Essen. Tino Chrupalla wird beim Parteitag gestärkt, Alice Weidel setzt Skandalpolitiker Krah auf die Ersatzbank. Fünf Beobachtungen aus Essen.
Es könnte eine Art politischen Showdown geben in Essen, hieß es vorher. Vor dem AfD-Bundesparteitag waren die Erwartungen groß. Es galt als möglich, dass das Spitzenduo von Alice Weidel und Tino Chrupalla abgelöst werden könnte. Insgesamt 600 Delegierte sind akkreditiert in der Essener Grugahalle. Sie reden über Formales und Inhalte, über die langen Linien ihrer Politik und darüber, wo die Partei hinsteuern soll. Wo wurde es spannend? Was wirkt wie eine Randnotiz, könnte aber noch wichtig werden? Fünf Beobachtungen vom AfD-Parteitag in Essen.
AfD-Parteitag: Der spannendste Moment – Stürzt Tino Chrupalla?
Plötzlich geht alles ganz schnell. Es ist 13.07 Uhr am Samstagmittag, als der Tagesordnungspunkt zur Neuwahl des Bundesvorstands aufgerufen wird. Ein Mann sagt ins Saalmikrofon: „Ich schlage einen Bundessprecher vor“. Es wäre das Ende des Duos Weidel-Chrupalla. Kurz ist es still. Dann bricht eine kleine Diskussion unter den Delegierten los, ein paar von ihnen melden sich zu Wort. Einer sagt: „Mit einer Einerspitze würden wir uns kastrieren“, man decke mit einer aktuellen Spitze ein breites Spektrum ab.
Dann wird abgestimmt, um 13.13 Uhr ist alles vorbei: „Es bleibt bei einer Doppelspitze“, schallt es aus den Lautsprechern. Das Wahlergebnis ist dann sogar sehr deutlich: Über 82 Prozent wählen Tino Chrupalla. Es ist eine Überraschung – zuvor galt der Parteichef als angeschlagen. Alice Weidel wird im Anschluss mit 79 Prozent wiedergewählt, die alte Spitze ist auch die neue Spitze.
Unter großem Jubel nennen sich die beiden Vorsitzenden gegenseitig „geliebte Alice Weidel“ und „geliebter Tino“. Weidel setzt noch hinzu: „Ich hatte eigentlich auf deinen Antrag gewartet“. Frotzeln, um die Gerüchte über einen Zwist aus der Welt zu schaffen. Die große Botschaft lautet: So chaotisch die AfD vorher auftrat, so sehr bemühen sich alle nun um Einheit. Wie lange diese hält, wird sich zeigen.
Die Strategie der Alice Weidel: Grenzen zeigen – und umarmen
Alice Weidel hält die erste große Rede beim Parteitag. Sie spricht eine knappe halbe Stunde und redet zunächst darüber, was ihre Partei zum Brodeln bringt. Im Mittelpunkt steht der EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah, gegen den mittlerweile Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen und dessen Mitarbeiter für China spioniert haben könnte. Krah hatte kürzlich die Waffen-SS verharmlost – daraufhin hatten sich andere rechte Parteien in Europa von der AfD distanziert. Seitdem gilt der ehemalige Star als Gefahr für den Ruf der Partei. Er wird nicht die Gruppe der AfD-Europaabgeordneten anführen. Doch seine Anhänger sind frustriert.
Weidel wählt einen Fußball-Vergleich und sagt über Krah: „Man muss sich einordnen. Auch talentierte Spieler können sich verrennen. Niemand ist perfekt.“ Das klingt nach harter Kante, nach Durchsetzungskraft. Doch Weidel weiß: Die Anhänger von Krah sind für den Parteifrieden gefährlich, in ihnen schlummert das Potenzial, einen internen Kampf anzuzetteln. Deswegen gibt sie sich kurz darauf versöhnlich. „Wenn jemand auf die Ersatzbank muss, ist er noch nicht aus dem Kader geflogen“, sagt Weidel, weiter im Duktus des Fußballvergleichs. Es ist ihr Versuch, Ruhe in die Partei zu bringen.
Die Sicherheitslage: Die Demonstranten schaffen es nicht in die Halle – aber bis kurz davor
Sie sind zu Tausenden aus ganz Deutschland gekommen: In Essen werden an diesem Wochenende dutzende Demonstrationen abgehalten. Wer sich der Grugahalle auch nur nähert, hört bereits die Rufe: „Nazis raus! Nazis raus!“. Ein Polizist sagt dieser Redaktion auf die Frage, ob die Demonstranten es in die Halle schaffen könnten: „Wir tun unser Bestes, das zu verhindern.“ Wer hinein möchte, auch von der Presse, muss mehrmals seine Akkreditierungsbestätigung zeigen. Teilweise werden Teilnehmer von Polizisten einzeln zur Halle begleitet, das Gewaltpotenzial bei einigen Demonstranten ist groß.
Die Stände beim Parteitag: Kurios, kauzig – und wie eine Karikatur der AfD
Die Stände, die beim Parteitag aufgebaut sind, zeigen welche Vereine und Unternehmen die Nähe der Rechtspopulisten suchen. Der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, der „Verein Mit Migrationshintergrund für Deutschland“, die „Alternative Vereinigung Arbeitnehmer“ und das „Kraut“-Magazin. Für große Aufmerksamkeit sorgt ein Stand mit AfD-Kitsch. T-Shirts mit der Aufschrift „Team Remigration“ sowie ein besonderes Nahrungsergänzungsmittel: das „Defender Protein“ von der Jungen Alternative. Und ein Sticker, auf dem über den Skandal-Europakandidaten der AfD steht: „Maximilian Krah hat nichts falsches gesagt.“
Die Debatten: Kleinteilige Diskussionen mit Sprengkraft
Es gibt Debatten bei der AfD, die von außen kaum zu verstehen sind. Doch in den Details spiegeln sich teilweise die Konfliktlinien, die innerhalb der Partei verlaufen. So steht es beispielsweise um die Anträge, die vorschlagen, dass künftig auch Mitglieder-Parteitage möglich sind. Die Befürworter argumentieren, man sei ja auch für Volksabstimmungen in Deutschland – warum sollte man es in der eigenen Partei anders handhaben? Durchsetzen können sie sich am Samstag nicht, doch die Diskussion wird weitergehen. Trotz gutem Ergebnis für die Vorsitzenden: Ganz zur Ruhe dürfte die Partei nicht kommen.
- Interview: Pistorius: „Putin weiß, wie er Nadelstiche bei uns setzen muss“
- Vertrauensfrage: Fünf Erkenntnisse aus einem historischen Tag
- Buchpräsentation: Diesen Putin-Satz vergisst Merkel bis heute nicht
- Podcast: Bärbel Bas über ihre Kindheit und Armut
- Infrastruktur: Gekappte Ostsee-Kabel – Die Angst um unsere Lebensadern