Polemische Debatte im Bundestag. SPD-Chef Gabriel attackiert die Kanzlerin, FDP-Mann Brüderle spricht von „Sirtaki-Siggi“.
Berlin. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat massive Anstrengungen betroffener Länder zur Voraussetzung für Zahlungen aus dem neuen Euro-Rettungsschirm EFSF gemacht. Bei Zahlungen an klamme Staaten wie Griechenland gehe es immer nur um Hilfe zur Selbsthilfe und darum, Zeit für Problemlösungen zu gewinnen. „Aber die Ursachen der Probleme müssen die Länder selbst lösen“, sagte Schäuble bei der ersten Lesung zum EFSF-Gesetz und zur Parlamentsbeteiligung im Bundestag. Die Länder müssten Haushalte anpassen und Defizite zurückführen, forderte Schäuble. „Wir haben diesen Mechanismus schaffen müssen, damit aus den Problemen eines Landes nicht eine Gefahr für die Stabilität der gesamten Euro-Zone werden kann“, sagte der Minister. „Wegen der Ansteckungsgefahr auf den Märkten brauchen wir diesen Stabilisierungsmechanismus.“
Für die Bundestagsbeteiligung schwebt der Regierungskoalition ein abgestuftes Modell vor, bei der je nach Umfang der Entscheidung entweder der Haushaltsausschuss oder der Bundestag eingespannt werden. An zentraler Stelle ist die Entscheidung aber noch offen. „In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit wird eine Regelung vorgesehen, die eine Beteiligung des Deutschen Bundestages gewährleistet“, heißt es in dem dapd vorliegenden Antrag von Union und FDP.
Wie diese Regelung genau aussieht, darüber wollen Union und FDP noch untereinander, aber in den nächsten Tagen und Wochen auch mit der Opposition beraten. Denkbar wäre ein Sonderausschuss oder eine Zuständigkeit des Ältestenrates.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, ein eigenes Bundestagsgremium für die hochkomplexen Euro-Entscheidungen einzuberufen. Ein solcher Ausschuss, „in dem Haushälter, Finanzpolitiker, Europapolitiker und Rechtspolitiker zusammenwirken“, solle schnell Entscheidungen treffen können, sagte Thierse im Bayerischen Rundfunk. „So dass das nicht lange breit getrampelt wird, sondern dass schnell und verschwiegen Entscheidungen getroffen werden, die aber dann insgesamt dem Parlament vorgelegt werden müssen.“
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Euro-Rettungsmaßnahmen zeigte er sich sehr zufrieden. Thierse begrüßte, dass die Karlsruher Richter ausdrücklich die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses des Bundestages eingefordert haben. Das verhindere Entscheidungen über das Parlament hinweg. Der Vizepräsident des Bundestages zeigte aber auch Verständnis für die Regierungen, die gerade in Krisenzeiten schnell reagieren müssen.
Der neue Euro-Rettungsschirm EFSF (European Financial Stability Facility) wurde im Mai 2010 aufgebaut, um nach Griechenland weitere Länder mit Notkrediten vor der Pleite aufzufangen. Dafür standen ihm 250 Milliarden Euro zur Verfügung. Die effektive Ausleihsumme wird nun auf 440 Milliarden Euro erhöht. Um dies zu erreichen, wird der Garantierahmen auf fast 780 Milliarden Euro aufgestockt. Der deutsche Anteil steigt von 123 Milliarden Euro auf etwa 240 Milliarden Euro, das entspricht einem Anteil von knapp dreißig Prozent.
Der EFSF ist ein Zinsverbilligungs-Programm für jene hoch verschuldeten Länder, die ansonsten Wucherzinsen auf den internationalen Finanzmärkten zahlen müssten. Zehnjährige Griechenland-Anleihen wurden am Mittwoch mit einem Zins von 17,76 Prozent gehandelt. Das könnte kein Land der Welt bezahlen, auch Deutschland nicht, das nur 2,16 Prozent bezahlen musste.
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat der Bundesregierung „Euro-Populismus“ vorgeworfen. Er forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, „das dumme Gerede vom Zahlmeister Europas“ einzustellen. „In Wahrheit sind wir die politischen und die wirtschaftlichen Gewinner Europas und des Euros“, sagte Gabriel im Bundestag. Die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms bezeichnete Gabriel aber als richtig und versicherte, dass die Sozialdemokraten diese mittragen würden. Zugleich plädierte er aber für eine Änderung der gelten europäischen Verträge. „Wir brauchen mehr europäischen Einfluss auf die Stabilitäts-, Finanz- und Steuerpolitik und Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten.“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Willsch will trotz des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Euro-Rettung gegen den Euro-Rettungsschirm der Bundesregierung stimmen. „Ich will der Kanzlerin keins auswischen“, sagte Willsch im ZDF-„Morgenmagazin“. „Mir geht es darum, dass wir die Grundlagen der Währungsunion wieder festigen und errichten.“ Es bestehe keine Notwendigkeit „den Schirm überhaupt aufzublasen“, erklärte er.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte, Europa dürfe sich nicht die Zukunft verbauen lassen, nur weil ein Land geltende Verträge breche. „Wenn sie (die Griechen) es nicht einhalten, gibt’s kein Geld“, sagte Brüderle im Bundestag zu den unterbrochenen Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den Geldgebern aus Europa und Internationalem Währungsfonds (IWF). Der SPD hielt Brüderle vor, die von den Sozialdemokraten geforderte „Wundertüte Euro-Bonds“ sei nach dem Karlsruher Verfassungsgerichtsurteil endgültig gescheitert. Brüderle griff die Europa-Politik von SPD-Chef Sigmar Gabriel an, den er „Sirtaki-Siggi“ nannte. (dpa/dapd/rtr)