Voßkuhle warnt vor Eingriffen in Grundrechte. Der Präsident des Bundesverfassungs-Gerichtes betont den Datenschutz.
Karlsruhe. Die Bürger müssen nach Ansicht von Bundesverfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle stärker gegen Eingriffe in ihre Rechte durch Privatfirmen geschützt werden. Dies werde auch das Verfassungsgericht stärker beschäftigen, kündigte Voßkuhle in einer Rede zum 60-jährigen Bestehen des höchsten deutschen Gerichts an. „Der Staat besitzt hier eine Schutz- und Gewährleistungsfunktion, die auch einer verfassungsrechtlichen Absicherung bedarf.“ Immer häufiger müssten sich Bürger mit Eingriffen in ihre Grundrechte auseinandersetzen, die nicht von Staaten, sondern Firmen ausgingen. Dies betreffe „international agierende private Unternehmen und Organisationen, die Zugriff nehmen auf persönlichen Daten, eigenes Recht setzen oder öffentliche Aufgaben erfüllen“, betonte Vosskuhle, ohne allerdings Namen zu nennen.
Er dürfte aber auf die Auseinandersetzung etwa mit großen US-Konzernen wie Facebook oder Google anspielen, denen auch Verbraucherschutzminister Ilse Aigner (CSU) mehrfach Verstöße gegen Datenschutzrechte vorgeworfen hat. „Hier liegt noch viel Arbeit vor uns“, betonte Voßkuhle.
Er kündigte zudem an, dass das Gericht auch stärker auf die „Nachhaltigkeit“ von gesetzlichen Entscheidungen achten werde. Dies sei in einer Zeit nötig, in der es „kein unbekümmertes Wachstum“ mehr gebe, in Deutschland die Bevölkerung stark altere, natürliche Ressourcen knapp würden und die Finanzkrise zeige, wie fragil das wirtschaftliche Fundament sei.
Das Bundesverfassungsgericht hat den klaren Anspruch erhoben, auch bei einer voranschreitenden EU-Integration maßgeblich an der Rechtsetzung in der EU beteiligt zu werden. Nur ein Gerichtsverbund werde in der Lage sein, ein gesamteuropäisches Verfassungsrecht zu schaffen, das auch den unterschiedlichen Rechtskulturen in der EU Rechnung trage, betonte Verfassungsgerichtspräsident Vosskuhle. „Dem Bundesverfassungsgericht kommt wegen seiner Kompetenzfülle und seines hohen Ansehens in der Welt eine besondere Verantwortung zu, die wir wahrnehmen werden“, kündigte er an. Hintergrund ist, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das Bundesverfassungsgericht seit Jahren darüber streiten, wie weit die Zuständigkeit nationaler Verfassungsgerichte noch reicht.
Auch Voßkuhle betonte, dass der Prozess der Europäisierung und Internationalisierung weiter voranschreiten werde. „Es wäre aber verfehlt, von diesem Umstand auf einen Bedeutungsverlust der nationalen Verfassung und Verfassungsgerichte zurück zu schließen. Bis auf weiteres bleiben die Staaten die Herren der Verträge“, warnte er. Er plädierte für einen „Gerichtsverbund“ aus EuGH, dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg und den nationalen Verfassungsgerichten. Bedeutung hat diese Festlegung Voßkuhles, weil das Verfassungsgericht immer wieder über zentrale Frage in der EU entscheidet, wie zuletzt über die deutsche Beteiligung an Euro-Rettungspaketen oder Euro-Rettungsschirmen. Ohne die Zustimmung des Gerichts wäre der Bundesregierung eine weitere EU- oder Euro-Integrationspolitik unmöglich.
Zum 60. Geburtstag des Bundesverfassungsgerichts hat Bundespräsident Christian Wulff die Politik davor gewarnt, die vom Grundgesetz vorgegebenen Verfahrensregeln zu missachten. Unter der Maxime der Dringlichkeit oder Alternativlosigkeit (ein Begriff von Bundeskanzlerin Angela Merkel) dürfe die parlamentarische Befassung nicht vernachlässigt werden, sagte Wulff beim Festakt in Karlsruhe. Er kritisierte die Tendenz, wichtige Debatten auf externe Kommissionen auszulagern oder Gesetzentwürfe von privaten Firmen ausarbeiten zu lassen.
Wulff würdigte die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts und seine tragende Rolle für die Demokratie in Deutschland. Das Gericht habe erheblich zur Festigung des Rechtsstaatsbewusstseins in der Bundesrepublik beigetragen. Zugleich sei es zum Vorbild auch im Ausland geworden. Insbesondere durch seine Rechtsprechung zur Meinungs- und Demonstrationsfreiheit habe das Gericht die Demokratie in Deutschland gefördert. Die Karlsruhe Richter hätten den engen Zusammenhang zwischen Demokratie und freier Meinungsäußerung in zahlreichen Entscheidungen unermüdlich betont.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, ohne die „gelebte Unabhängigkeit“ des Bundesverfassungsgerichtes wäre die Republik eine andere. Das Gericht genieße ein hohes Vertrauen unter den Bürgern. Sie sähen in ihm einen Garanten für Objektivität, die auch unbequem sein könne – „allen voran für die Politik“. „Das die eine oder andere Meldung aus Karlsruhe in Berlin oder den Landeshauptstädten die Gemüter erregen kann, liegt in der Natur der Dinge“, sagte Merkel. Dem Gericht sei es aber gelungen, diese Spannung zwischen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit zu bewältigen. (rtr/dpa/abendblatt.de)