Berlin.. Das Parlament entzieht Scholz das Vertrauen, der Wahlkampf ist eröffnet. Was sich aus dem heftigen Schlagabtausch in Berlin lernen lässt.
Am Ende ist das Ergebnis eindeutig. 207 Bundestagsabgeordnete sprechen Olaf Scholz am Montagnachmittag im Bundestag das Vertrauen aus. 394 Parlamentarier tun das nicht, 116 enthalten sich.
Der Bundeskanzler hat damit die Vertrauensfrage im Bundestag wie geplant verloren. Im nächsten Schritt soll Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nun das Parlament auflösen, am 23. Februar sind Neuwahlen geplant. Was man aus der Debatte vor der Abstimmung lernen kann – für den kommenden Wahlkampf und darüber hinaus.
Scholz hält sich nicht mit historischer Bedeutung auf
Es ist ein besonderer Tag im Leben von Olaf Scholz und ein historischer Tag in der Geschichte des Landes. Erst fünfmal haben vor ihm Bundeskanzler im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt. Scholz ist der sechste, er wird an diesem Tag von seiner Ehefrau Britta Ernst begleitet. Scholz denkt aber nicht an die Geschichtsbücher, sondern an seine Wiederwahl. Der Kanzler erinnert zu Beginn seiner Rede kurz an die historische Dimension, schaltet dann aber schnell auf Wahlkampf.
Der Sozialdemokrat fordert staatliche Investitionen als Ausweg aus der wirtschaftlichen Krise – ermöglicht auch durch eine Reform der Schuldenbremse. Scholz verspricht: Mit ihm werde es keine Sozialkürzungen etwa bei der Rente geben – und lässt durchblicken, dass all dies mit seinem Herausforderer Friedrich Merz zu befürchten sei. Die Migrationskrise erklärt Scholz unter Verweis auf die gesunkenen Asylbewerberzahlen zwar nicht als erledigt, aber zumindest als erfolgreich angegangen.
Das vierte Thema im SPD-Wahlkampfsound ist die Ukraine. Die Ukraine wird mit ihm weiter unterstützt, verspricht Scholz – allerdings mit Bedacht und Augenmaß. Die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus und deutsche Bodentruppen lehnt Scholz ab. Zum Abschluss verspricht der Wahlkämpfer: „Für Deutschland werde ich weiterhin alles geben.“ Es wäre nicht verwunderlich, wenn auch dieser Satz in den kommenden Wochen noch öfters zu hören sein wird.
- Wahlprogramme: Die teuren Wahlgeschenke der Parteien
- Vertrauensfrage: So wird Deutschland jetzt regiert
- FDP-Chef Lindner: Warum er keine Elternzeit nehmen will
- Interview: Buschmann – „Wenn jemand die Ampel gesprengt hat, dann der Kanzler“
- Sonntagsfrage: Aktuelle Umfragen – und welche Koalitionen möglich wären
Der Kampf um die Wirtschaftspolitik wird mit aller Härte geführt
Die deutsche Wirtschaft lahmt, und das schon eine ganze Weile. Es ist ein Thema, das vor allem die CDU im Wahlkampf in den Mittelpunkt stellen will. Deshalb greift Oppositionsführer Friedrich Merz SPD und Grüne auf diesem Feld scharf an, vor allem bei der Energiepolitik: Seit mehreren Wochen herrsche Dunkelflaute in Deutschland, sagt Merz, „nicht nur politisch“. Tatsächlich kam es in der vergangenen Woche zu einer solchen Situation, in der kaum erneuerbarer Strom im Netz war, stundenweise waren die Strompreise am Spotmarkt sehr hoch. Und die europäischen Nachbarn seien verärgert, weil es die deutsche Nachfrage auch dort die Preise hochtreibe, „weil Sie in Deutschland praktisch alles stillgelegt haben“.
Für Merz ist es eine Gelegenheit, die Abgrenzung zu den Grünen zu betonen: Sich „einseitig“ auf Wind und Sonne zu verlassen, das werde die CDU nicht machen. Wirtschaftsminister Robert Habeck nennt er „das Gesicht der Wirtschaftskrise“.
Merz will Deutschland wieder wettbewerbsfähiger machen und schwört dabei die Bürgerinnen und Bürger auf Mühen ein: „Wir werden uns alle ein bisschen mehr anstrengen müssen“. Auch wenn viele Menschen sehr viel arbeiten würden, sei die Arbeitszeit insgesamt in Deutschland zu niedrig. Die CDU setzt im Wahlkampf unter anderem auf Steuersenkungen für Unternehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, auch das betont der CDU-Chef.
Habeck, der nach Merz spricht hält dagegen: Seit 2018, also lange vor der Ampel-Regierung, habe das Land kein richtiges Wachstum mehr verzeichnet. Und während die Haushalte auf dem Papier ausgeglichen gewesen seien, hätten sich in der realen Infrastruktur – in der Bundeswehr, bei der Bahn, in den Schulen – die Schulden angehäuft. Der Union wirft er „Betriebsblindheit und Selbstverliebtheit“ vor.
Das Politische ist persönlich
Die Verletzungen sitzen tief. „Um in eine Regierung einzutreten, braucht es die nötige sittliche Reife“, tritt Scholz noch einmal gegen die FDP und ihren Chef Christian Lindner nach. Die FDP habe in der Regierung „wochenlange Sabotage“ betrieben. „Ein Ausbund an Selbstgerechtigkeit!“, empört sich umgehend FDP-Generalsekretär und Ex-Justizminister Marco Buschmann auf „X“.
Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wirft der FDP noch einmal vor, das Ende der Koalition gezielt geplant zu haben: Das sei „an Niedertracht nicht zu überbieten“. FDP-Fraktionschef Christian Dürr liefert das Revanchefoul: Was in der Ampel-Koalition gelungen sei, „ist trotz Ihnen in Deutschland gelungen – und nicht wegen Ihnen“, sagt Dürr zu Scholz.
Scholz hat die FDP und Lindner persönlich seit dem Abend des Koalitionsbruchs mehrfach heftig kritisiert. Dass er dies auch an diesem Tag wieder tut, bringt ihm später einen Rüffel von CDU-Chef Merz ein: „So wie Sie die FDP und insbesondere Christian Lindner hier heute adressiert haben, das ist nicht nur respektlos, sondern eine blanke Unverschämtheit.“ Als Lindner schließlich spricht und den Kanzler kritisiert, tuschelt Scholz mit Habeck. Danach schaut Scholz stoisch nach vorne. „Der Prinz Karneval, der kann am Rosenmontag Kamelle verteilen, um populär zu werden“, wirft Lindner dem Kanzler vor. „Aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht regiert werden.“ Das Verhältnis der beiden ist tief zerrüttet. Dass diese beiden Politiker in ihrem politischen Leben noch einmal zusammenarbeiten, dürfte ausgeschlossen sein.
Auch interessant
Die Ampel wird nicht das letzte schwierige Bündnis gewesen sein
Für Nachdenklichkeit ist derzeit in der Politik Robert Habeck zuständig. Der Grünen-Kanzlerkandidat hat dieses Image zu seinem Markenzeichen gemacht, in der Debatte zur Vertrauensfrage fällt er damit auf. „Wir waren alle genervt voneinander“, räumt der Vizekanzler und Wirtschaftsminister im Rückblick auf die Koalition ein. Auch er und seine Grünen wollten Neuwahlen, deswegen sprechen sie dem Kanzler das Vertrauen nicht aus. Es gehe an diesem Tag aber nicht nur die technische Frage, wie der Bundestag aufgelöst werden könne, mahnt Habeck. „Sondern es geht auch um die Frage, wie gewinnt Politik, Politikerinnen und Politiker Vertrauen zurück.“
Das Scheitern der Koalition sei ein „Menetekel“ weit über den eigentlichen Koalitionsbruch hinaus, weil die Ursachen mit der Ampel nicht verschwunden seien. „Deswegen frage ich mich, ob alle verstanden haben, was dieser Tag markiert.“ Seine Partei sei in der Regierung „drei Jahre lang bis zur Selbstverleugnung“ Kompromisse eingegangen, um zu regieren. Das, so warnt Habeck, werde sich nach den Neuwahlen für die Regierenden nicht ändern: „Alle tun so, als wäre danach alles besser.“ Aber auch in Zukunft seien schwierige Bündnisse zu erwarten, die von den Beteiligten die Fähigkeit zum Kompromiss erfordern. Habeck richtet damit den Blick auf die tektonischen Verschiebungen in der deutschen Parteienlandschaft – aber auch in der politischen Stimmung in Land.
Weidel und Wagenknecht machen Wahlkampf mit der Kriegsangst
AfD-Chefin Alice Weidel und die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht machen Wahlkampf mit der Angst vor einem Krieg mit Russland. „Statt den Draht und Washington und Moskau zu suchen, wo der Schlüssel zum Frieden liegt, pilgern Sie und der Möchtegernkanzler Friedrich Merz nach Kiew“, kritisiert Weidel Scholz. „Sie spielen mit der Eskalationsgefahr.“ Merz riskiere mit einer Taurus-Lieferung einen dritten Weltkrieg. Wagenknecht wirft Scholz vor, er nenne sich „Friedenskanzler“, stehe aber für das „größte Aufrüstungsprogramm der deutschen Geschichte“. Wagenknecht äußert zudem Zweifel daran, ob es nach der Wahl beim „Nein“ des SPD-Politikers zur Taurus-Lieferung bleibe: „Sie sind viel zu oft umgefallen, als dass man darauf vertrauen könnte.“