Trotz Misstrauens vereinbaren Großmächte technologische Kooperationen, um das Übergewicht der USA auszubalancieren.

Hamburg. Die Vereinigten Staaten von Amerika - ein Land in bohrender Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang, eine in kostspieligen Kriegen bedenklich überdehnte Militärmacht, ein Imperium, das um seinen Status als alleinige Supermacht dieses Planeten bangen muss. Und nun stelle man sich einmal vor, diesen USA erwüchse ein flächenmäßig dreimal so großer Gegner, ausgestattet mit der fünffachen Bevölkerungs- und dreifachen Soldatenzahl. Eine Allianz aus den Giganten China und Russland - es sind Gedankenspiele, die amerikanischen Politikern und Strategen den kalten Schweiß auf die Stirn treibt.

Zunächst ist es nur eine konstruierte, geradezu virtuelle Bedrohung, mit der sich Pentagon und Denkfabriken derzeit auseinandersetzen. Noch vermag niemand zu sagen, wie konkret sie einmal werden kann - oder ob sich dieses Bild nicht doch plötzlich auflösen wird wie eine Fata Morgana.

Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war ein strategisches Bündnis aus Sowjetunion und China, zwei kommunistischen Großmächten, der amerikanische Albtraum. Josef Stalin und Mao Tse-tung hatten völlig unterschiedliche Ansichten über die Ausgestaltung der kommunistischen Weltordnung, doch Mao erkannte Stalin immerhin zähneknirschend als Führer des Ostblocks an. Spätestens mit dem Tod Stalins beanspruchte Mao jedoch die Führungsrolle in der kommunistischen Welt - die ihm der Kreml jedoch versagte. Ab 1959 kam es zum Bruch; Mao warf Stalins Nachfolger Chruschtschow vor allem in der Kuba-Krise 1962 vor, er sei zu nachgiebig gegenüber dem Westen. Chruschtschow entwickle sich "vom Abenteurer zum Kapitulationisten", stichelte Mao Tse-tung. 1966 brach die KP Chinas die Beziehungen auf Partei-Ebene ab, bald darauf verlegte Russland massiv Truppen an die gemeinsame, 4000 Kilometer lange Grenze. Im März 1969 kam es am Grenzfluss Ussuri zu blutigen Gefechten, in die auch die sowjetische Luftwaffe eingriff. Im August deutete Moskau an, man erwäge, das chinesische Kernwaffentestgelände Lop Nor mit Atomwaffen anzugreifen.

Für die USA war die Gefahr einer tödlichen Umklammerung durch eine russisch-chinesische Allianz damit gebannt. Doch mit einiger Sorge betrachtete man in Washington in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte sino-russische Wiederannäherung. Bereits 1996 hatten China, Russland, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan die Shanghai-5-Gruppe gegründet, offiziell um künftige Grenzstreitigkeiten leichter beilegen zu können. Daraus wurde unter Einbeziehung Usbekistans die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), die ein Viertel der Weltbevölkerung vertritt und damit die größte Regionalorganisation der Erde darstellt. Robert Kagan, der ebenso prominente wie erzkonservative frühere Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, bezeichnet die SOZ als "Anti-Nato" und als "Zweiten Warschauer Pakt". Die SOZ sei von Russland und China nur gegründet worden, um dem wachsenden Einfluss der USA in Zentralasien Widerstand entgegensetzen zu können. Den Hintergrund für diesen Streit liefert die im März 1999 vom US-Repräsentantenhaus verabschiedete, aber niemals ratifizierte "Seidenstraßenstrategie", die den Einfluss Amerikas in der zentralasiatischen Region sicherstellen sollte. Es ist ein typischer Ansatz amerikanischer Neokonservativer, die sich darüber empören, dass Russland und China es wagen, in ihrer eigenen Region den entscheidenden Einfluss ausüben zu wollen.

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Im Rahmen der SOZ führen chinesische und russische Truppen regelmäßig Großmanöver durch, so 2005 auf der chinesischen Halbinsel Shandong, 2007 im russischen Tscheljabinsk oder 2009 in Chabarowsk. China besitzt mit derzeit knapp 2,3 Millionen aktiven Soldaten die zahlenmäßig stärksten Streitkräfte der Welt - hat aber in den letzten Jahren bereits um 700 000 Mann abgerüstet, um mehr Geld für moderne Waffensysteme übrig zu haben. Russland hat noch knapp eine Million Mann unter Waffen. Die russische Armee verfügt aber über mehr als 21 000 Kampfpanzer. Die chinesische hat rund 8400 - etwa so viele wie die US-Streitkräfte.

Im Jahre 2001 hatten Russland und China bereits einen Vertrag über gutnachbarliche Beziehungen geschlossen, 2008 schließlich legten sie ihre Grenzstreitigkeiten bei; Moskau gab zwei 1969 eroberte Inseln im Ussuri-Fluss zurück. Und im September 2010 weihten Russlands Präsident Dmitri Medwedew und Chinas Amtskollege Hu Jintao eine strategisch wichtige Ölpipeline zwischen beiden Staaten ein.

Über eine Abzweigung der 4700 Kilometer langen Ostsibirien-Pazifik-Röhre fließen in den kommenden 20 Jahren jährlich rund 15 Millionen Tonnen Öl vom sibirischen Skoworodino in Russland - dem größten Ölförderer der Welt - nach Daqing in China - dem inzwischen größten Energieverbraucher der Erde. Und der Umfang der Lieferungen soll noch stark steigen. Ein gutes Dutzend Abkommen vor allem in den Energiebereichen Kohle, Gas und Kernkraft begleitete den symbolischen Akt. Hu sprach von einem "Meilenstein" und dem "Beginn einer neuen Phase" in der bilateralen Kooperation.

Für beide Staaten hat der Deal große Vorteile: Das immer hungrigere China sichert sich damit eine langfristige Energieversorgung, Russland hingegen signalisiert den auf Energie-Unabhängigkeit bedachten Europäern: Wir sind nicht auf euch angewiesen. Zudem erhielt Moskau noch von China Kredite im Wert von 25 Milliarden Dollar.

Gestern und am Dienstag hielt sich Russlands Premier und wohl künftiger Präsident Wladimir Putin in Peking auf. Es gab freundliche Worte, doch im Hintergrund wurde knallhart verhandelt über Preise und Lieferkonditionen für das russische Gas. Es hieß, der mächtige Staatskonzern Gazprom fordere eine Vorauszahlung von 40 Milliarden Dollar. Im Prinzip ging es auch diesmal um eine weitere Verstärkung der sino-russischen Zusammenarbeit; rund 20 gemeinsame Projekte wurden vereinbart. Es betraf sensible Schlüsselbereiche wie Nanotechnologie, Weltraumtechnik, Biotechnologie oder IT-Industrien. Russland will noch mehr Hightech nach China exportieren.

Es ist ein Paartanz auf dem Vulkan für Moskau. China nutzt die neuen Technologien natürlich nicht zuletzt zur Modernisierung seiner Streitkräfte. Russland liefert auch direkt hochmoderne Waffentechnik an den Nachbarn, darunter einige der leistungsfähigsten Kampfflugzeuge der Welt. Allerdings scheint China zu Moskaus Ärger dazu zu neigen, die russische Technik lizenzlos zu kopieren. Gleichzeitig schließt Peking geschickt Energieverträge mit anderen Staaten ab, um nicht in russische Abhängigkeit zu geraten.

Für beide Staaten ist eine strategische Partnerschaft zunächst einmal eine Möglichkeit, das gewaltige militärische, politische und wirtschaftliche Übergewicht der USA auszubalancieren. Die Führung in Moskau, die zunehmend zu autoritären Strukturen zurückkehrt, fühlt sich in der Umarmung mit der Despotie China wohler als mit dem nörgeligen Westen, der auf Liberalisierung und Demokratisierung drängt.

Wie viel Selbstbewusstsein dieser Rückhalt der russischen Politik verschafft, zeigte sich kürzlich bei der Abstimmung im Uno-Sicherheitsrat über Sanktionen gegen Syrien. Gemeinsam mit Peking legte Moskau ein Veto gegen die Bemühungen des Westens ein, der syrischen Führung in Damaskus bei ihrer blutigen Unterdrückung der Opposition in die Arme zu fallen. Es war eiskalte "Njet"-Politik fast nach sowjetischem Schema. Die aus Petersburg stammende Politiker-Riege um Putin nabelt sich ein Stück weit vom Westen ab und strebt eine Restaurierung des Großmachtstatus an. Eine demokratische Emanzipierung ihrer Völker nach dem Vorbild des Arabischen Frühlings ist weder im Interesse der chinesischen noch der russischen Führung.

Und China will für seine teils territorial begründeten Auseinandersetzungen mit den anderen asiatischen Mächten wie Indien, Japan oder den Philippinen - zumeist geht es um Bodenschätze - den Rücken frei oder gar Unterstützung haben. Doch für die Russen liegt in der Partnerschaft mit China eine erhebliche Gefahr. Das Riesenreich der Mitte wächst wirtschaftlich und auch militärisch weit dynamischer als Russland, entdeckt zunehmend seine weltweiten nationalen Interessen und ist im Begriff, den Nachbarn zum bloßen Juniorpartner zu degradieren. Das jedoch liegt ganz sicher nicht im Interesse des ehrgeizigen Putin und der Moskauer Nomenklatura. Für China ist Russland nur zehntgrößter Handelspartner, für Russland steht China inzwischen an Nummer eins. Das schafft eine erhebliche Unwucht in den Beziehungen.

Ganz abgesehen von gravierenden Unterschieden in Kultur und Mentalität zwischen Russen und Chinesen dürften die rivalisierenden nationalen Interessen sehr bald zum Tragen kommen. Es geht vor allem im eurasischen und zentralasiatischen Raum langfristig weniger um herzliche Partnerschaft als um einen erbarmungslosen Verdrängungswettbewerb. Beide Staaten misstrauen einander zutiefst. Eine gemeinsame Weltsicht gibt es ebenso wenig wie tragende gemeinsame strategische Interessen. Dass der russische Bär und der chinesische Drache den amerikanischen Adler in einer engen Allianz gemeinsam an die Wand drücken könnten, dürfte erst einmal nur ein düsteres Pentagon-Planspiel bleiben.