Die Bundeswehr warnt: In den kommenden Tagen kann es wegen der Präsidentschaftswahl weiter zu Anschlägen kommen.
Kundus. Vor der Afghanistan-Wahl am kommenden Donnerstag rechnet die Bundeswehr im nordafghanischen Kundus mit einer Zunahme von Angriffen und Anschlägen der Aufständischen. „Darauf muss man eingestellt sein“, sagte der Kommandeur des zivil- militärischen Wiederaufbauteams, Oberst Georg Klein, am Sonntag in Kundus. Bei seiner Ankunft in der Provinz im Frühjahr sei die Lage dort bereits schwierig gewesen. Seitdem habe die Zahl der Zwischenfälle weiter zugenommen. „Es vergeht fast kein Tag mehr, an dem nicht geschossen wird.“
Der Oberst sagte, die Taliban errichteten in der Provinz Kundus inzwischen mobile Straßensperren. „Das muss man ernst nehmen.“ Klein sagte: „Wir hoffen, dass es nach der Präsidentschaftswahl ruhiger wird.“ Möglicherweise würden die Aufständischen aber auch vor der Wahl in Deutschland im September die Gewalt noch einmal eskalieren lassen. „Wir hören immer wieder, dass die Aufständischen auch die Bundestagswahl im Blick haben.“ Die afghanische Polizei und die Armee nähmen die Sicherung der Präsidentschaftswahl sehr ernst. Ihre Ressourcen seien in der schwierigen Lage aber begrenzt. „Mehr wäre besser.“ Die Bundeswehr mit ihren 800 Soldaten sei gut aufgestellt.
Zur Bedrohungslage für die Deutschen sagte der Oberst: „Die Soldaten müssen in dem Moment auf Angriffe eingestellt sein, wo sie das Tor des Lagers hinter sich lassen. Im Lager muss man mit Raketenangriffen rechnen.“ Mit der bislang größten deutsch- afghanischen Offensive gegen die Taliban im Norden – der Operation „Adler“ – habe man die Aufständischen zwar nicht vertrieben, aber gestört. „Natürlich hatte die andere Seite auch Verluste.“ Opferzahlen wollte Klein nicht nennen. Zur Koordination zwischen den Deutschen und den afghanischen Truppen sagte der Oberst: „Da kann man vieles besser machen. Aber der Weg ist schon richtig.“ Die Zusammenarbeit sei „ein Lernprozess für beide Seiten“.
Inzwischen werde die Versorgungsroute der internationalen Truppen aus dem Norden durch Kundus nach Kabul genutzt, um die gefährliche Strecke durch Pakistan zu entlasten, sagte Klein. Auf der nördlichen Route sei es bereits zu „einigen Zwischenfällen“ gekommen. Warum sich Kundus in den vergangenen Jahren von einer ruhigen Region zu einem Brennpunkt entwickelt habe, „das ist die Eine-Million-Dollar-Frage“, sagte der Oberst. „Die stelle ich auch den Afghanen.“ In Kundus spiegele sich die Entwicklung Afghanistans im Kleinen wieder. Es sei schwierig zu sagen, wie lange die afghanischen Sicherheitskräfte, die sich weiterhin im Aufbau befinden, noch auf die Hilfe der ausländischen Truppen angewiesen seien. „Sie brauchen noch unsere Hilfe.“
Am Sonnabend hatte ein Selbstmordattentäter im massiv gesicherten Zentrum der Hauptstadt Kabul mindestens acht afghanische Zivilisten mit in den Tod gerissen. Wie das Verteidigungsministerium mitteilte, sprengte sich der Attentäter in einem mit Sprengstoff beladenen Auto vor dem Hauptquartier der Internationalen Schutztruppe ISAF in die Luft. Mehr als 91 Menschen seien verletzt worden, darunter vier afghanische Sicherheitskräfte und eine Abgeordnete des Parlaments. Unter den Verletzten sind nach Angaben der ISAF auch „einige“ ausländische Soldaten. Deutsche seien jedoch nicht betroffen, sagte ein ISAF-Sprecher.
Die radikal-islamischen Taliban bekannten sich zu der Tat. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid sagte der dpa, der Attentäter mit dem Namen Ahmad habe eine in seinem Toyota-Pkw versteckte 500- Kilogramm-Bombe gezündet. Bei dem Angriff auf die US-Botschaft und das Hauptquartier der NATO-geführten ISAF seien mindestens 25 Ausländer getötet worden, darunter NATO-Soldaten sowie Angestellte und Diplomaten der amerikanischen Botschaft. Angaben der Aufständischen gelten jedoch als äußerst unzuverlässig und haben sich in der Vergangenheit oft als falsch herausgestellt.
Der Anschlag ereignete sich in unmittelbarer Nähe des Diplomatenviertels Wasir Akbar Khan, in dem unter anderem die deutsche und die amerikanische Botschaft sowie die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) liegen. Auch der Amtssitz des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai befindet sich in der Nähe. Augenzeugen berichteten, durch die Wucht der Explosion seien in einem Umkreis von mehreren hundert Metern Fensterscheiben zu Bruch gegangen. Dutzende Fahrzeuge brannten aus. Über dem Gebiet war dichter schwarzer Rauch zu sehen.
Vor der zweiten Präsidentschaftswahl seit dem Sturz des Taliban- Regimes Ende 2001 ist Sicherheitslage in Afghanistan äußerst angespannt. Die Aufständischen haben zum Boykott der Wahl am kommenden Donnerstag aufgerufen und landesweit mit Anschlägen gedroht. Um dennoch einen weitgehend störungsfreien Verlauf der Abstimmung zu sichern, sind mehr als 200 000 afghanische Sicherheitskräfte sowie etwa 100 000 ausländische Soldaten aus 42 Nationen im Einsatz. Vor allem in Kabul wurden die Sicherheitsvorkehrungen jüngst drastisch verschärft.
Dennoch demonstrierten die Aufständischen mehrfach Stärke. Erst vor anderthalb Wochen feuerten sie neun Raketen auf Kabul ab und verletzten zwei Zivilisten. Im Januar waren sechs Menschen bei einem Selbstmordanschlag vor der deutschen Botschaft ums Leben gekommen, darunter mindestens ein US-Soldat. Einen Monat später hatten Selbstmordkommandos der Taliban 26 Menschen bei Angriffen auf das Justizministerium und andere Regierungseinrichtungen getötet.