doch ein paar Worte reichen und es ist Ruhe im Saal. Es ist eine neue AfD, die hier auftritt.
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Fast auf den Tag vor neun Jahren traf sich die AfD hier schon einmal, in der Grugahalle in Essen. Damals wandte sich die Partei von ihrem Gründer Bernd Lucke ab und stellte die Weichen, sich langfristig dem Rechtspopulismus zuzuwenden. Damals schrieb die „Zeit“ noch: „Höcke ist kein Nazi“. Heute steht Björn Höcke, der Thüringer AfD-Chef, der im schwarzen Audi vorfährt, wegen der Verwendung von SA-Parolen vor Gericht. Es ist einiges passiert seit 2015.
Eine Richtungsentscheidung – nach knapp zehn Jahren
Der Parteitag war eine Reise ins Ungewisse. Manche glaubten, es würde knallen. Doch es kam anders. Die AfD rückt plötzlich zusammen, es ist eine seltsame Einigkeit, die da demonstriert wird. Es ist der Versuch einer Professionalisierung. Endlich bald mitregieren, das ist das Ziel. Viele in der Partei wollen sich nicht mehr damit begnügen, irgendwo einen Landrat zu stellen. Sie wollen nicht mehr nur in die Nähe der Macht kommen, sondern langfristig in die Landesregierungen. Und hier, beim Parteitag in Essen, soll die Grundlage dafür gelegt werden. Es ist nach neun Jahren wieder eine Richtungsentscheidung.
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Jeder Stuhl bei der AfD steht auf einer Falltür und die Stühle der Vorsitzenden sollen besonders unsicher sein. Im Vorfeld galt der Vorsitzende Tino Chrupalla als angezählt. Am Samstagmorgen sitzt er plötzlich an seinem Platz, leise ist er in die Halle gekommen. Alice Weidel hält dagegen Hof: Sie kommt herein, Kameraleute rennen auf sie zu, sie beantwortet ein paar Fragen. Zehn Deutschland-Fahnen stehen hinter Weidel, sodass keine Fernsehkamera sie filmen kann, ohne dass man die Flaggen sieht.
Manche nennen es „Das Wunder von Essen“
Und dann, um kurz nach 13 Uhr, wird über die Vorsitzenden abgestimmt. Der Balken für Chrupalla knallt nach rechts. Ganz weit nach rechts. 82,7 Prozent. Nein, kein technischer Fehler. Weidel bekommt 79 Prozent, nur fünf Stimmen weniger, wie sie später vor der Presse betont. Trotzdem wirkt es für manche wie das Wunder von Essen. 82,7 Prozent. Was ist da passiert?
Wenn man regieren will, im Zweifel sogar mit einer absoluten Mehrheit, weil etliche Parteien ein Bündnis ausgeschlossen haben, braucht man Ruhe in der Partei. Und das gilt besonders für Thüringen, Brandenburg und Sachsen, wo im Herbst die Landtagswahlen anstehen. Niemand will da ausgerechnet den Chef aus Ostdeutschland beschädigen. Vor allem Alice Weidel stärkte ihn. Das Kalkül erklärt ein Insider dabei so: Weidel hat nun einen, der durch ihre Gunst ins Amt kam – und wenn künftig etwas schiefläuft, ist klar, wer dafür verantwortlich gemacht wird. Es ist ein Teil des Machtplans, der eine klare Gewinnerin kennt: Alice Weidel.
Ein Taktiker macht sich für den Karrieresprung warm
Das Ergebnis ist auch der Erfolg vom Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier. Er könnte im nächsten Jahr möglicherweise als Generalsekretär antreten und hat mit den Karrieristen der Partei ein Netzwerk gesponnen: Er stützt Chrupalla, weil er für Stabilität steht. Zumindest noch. Und Münzenmaier selbst macht sich für den nächsten Karrieresprung warm.
Wie die Grenzen der AfD auf ihrem Weg zur Macht liegen, zeigt sich beim Europa-Spitzenkandidaten. Oft wurde vorher bemängelt, das Spitzenpersonal sei nicht professionell genug, um zu regieren. Doch da zeigt sich: Das Spitzenpersonal kann sogar sicher geglaubte Wahlen noch beschädigen. Von 20 Prozent in den Umfragen vorher erhielt die AfD 16 Prozent. Das wird auch Maximilian Krahs Fehltritten zugeschrieben.
Irgendwann verharmloste Krah die Waffen-SS, das war den Partnern zu viel
Denn Krah liebt den großen Auftritt. Er fährt gern mit teuren Autos und Models vor, intern wird er „Schampus-Max“ genannt. Doch irgendwann zwischen der Europawahl und den Ermittlungen gegen seinen Mitarbeiter wegen Spionage-Verdachts verharmloste Krah in einem Interview die Waffen-SS. Das wurde sogar den anderen rechten Parteien im Europaparlament zu viel. So könne man nicht zusammenarbeiten, hieß es, seitdem ist Krah auf der Treppe zum Untergang.
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Wie radikal will die AfD sein? Nicht so wie Krah jedenfalls. Und damit das jeder versteht, spricht das Führungsduo das deutlich an. Weidel sagt über den Egozentriker Krah: „Man muss Rücksicht nehmen, und man muss sich einordnen.“ Und Chrupalla sagt: „Wir müssen unsere Kandidaten künftig genauer ansehen.“
Grün ist der Hass, so geht die krude Logik
Währenddessen unterhält sich mancher über die politische Lage auf dem Flur. Besonders oft geht es gegen die Ampel und gegen die Grünen. Gegen die Ökopartei wollen sie sich abgrenzen. Das nimmt teilweise karikierende Züge an, wenn Alice Weidel betont, sie habe ja einen Studienabschluss im Gegensatz zu anderen. Grün ist der Hass, Blau ist die Hoffnung, so lautet die Logik.
Direkt unter der Halle, in den Katakomben, stehen einige von der Nachwuchsorganisation „Jungen Alternative“. Die Herren mit viel Gel im Haar, die Damen auf sehr hohen Schuhen, sie alle warten auf ihre Chance. Darauf, nach oben zu kommen oder wenigstens noch ein Gespräch mit Weidel oder Chrupalla zu führen. Wenn einer an die beiden rankommt, gilt er als geadelt. Wird er ignoriert, ist er unbedeutend in der Partei. Manchmal kann alles sehr schnell gehen.
Doch Weidel und Chrupalla bleiben oben. Stattdessen rauscht Björn Höcke heran. Schnell bildet sich eine Schlange vor dem Mann, viele wollen ein Selfie. Höckes Grinsen ist ihm ins Gesicht gemeißelt, sein Mund bewegt sich nicht. Dann geht er mit schleichenden Schritten zum Raucherbereich. Der stille Strippenzieher der AfD, der nie selbst für den Bundesvorstand kandidierte, aber immer seine Vertrauten in wichtige Positionen hievte, gilt als geschwächt.
Keine wirren Anträge, keine überdrehten Wortmeldungen
Höckes Vorstöße kamen oft plötzlich, jetzt prägt eher das Münzenmaier-Netzwerk die Partei. Wo schon Tage im Voraus die Abstimmungen abgesprochen wurden. Deshalb gibt es auch, anders als bei früheren AfD-Parteitagen, kein Chaos. Keine endlos langen Schlangen an den Mikrofonen, keine wirren Anträge, keine überdrehten Wortmeldungen.
Am Samstagabend geht es dann um Fußball, manche Delegierte wollen das Spiel Deutschland gegen Dänemark schauen. Ein Essay von Björn Höcke wird herumgeschickt, wo er „Vielfalt statt Vaterland“ in der Nationalmannschaft kritisiert. Einige wettern gegen die „Regenbogenmannschaft“. All das solle anders werden, wenn die AfD regiert. Vor der Halle ruft ein Mann bei einer Gegendemonstration in sein Mikrofon: „Wovon leben wir? Wir leben doch von unserer Vielfalt!“ Drinnen hört das keiner, die Sätze verhallen auf dem grauen Betonboden, draußen vor der Tür.