Essen. Vieles in der AfD soll anders werden: Inhalte, Spitzenpersonal, Strukturen – alles steht auf dem Prüfstand. In der Partei droht Chaos.

Häufig wirken die sozialen Medien wie ein Brennglas für Parteien. Was hier diskutiert wird, findet den Weg in die Konferenzen von Funktionären. Und manchmal wird es sogar offizielle Parteiposition. Es lässt sich also früh ablesen, was die Mitglieder umtreibt. Doch ausgerechnet bei der AfD, der Partei, die ihre Energie sonst aus den sozialen Medien speist, ist das Prinzip in diesen Tagen außer Kraft gesetzt. Es gärt bei den Rechtspopulisten. Doch es gärt unter der Oberfläche.

Egal ob Facebook, Tiktok, Instagram oder X, das früher Twitter hieß – fast überall ist es ruhig. Hier ein kleiner Seitenhieb, dort eine Andeutung, doch scharfe Töne werden vermieden. Manche glauben: Es ist die Ruhe vor dem Sturm, der am Wochenende ansteht. Und für den sich viele bei der Vorbereitung nicht beobachten lassen wollen. Am Samstag beginnt der AfD-Parteitag in Essen, es steht eine Richtungsentscheidung bevor.

Die eiserne Alice: So baut Weidel ihre Macht in der AfD aus

600 Delegierte treffen sich dort in der Grugahalle, ein Drittel des Bundesvorstands wird neu besetzt – mindestens. Über den politischen Kurs wird in der AfD schon lange nicht mehr gestritten: Es geht nach rechts außen. Doch offen ist, wer den Kurs künftig umsetzen soll. Die Gemengelage ist unübersichtlich. Mancher hofft auf eine neue Struktur, gar auf eine neue Führungsspitze, über die der Parteitag abstimmen soll. Doch da gibt es noch die zweite Möglichkeit, die viele Delegierte umtreibt: den Sturz ins Chaos.

AfD-Chef Chrupalla: „Wir wollen wieder zusammen antreten“

Es wird ein Wochenende, auf das viele in der AfD seit Wochen hinarbeiten. Letzte Absprachen wurden jetzt getroffen, Anträge nochmal verändert, Seilschaften geknüpft. Und viele geben sich verschwiegen. Der größte Diskussionspunkt ist die Parteispitze. Seit zwei Jahren führen Alice Weidel und Tino Chrupalla die AfD gemeinsam. Anfang der Woche gab es das Gerücht, dass Chrupalla abgewählt werden könnte.

AfD-Bundesparteitag
Maximilian Krah (l.) soll der Grund sein, warum der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla bei Teilen seiner Partei in Ungnade gefallen ist. © picture alliance/dpa | Carsten Koall

Der Grund: Zum einen hat er verschiedene Gruppen in der AfD gegen sich aufgebracht. Manchen gilt er als zu putinnah, anderen als generell zu extrem in seinen politischen Ansichten. Zum anderen wird ihm der Umgang mit dem Skandal um den EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah angelastet. Gegen Krah laufen wegen möglicher Geldzahlungen aus dem Ausland Vorermittlungen, zudem verharmloste er die Waffen-SS.

Chrupalla setzte sich erst für Krah ein. Dann sorgte er mit dafür, dass Krah nicht in die offizielle Gruppe der AfD-Abgeordneten im EU-Parlament kam. Manche in der AfD halten das für ein Schlingern und für Führungsschwäche. In dieser Woche ließ sich beobachten, wie stark die Gerüchte die Spitze unter Druck setzen. Chrupalla musste sich dazu äußern am Rande einer Fraktionssitzung. „Wir beide haben entschieden, dass wir zusammen wieder antreten wollen und auch gemeinsam weitermachen“, sagte er. Alice Weidel lässt sich dazu in diesen Tagen gar nicht eindeutig zitieren.

AfD: Neues Netzwerk will mehr Macht – und einen Generalsekretär

Dann folgte ein Auftritt von Chrupalla am Freitag im „Morgenmagazin“ des ZDF. Da sagte er auf die Frage, ob er etwas gegen eine Umstellung auf eine Einzelspitze der AfD habe: „Nein, da bin ich nicht dagegen.“ Mancher sieht sich bestätigt: Chrupalla schlingere, schon wieder, heißt es nun. Möglich sei, so wird es intern kolportiert, dass künftig ein Generalsekretär gewählt werden könnte, dieses Amt gibt es bislang bei der AfD nicht.

NameTino Chrupalla
Geburtsdatum14. April 1975
AmtAfD-Bundesvorsitzender
ParteiAlternative für Deutschland (AfD)
Parteimitglied seit2015
Familienstandverheiratet, drei Kinder
WohnortGablenz (Sachsen)

Und es gibt einen, der mit Hochdruck daran arbeitet, dass zumindest diese Neuerung durchgesetzt wird. Es ist Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz, Vizechef der Bundestagsfraktion. Im Laufe der letzten Monate hat er ein sorgfältiges Netzwerk innerhalb der Partei geknüpft, die meisten seiner Mitstreiter sind zwischen 30 und 40 Jahre alt. Sie eint der Ehrgeiz – und der Glaube, dass die Partei künftig anders geführt werden muss. 

Doch wenn sich Münzenmaier mit seinen Mitstreitern durchsetzen sollte, würde das gemäß der aktuellen AfD-Satzung das Ende der Doppelspitze bedeuten. Und damit wäre der Abgang von Chrupalla klar. Zunächst schien es, dass etliche Landesvorsitzende genau das wollen und den Münzenmaier-Antrag durchwinken. Nun, in den letzten Tagen vor dem Parteitag, scheint sich die Stimmung wieder gedreht zu haben. Zu groß ist die Sorge, dass ein großer Umbau an der Spitze die gesamte Partei erschüttern würde.

Möglich ist auch, dass am Ende keines der Chaos-Szenarien eintritt

Schon jetzt heißt es intern: Dass man 15,9 Prozent bei der Europawahl bekommen habe und nicht etwa 20 Prozent, das läge eben auch an der Unruhe ganz oben. Chrupalla gibt sich im „Morgenmagazin“ beschwichtigend: Auf dem Parteitag würde sicherlich diskutiert, ob dem Generalsekretär nicht auch zwei Vorsitzende zur Seite gestellt werden könnten. Es wäre dann ein wenig Veränderung, aber auch ein wenig Festhalten am Altbewährten. Es ist Chrupallas Kompromissangebot. 

Egal wie es ausgeht: Auch sonst steht der Bundesvorstand vor Veränderungen. Kay Gottschalk, AfD-Bundestagsabgeordneter, der nicht zu den Hardlinern der Partei zählt, will wohl antreten. Einer der Radikalen, Matthias Helferich, kann dagegen nicht kandidieren – weil sein eigener Landesverband in NRW ihm die Mitgliedsrechte entzogen hat. Gleichzeitig drängt der Parteinachwuchs nach vorn: Der Chef der Jungen Alternative, Hannes Gnauck, könnte zwar überschaubare Chancen haben. Dagegen könnten andere aus der Jugendorganisation mächtiger werden.  

Das Besondere an der Lage der AfD ist: Es ist denkbar, dass all die Chaos-Szenarien gar nicht eintreten. Dass Chrupalla und Weidel als Spitze wiedergewählt werden und vorerst alles bleibt, wie es ist. Weil die Kräfte, die eine völlig andere Struktur wollen, sich doch nicht durchsetzen können. Intern gilt: Wahrscheinlich ist das nicht – aber alles ist möglich.